Nur eine sichere Energiewirtschaft mit wettbewerbsfähigen Strompreisen kann helfen, Europa wieder auf einen stabilen Wachstumskurs zu bringen, meint Anne-Marie Großmann. Der Erfolg der grünen Transformation hinge von allen Europäern ab.
Den Artikel können Sie ab dem 3. Mai im Handelsblatt lesen.
Wir brauchen eine Energie-Union für ein unabhängiges Europa
Für unseren Planeten ist die grüne Transformation alternativlos, unsere natürlichen Ressourcen müssen wir erhalten. Ich sehe vor allem die energieintensiven Industrien in der Verantwortung, mit gutem Beispiel voranzugehen. Sie emittieren das meiste Kohlenstoffdioxid in ihren Herstellungsprozessen und können folglich mit gezielten Maßnahmen, zum Beispiel durch Elektrifizierung oder Carbon Capturing, auch das meiste CO2 einsparen. Ein Herunterfahren dieser Industriebereiche ist keine Option. Produkte wie Stahl, Glas oder die vielen Industrie- und Konsumgüter auf chemischer Basis sind Bestandteil unseres modernen Lebens. Und somit weitgehend nicht ersetzbar.
Die Strompreise zehren das Geld auf, welches in vielen Fällen für Investitionen vorgesehen war
Die Stahlindustrie setzt bei der Transformation auf Elektrifizierung, grünen Strom und Kreislaufwirtschaft. Klimaneutralität in 15 Jahren ist das Ziel.Zurzeit wird der laufende Transformationsprozess der Industrie durch sehr hohe Strompreise gelähmt. Inklusive Nebenkosten bezahlen wir in Deutschland das Doppelte des europäischen Niveaus. In ganz Europa sind die durchschnittlichen Strompreise deutlich höher als in Amerika und Asien. Die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie ist gefährdet und die Strompreise zehren das Geld auf, welches in vielen Fällen für Investitionen vorgesehen war.Wir müssen dringend handeln, wenn wir unsere Industrie in Europa halten und dadurch unsere Unabhängigkeit sichern wollen. Europa braucht eine stabile Energiewirtschaft mit wettbewerbsfähigen Strompreisen. Nur so erhalten wir unabhängige und leistungsfähige Schlüsselindustrien und können zu einem konstanten Wirtschaftswachstum zurückkehren.
Ein europaweit koordinierbares Netz an fossiler und atomarer Ergänzungsenergie ist weiter nötig
Wie ist dieses Ziel zu erreichen? Wir müssen zusammenarbeiten! Wir sollten aufhören, auf nationaler Ebene um die besten Konditionen und Subventionen zu buhlen. Die Transformation ist eine gemeinsame europäische Aufgabe, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein. Wir benötigen den beschleunigten Ausbau regenerativer Energiequellen an den Orten, an denen die jeweilige Energie kostengünstig erzeugt werden kann. Dazu bedarf es eines gemeinsamen europaweiten Netzes, das modernen technologischen Standards entspricht und die Energie zu den Unternehmen und den Verbrauchern bringt. Dieses Netz gemeinsam zu planen, auf- und auszubauen, auch für den Transport von Wasserstoff, ist wichtig und notwendig.Unerlässlich ist die Ergänzung unserer Infrastruktur auch zur Sicherung der Grundlastfähigkeit: Flauten, in denen weder Sonne noch Wind den Strom generieren helfen, werden besser beherrschbar, wenn wir aus einem europaweit koordinierbaren Netz an fossiler und auch atomarer Ergänzungsenergie schöpfen können – um Energiespitzen in einem Teil der Europäischen Union (EU) mit Überkapazitäten in einem anderen Teil ausgleichen zu können. Dazu würde auch ein europaweiter Ansatz zur Entwicklung und Platzierung von Speicherkapazitäten für regenerative Energien beitragen und Europa in der Energiefrage flexibler machen.
“Wir brauchen eine Energiepreispolitik, die allen in der EU zugutekommt und unsere Wettbewerbsfähigkeit stärkt – keine deutsche Insellösung.” Anne-Marie Großmann
Wir brauchen eine Energiepreispolitik, die allen in der EU zugutekommt und unsere Wettbewerbsfähigkeit stärkt – keine deutsche Insellösung. Ziel muss es sein, insbesondere Transformationsprojekte und Investitionen in erneuerbare Energien und Wasserstoffinfrastruktur schnell, einfach und planbar mit den dafür nötigen Mitteln auf den Weg zu bringen.Dazu müssen auch die Genehmigungsverfahren harmonisiert und beschleunigt werden. Nur so können wir im globalen Wettbewerb der Standorte bestehen. Es gilt, sich von der gewachsenen Bürokratie in der EU ein Stück weit zu verabschieden und einen pragmatischeren Ansatz zu finden, um mit Programmen wie in den USA (Inflation Reduction Act) oder auch den staatlich geförderten Projekten in China konkurrieren zu können.Und schließlich: Zu einer funktionierenden EU gehört längst nicht nur eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, sondern auch eine gemeinsame Infrastrukturpolitik – das zeigt sich in der Energiefrage ganz deutlich. Nur mit einer Energie-Union können wir die grüne Transformation bewältigen, damit die europäische Wirtschaft daraus gestärkt hervorgeht. An unserer Transformation werden wir erkennen, wie viel gemeinsamer Markt, Agilität und somit wahrer Gemeinsinn in unserer Europäischen Union stecken.
Die Autorin: Anne-Marie Großmann ist Mitglied der Geschäftsführung und Gesellschafterin der GMH Gruppe.
Dieser Text gehört zu einer Serie von Beiträgen deutscher Unternehmer zur Europawahl, die das Handelsblatt in Kooperation mit United Europe veröffentlicht.