Ein geeintes Europa bringt Wohlstand, Freiheit und Frieden für alle, ist Richard Lutz überzeugt. Doch diese Werte seien bedroht. Politik und Unternehmen müssten sich deshalb mehr denn je für Europa einsetzen – und die Menschen im Juni zur Wahl gehen.
Ich bin in der Pfalz aufgewachsen. Der US-Stützpunkt in Ramstein war um die Ecke. Die Präsenz der Amerikanerinnen und Amerikaner und die damit verbundene Sicherheitsgarantie für ein immer weiter zusammenwachsendes Europa waren für mich selbstverständlich. Genauso selbstverständlich war es, als Jugendlicher europaweit für Schachturniere unterwegs zu sein oder zum Einkaufen ins Nachbarland Frankreich zu fahren – ohne groß darüber nachzudenken. So wuchs meine Überzeugung: Ein geeintes Europa bringt Wohlstand, Freiheit und Frieden für alle.
Antidemokratische Strömungen sind auf dem Vormarsch – Europas weitere Integration stockt
Weil ich dieses sich immer weiter einende, immer grenzenloser werdende Europa so hautnah als Teil meines Alltages erlebt habe, war der Brexit für mich ein Schock. Als überzeugter Europäer kann ich mir nicht vorstellen, der Europäischen Union (EU) und dem, wofür sie steht, den Rücken zu kehren.
Als Betriebswirt kann ich nicht nachvollziehen, warum man freiwillig auf die Vorteile eines gemeinsamen Wirtschaftsraums verzichtet. Zudem haben auch wir als Deutsche Bahn die Folgen direkt und unmittelbar zu spüren bekommen: Unsere Pläne für einen Börsengang unserer Tochter DB Arriva in London waren über Nacht in weite Ferne gerückt und damit viel Geld vernichtet.
Seitdem ist viel passiert. Antidemokratische Strömungen sind europaweit auf dem Vormarsch, rechtspopulistische Parteien vielfach bereits in Regierungsverantwortung. Die weitere Integration Europas stockt. Abschottungstendenzen nehmen zu. Das amerikanische NATO-Engagement und die Sicherheitsgarantie für Europa sind mit einer möglichen zweiten Präsidentschaft Donald Trumps nicht mehr garantiert. Und die Überzeugung, dass es in Europa keinen imperialen Krieg mehr geben wird, hat sich als falsch erwiesen und uns alle zutiefst erschüttert.
Entwicklungen und Ereignisse, die deutlich machen, wie fragil das Fundament geworden ist, auf dem unser Wohlstand, unsere Freiheit, unser Frieden stehen. Entwicklungen und Ereignisse, die wir nicht hinnehmen dürfen. Nichtstun ist keine Option. Nichtstun bedeutet, dass diejenigen die Oberhand gewinnen, die Europa nicht als Grundlage für Wohlstand, Freiheit und Frieden auf dem Kontinent sehen. Nichtstun bedeutet, dass die europäische Idee in ihrer Existenz bedroht wird. Wir müssen handeln!
Unternehmen sollten sich fragen, welchen Beitrag sie zum Funktionieren einer Gesellschaft leisten
Das gilt nicht nur für Politik und Individuen. Auch Unternehmen sind in der Pflicht. Die Zeiten, in denen Milton Friedmans Satz „the business of business is business“ galt, sind lange vorbei. Unternehmen sind Teil der Gesellschaft. Unternehmen haben eine Rolle in gesellschaftlichen Debatten und Themen. Unternehmen müssen sich daran messen lassen, welchen Beitrag sie zum Funktionieren einer Gesellschaft leisten.
Deshalb positionieren wir uns laut und deutlich gegen sämtliche antidemokratische und antieuropäische Versuche, Absichten und Strömungen. Unsere Mitarbeitenden genau wie alle Reisenden, die tagtäglich unsere Züge und Strecken durch Deutschland und Europa nutzen, sollen wissen, wofür wir stehen: für Toleranz und Demokratie, für Freiheit und Europa. Denn Nichtstun ist immer auch eine Haltung.
Auch wirtschaftlich wäre ein Auseinanderdriften Europas fatal. Der europäische Binnenmarkt ist gerade für Deutschland zentral. Die Deutsche Bahn ist wie so viele andere ein europäisches Unternehmen: 60 Prozent unserer Güterzüge passieren mindestens eine Landesgrenze. Wir setzen uns mit den anderen europäischen Bahnen dafür ein, dass Europa auf der Schiene noch enger zusammenwächst.
Ich möchte, dass meinen Kindern und nachfolgende Generationen das Privileg erhalten bleibt, in Frieden, Freiheit und in Wohlstand aufzuwachsen und alt zu werden. Richard Lutz
Ich möchte, dass meinen Kindern und nachfolgende Generationen das Privileg erhalten bleibt, in Frieden, Freiheit und in Wohlstand aufzuwachsen und alt zu werden. Das geht nicht ohne ein starkes, geeintes Europa mit klaren Werten. Das geht nicht ohne offene Grenzen. Das geht nicht ohne einen europäischen Binnenmarkt. Das geht nicht ohne eine europäische Wirtschafts-, Sicherheits- und Klimapolitik. Europa ist ein Privileg, das wir schützen müssen! Wir haben die Wahl. Dieses Recht sollten wir alle wahrnehmen. Deshalb gebe ich im Juni bei der Europawahl meine Stimme ab.
Der Autor:
Richard Lutz ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG (DB).
Dieser Text gehört zu einer Serie von Beiträgen deutscher Unternehmer zur Europawahl, die das Handelsblatt in Kooperation mit United Europe veröffentlicht.