Am 3. Juli 2023 veranstaltete United Europe im Rahmen des EU-Afrika-Advocacy-Seminars „Ein afrikanischer Blick auf die EU-Afrika-Beziehungen – eine gemeinsame Vision für beide Kontinente” eine Podiumsdiskussion zu den EU-Afrika-Beziehungen.
Die Journalistin Mercy Abang diskutierte mit Prof. Dr. Stefan Liebing, Geschäftsführer von Conjuncta, Hildegard Bentele, Europaabgeordnete, Sarah Bernardy, der Leiterin des Referats für Panafrikanische Fragen im Auswärtigen Amt sowie den Journalisten Tomi Oladipo und Hannah Ajala über eine gemeinsame Strategie für Afrika und Europa.
Wir danken dem Botschafter von Malawi in Deutschland, Joseph John Mpinganjira, für seinen Besuch und seine weiterführenden Beiträge.
Die Debatte fand im Rahmen des EU-Afrika-Advocacy-Seminars „Ein afrikanischer Blick auf die EU-Afrka-Beziehungen – eine gemeinsame Vision für beide Kontinente” statt: United Europes Vizepräsidentin Cathryn Clüver-Ashbrook und die Generalsekretärin der Deutschen Afrika Stiftung (DAS), Sabine Odhiambo, eröffneten das Seminar. Es folgten Beiträge von Fatu Ogwuche (CEO von BigTechThisWeek), Muhammad Sani (ehemaliger Commissioner des Bundesstaates Kaduna, Nigeria), Emmanuel Uwandu (CEO von GAS360), Ferdinand Pavel (Director bei EY) und Cheta Nwanze (Analyst bei SBM Intelligence).
Eine Aufzeichnung des Seminars ist auf dem YouTube Channel von United Europe verfügbar.
Nachfolgend finden Sie eine Zusammenfassung einiger Diskussionsbeiträge und Meinungen unserer Gäste zu ausgewählten Themen.
Die Journalistin Mercy Abang eröffnete die Debatte und lobte das Engagement der EU für die Menschenrechte. Die jüngsten Ereignisse hätten jedoch zu Kritik am Krisenmanagement der EU geführt, was insbesondere die Notlage afrikanischer Migranten im Mittelmeer betrifft. „Das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer offenbart offensichtlich einen blinden Fleck im Umgang mit der afrikanischen Krise“, so Abang.
Die Europaabgeordnete Hildegard Bentele betonte die enorme Wichtigkeit eines ehrlichen und offenen Dialogs über die Interessen Europas in Afrika. Global Gateway, ein europäisches Projekt zur Bereitstellung von Digitalisierung und Infrastruktur in Afrika, steht vor diversen Herausforderungen. Um mit anderen Staaten konkurrieren zu können, müsse die EU ihre Effizienz und Agilität steigern: „Die geringe Sichtbarkeit der Global-Gateway-Initiative in Afrika ist besorgniserregend, aber die EU arbeitet aktiv daran, ihre Sichtbarkeit zu erhöhen”, sagte Bentele. Beobachter haben festgestellt, dass regionale Aktivitäten innerhalb Afrikas offenbar Vorrang vor der europäischen Global-Gateway-Initiative haben. Ein Teil des Problems sei, dass die EU nicht einheitlich auftrete. Es werden eher die einzelnen Mitgliedsstaaten wahrgenommen und nicht das zusammenhängende Ganze eines geeinten Europas. „Das Konzept des ‚Team Europe‘ müsse gestärkt werden“, so Bentele abschließend.
Stefan Liebing, CEO von Conjuncta, betonte, dass das Bevölkerungswachstum in Afrika 20 Millionen neue Arbeitsplätze pro Jahr erfordere. Auch habe Europa ein großes Interesse daran, Afrika zu unterstützen, um eine Verschärfung der Migrationsprobleme zu verhindern. Für beide Seiten sei es wichtig, eine gemeinsame Basis zu finden: „Als jemand, der an der Spitze des Afrika-Vereins stand, ist mir in den letzten zwei Jahrzehnten ein wiederkehrendes Thema in den Reden aufgefallen: Afrikas enormes Potenzial. Statt sich auf das zu konzentrieren, was uns trennt, ist es an der Zeit, gemeinsame Interessen und Ziele zu identifizieren. Das deutsche Handelsvolumen mit Afrika ist in etwa so hoch wie das Handelsvolumen mit Ländern wie Tschechien oder Dänemark. Dieses Ungleichgewicht gilt es zu beseitigen und die Wirtschaftsbeziehungen zu stärken. Derzeit gibt es eine wachsende Gruppe afrikanischer Länder, die als Energielieferanten und Empfänger neuer grüner Energiezahlungen auftreten, die die Petrodollars ersetzen. Europa und sein Energiebedarf bieten Afrika beträchtliche Kooperationsmöglichkeiten.”
Um einen Wandel herbeizuführen, müssen zwei wichtige Punkte berücksichtigt werden:
- Die Angst vorm Risiko muss abgebaut werden: Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) neigen dazu, weniger Risiken einzugehen als multinationale Konzerne, die in der Lage sind, potenzielle Misserfolge aufzufangen. Um KMUs zu ermutigen, sich auf afrikanischen Märkten zu engagieren, müssen wir ihnen einen besseren Zugang zu Finanzierungs- und Garantieinstrumenten ermöglichen. Die bestehenden Bankvorschriften hindern europäische Banken oft daran, Großprojekte zu finanzieren. Eine faire Risikoverteilung zwischen öffentlichem und privatem Sektor sowie regulatorische Anpassungen sind notwendig, um Finanzierungsmöglichkeiten zu erleichtern.
- Die Ausbildung und Zusammenarbeit müssen verbessert werden: Viele deutsche KMUs sind mit den afrikanischen Märkten nicht vertraut und benötigen hier Aufklärung und Unterstützung. Erst wenn Erfolgsgeschichten veröffentlich werden, wird sich die Einstellung deutscher Unternehmer ändern. Um dies zu erreichen, ist eine gemeinsame Anstrengung der deutschen Regierung, Botschaften, Finanzinstitutionen und Unternehmen erforderlich. Eine signifikante Erfolgsgeschichte wird den notwendigen Impuls geben, um die Wahrnehmung zu ändern und Unternehmer davon zu überzeugen, dass es eher ein Risiko ist, sich nicht in Afrika zu engagieren. Darüber hinaus müssen innovative Finanzierungsmodelle und neue Organisationssysteme entwickelt werden, die auf die besonderen Herausforderungen des afrikanischen Kontinents zugeschnitten sind.
Europa muss ebenfalls seinen Klimaverpflichtungen nachkommen, indem es eine beträchtliche Menge grüner Energieimporte wie Wasserstoff fördert, um Öl, Gas und Kohle zu ersetzen. Afrika mit seinen reichen Sonnen- und Windressourcen kann ein wichtiger Partner bei der wettbewerbsfähigen und nachhaltigen Produktion von Wasserstoff sein.
Die Erleichterung des Zugangs zu Finanzmitteln, die Förderung von Bildung und die Unterstützung innovativer Finanzierungsmodelle bilden die Grundlage für ein verstärktes europäisches Engagement in Afrika. Wenn Europa diese Chancen nutzt, kann es seine Energiesicherheit erhöhen, seine Klimaziele erreichen, zur Entwicklung Afrikas beitragen und gleichzeitig zukünftige Migrationsprobleme vermeiden. „Die Zeit für sinnvolles Handeln und Zusammenarbeit ist jetzt. Nur gemeinsam können wir eine starke Zukunft für beide Kontinente gestalten”, so Liebing abschließend.
Sarah Bernardy, Referatsleiterin für panafrikanische Fragen im Auswärtigen Amt, verwies auf die Gründungsdokumente der Afrikanischen Union und betonte, dass Menschenrechte universelle Werte seien und nicht als „europäische Werte” gesehen oder formuliert werden sollten. Zudem ziehe die Mehrheit der Afrikanerinnen und Afrikaner die Demokratie anderen politischen Systemen vor und unterstütze demokratische Standards. Auf die Frage nach den offenbar besonders langwierigen Visaverfahren für Afrikaner antwortete Frau Bernardy, sie verstehe die Frustration, wenn Menschen lange auf ein Visum warten müssten. Das Auswärtige Amt arbeitet an der Digitalisierung der Visaverfahren. Was ausländische Investitionen in afrikanischen Ländern angehe, so seien die Investitionsbedingungen für ausländische Investoren oft nicht attraktiv genug. „Es ist entscheidend, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen und die Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Ohne diese wesentlichen Elemente geht ein erheblicher Teil dessen, was oft als „Risikokapital” bezeichnet wird, verloren. Im Vergleich etwa zu chinesischen Investitionen in Infrastrukturprojekte ist das europäische und deutsche Engagement in Afrika nicht immer unmittelbar sichtbar. Deutschland und die EU sind sich bewusst, dass noch viel zu tun bleibt, aber sie sind weiterhin entschlossen, in diese Bemühungen zu investieren. Global Gateway ist ein Beispiel für dieses Engagement.”
Der Investigativjournalist Tomi Olidapo ist der Meinung, dass Europa die EU-Afrika-Strategie komplett neu denken muss.
Als Nigeria um militärische Unterstützung im Kampf gegen Boko Haram bat, lehnten die USA ab, weil sie Bedenken wegen der Menschenrechtssituation in der nigerianischen Armee hatten. Diese Entscheidung zeigt die Komplexität der internationalen Unterstützung angesichts solcher Herausforderungen. Sie wirft aber auch die Frage auf, wie selektiv manche Länder bei der Bereitstellung von Lösungen vorgehen. „Man denke nur an die jüngsten Ereignisse im Tschad. Nach dem Tod von Idriss Déby besuchte der französische Präsident Emmanuel Macron den Tschad und zeigte seine Unterstützung, indem er den Sohn von Déby umarmte, der später durch einen Staatsstreich an die Macht kam. Hier zeig sich die widersprüchliche Art und Weise, wie sich die Europäer und Amerikaner für demokratische Prinzipien und Rechtsstaatlichkeit einsetzen.
Viele der Herausforderungen auf dem afrikanischen Kontinent gehen über Sicherheitsfragen hinaus und umfassen auch Entwicklungs- und Bildungsfragen. Während Europa sich darauf konzentriert, afrikanische Fachkräfte für seine eigenen Interessen zu gewinnen, ist es wichtig, hier auch die Konsequenzen für Afrika als Ganzes zu bedenken. „Wir müssen darüber nachdenken, wie sich die Abwanderung der Fachkräfte auf den Fortschritt des Kontinents auswirkt. Die Beziehungen zwischen der EU und Afrika sind von Inkohärenz geprägt, insbesondere wenn es darum geht, Lösungen anzubieten. Es ist von entscheidender Bedeutung, neue, wirksamere Strategien zu entwickel. Europa kann nicht nur seine eigenen Interessen verfolgen, es muss auch eine gerechtere und für beide Seiten vorteilhafte Partnerschaft anstreben, schloss Olidapo.
Wir danken allen Mitwirkenden, Referenten und Teilnehmern herzlich für ihre Teilnahme in Berlin und online.