Vor dem Hintergrund des 70. Jahrestags der Schuman-Erklärung veröffentlichen wir eine Reihe über die Zukunft der EU. Unsere Young Professionals Advisors reflektieren den gegenwärtigen Zustand der EU und schlagen Wege zur Überwindung der Krise vor.
KLIMA & ENERGIE
In unseren vorherigen Artikeln haben wir über Demokratie, die Finanzkrisen und das Gesundheitswesen in der EU nachgedacht. In diesem Artikel schreiben wir über Klima und Energie in Zeiten der globalen Erwärmung, den Energiewandel und die Corona-Krise.
Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Weltwirtschaft haben auch Einfluss auf die weltweite CO2-Bilanz. Durch die mit der Pandemie verbundene Einschränkung der Mobilität und der Rückgang von Produktion und Rohstoffverbrauch könnten nach Angaben der Internationalen Energieagentur die globalen Treibhausgasemissionen in diesem Jahr um fast 8 Prozent reduziert werden. Allerdings wird dieser Rückgang vermutlich nur vorübergehend sein.
So könnte Covid-19 die Europäische Union von dem Ziel, bis 2050 Klimaneutralität zu sein, eher weiter davon entfernen. Frühere wirtschaftliche Rezessionen, wie beispielsweise die Finanzkrise von 2008, haben gezeigt: sobald die wirtschaftliche Erholung einsetzt, erreichen Emissionen wieder ihr ursprüngliches Niveau und übersteigen es sogar, wenn keine entsprechenden Maßnahmen getroffen werden.
Die der Corona-Krise folgende wirtschaftliche Rezession könnte dazu führen, dass die Kapazitäten und die Bereitschaft von Staaten, Unternehmen und Verbrauchern, in Nachhaltigkeit zu investieren, merklich schwinden. Angesichts des für die Erreichung der Klimaziele 2050 erforderlichen steilen Anstiegs nachhaltiger Investitionen gefährdet eine Verminderung die fristgerechte Zielerreichung. Die Entscheidungen, die Staaten treffen, um sich in Krisenzeiten zu erholen, werden die langfristigen und strukturellen Auswirkungen auf ihre CO2-Bilanz und ihre Wettbewerbsfähigkeit bestimmen und die Behebung von Klimaschäden einschränken.
Die Länder des europäischen Wirtschaftsraums (EWR-Mitglieder) verlieren durch klimabedingte Extreme bereits heute im Durchschnitt 13 Milliarden Euro pro Jahr, und diese Zahl wächst stetig. Dies ist jedoch nur der wirtschaftliche Schaden. Hinzu kommen Todesopfer sowie der Verlust der biologischen Vielfalt und von Landflächen. Die UNO warnt vor Millionen von Klimaflüchtlingen, dieaufgrund der Auswirkungen der Klimakrise aus ihren Häusern vertrieben werden. All dashat weitreichende, möglicherweise explosive Auswirkungen. Fazit: Die Kosten der Klimaziele sind hoch, aber die Kosten der Unfähigkeit, die Treibhausgase zu reduzieren, liegen noch viel höher. Und sie bleiben nicht konstant, sondern wachsen stetig.
Die Klimakrise und das Coronavirus sind eng miteinander verbunden. Weltweit führende Wissenschaftler warnen davor, dass die Zerstörung natürlicher Lebensräume, der Rückgang der Artenvielfalt und die Veränderung der Temperaturen – neben weiteren Bedrohungen – die biologischen Risiken für den Menschen erhöhen. Erste Studien zeigen, dass Covid-19 in verschmutzten Gebieten tödlicher ist. Daher sind wir moralisch und strategisch in einem größeren Maße verpflichtet, auf die Klimakrise zu reagieren.
Da die Auswirkungen des Klimawandels weiter ansteigen werden (u.a. sich ändernde Wettermuster, Abschmelzen der Eiskappen, Erwärmung der Ozeane), ist es von entscheidender Bedeutung, auf EU-Ebene eine Strategie für Widerstandsfähigkeit und lokale Anpassung zu entwickeln, um zu gewährleisten, dass auf unerwartete klimabedingte Schocks reagieren zu können.
Es ist extrem wichtig,dass sich die EU, weiterhin für ihre ehrgeizige Klimaagenda und die Umsetzung des Europäischen Grünen Deals einsetzt. Herausfordernde Zeiten können große Veränderungen hervorrufen, und es liegt an der EU und ihren Mitgliedern, entschlossen und engagiert zu handeln. Nur den halben Weg zu gehen, hilft niemandem, es schafft nur Unsicherheit und Ineffizienz. Wir müssen also das tun, von dem wir wissen, dass es das Richtige ist und das zu anderen Zeiten vielleicht zerstörerisch gewirkt hätte.
Kurzfristig bedeutet das die Unterstützung von Projekten für saubere Energie, Mobilitätsprogrammen sowie die Änderung des Lebensstils, wie es bereits in den Mitgliedstaaten stattfindet. Neben der Bewältigung der schwierigen Situation, welche sich aus dem Umgang mit Viren und wirtschaftlichen Auswirkungen ergibt, sollten sich die Mitgliedsstaaten noch mehr auf die Gestaltung der Politik zur Umsetzung des New Green Deal konzentrieren, um den Bürgern und Unternehmen der EU Klarheit und Sicherheit zu geben. Nur den halben Weg zu gehen hilft niemandem, eher werden Unsicherheit und Ineffizienz geschaffen. Prägnant gesagt, wir müssen das tun, von dem wir wissen, dass es das Richtige ist, das zu anderen Zeiten vielleicht störend gewirkt hätte.
Mittel- bis langfristig bedeutet das, wirtschaftliche Impulse gezielt auf jene Sektoren zu richten, welche zu einer widerstandsfähigen und klimaneutralen Wirtschaft bis zumJahr 2050 beitragen können. Maßnahmen zur wirtschaftlichen Erholung sollten gezielt anhand ihres Beitrags zu den Zielen des New Green Deal betrachtet werden, und insbesondere sollten Investitionen in Projekte und Infrastrukturen zur Ermöglichung des Klimawandels angeregt werden. Europa sollte dabei geradlinig vorgehen: Auch Anbieter außerhalb der EU sollten diehohen Klimaanforderungen erfüllen, um sogenanntes Carbon Leakage zu vermeiden und die Wettbewerbsfähigkeit dereigenen Unternehmen zu erhalten. Dies wird jedoch über eine Kohlenstoffimportsteuer oder ähnliche Maßnahmen nur sehr schwer zu erreichen sein.
Bei einem kürzlich in Paris abgehaltenen Young Professional Seminar kamen wir zu dem Schluss, dass der Übergang zur Klimaneutralität tiefgreifende Veränderungen in allen Teilen der Wertschöpfungs- und Wirtschaftskette erfordert. Eine weitreichende CO2-Reduktion kann nur durch eine signifikante Elektrifizierung industrieller Prozesse erreicht werden, welche zu einem enormen Anstieg der kohlenstoffarmen Stromnachfrage führt. Aus diesem Grund ist eine radikale Senkung der Strompreiseaus erneuerbaren Energiequellen, einschließlich staatlicher Zuschläge und Abgaben, eine wesentliche Voraussetzung für einen erfolgreichen industriellen Wandel. Letztlich müssen wir uns zu einem kohlenstoffarmen EU-Binnenmarkt entwickeln, auf welchem es sowohl Nachfrage als auch Angebot für klima- und umweltfreundliche Produkte gibt.
Um auf einem globalen Markt wettbewerbsfähig zu sein, sollte sich die EU darauf konzentrieren, europäische Champions in der Produktion erneuerbarer Energien und sauberer industrieller und chemischer Prozesse zuzulassen. Die EU-Kommission sollte in ihrem Green Deal prüfen, wie kooperative und innovative Unternehmensökosysteme und globale europäische Akteure gefördert werden können. Auch die Bewertung potenzieller Barrieren, welche sich z.B. aus verbraucherorientierten wettbewerbsrechtlichen Anforderungen ergeben und die Frage, wie diese Bedenken mit der Notwendigkeit einer konsolidierten europäischen Antwort auf ausländische Konkurrenz in Einklang gebracht werden können, sind wichtige und geeignete Punkte für den europäischen Green Deal.
Wir müssen uns daraufkonzentrieren, dass wir keine widersprüchlichen Strategien umsetzen. Wie eine aktuelle Studie des Europäischen Rechnungshofes zeigt, haben europäische Investitionen keinerlei positive Veränderung in der Art und Weise erbracht, wie wir uns in unseren wachsenden Städten bewegen. Die EU hat 16 Milliarden Euro investiert, um die Mobilität nachhaltiger zu gestalten. Da aber die Instrumente lasch waren, haben wir eine weitere Stauwelle bekommen. Das bedeutet, dass Klimaschutzmaßnahmen in jeder unserer Maßnahmen enthalten sein sollten.
Zur Förderung langfristiger Kapazitäten für die Energiewende und zur Bekämpfung der durch die Corona-Krise verursachten Arbeitslosigkeit, sollte die Ausbildung und Umschulung von Arbeitnehmern eine weitere hochrangige Priorität haben. Dasist nicht nur für die Energiewende wichtig, sondern auch für den Übergang unserer Gesellschaften und ihrer schwächsten Mitglieder zu einer neuen Realität der Arbeitswelt und des Erwerbs von Fähigkeiten. Die Krise mit ihren hohen Arbeitslosenzahlen macht dies besonders deutlich.
Auf europäischer Ebene könnte die Bereitstellung von Mitteln für kritische transeuropäische Netze, zum Beispiel im Bereich des Wasserstoff- oder des Kohlendioxidtransports, eine gute Möglichkeit sein, Maßnahmen zur wirtschaftlichen Erholung mit der Förderung des Klimaschutzes zu verknüpfen. Auf eher regionaler Ebene könnte die Konzentration auf Bottom-up-Prozesse wie Energiegemeinschaften und regionale Strategien, zum Beispiel kollektive Gebäudedämmung, ideale Wege sein, den Energiewandel mit der Stärkung der lokalen Wirtschaft zu verbinden.
Europa mag nicht der größte Emittent von Treibhausgasen sein, aber es kann alsstarkes Beispiel für den Rest der Welt dienen. Hier geschaffenen Trends im Bereich Lebensstil haben weltweite Auswirkungen. Daher ist es eine sehr begrüßenswerte Initiative, dass europäische Städte mutig mehr Straßenraum vom Auto zum Fahrrad ausweisen und so die autozentrischen, energie- und raumintensiven Städte umgestalten. Wir bräuchten jetzt einen „Fahrradmoment“ in allen Lebensbereichen: vorwärts oder sogar zurück zu einem weniger energieverbrauchenden Lebensstil, bei gleichzeitiger Förderung von Klima, öffentlicher Gesundheit und wirtschaftlichem Handeln. .
Die einzigartige Geschichte Europas und seine Anpassungsfähigkeit ebnen den Weg nach vorn. Es ist an der Zeit, eine starke Initiative auf allen Ebenen zu ergreifen, auf EU-Ebene, auf der Ebene der Mitgliedstaaten, auf kommunaler und persönlicher Ebene. Europa sollte jetzt mehr denn je als Leuchtturm fungieren und Vorbild für ein kohlenstoffneutrales, die biologische Vielfalt erhaltendes und wohlhabendes Lebensmodell sein.
Autoren: Albert Guasch, Kalina Trendafilova, Dyria Alloussi, Raiko Puustusma, Dinand Drankier, Justinas Lingevicius, Mihkel Kaevats, Felix Klein, Karl Luis Neumann, Silja Raunio, Anna Penninger, Armando Guçe, Mihály Szabó, Andranik Hovhannisyan, Raphael Kohler, Jens-Daniel Florian, Elif Dilmen, Eshgin Tanriverdi, Robert Grecu.
Über die YPAs: Wir sind eine Gruppe von 36 United Europe Alumni aus 20 Ländern. Wir verstehen uns als eine Task Force für United Europe e.V., das junge Führungskräfte aus verschiedenen Regionen Europas fördert. Wir vertreten unterschiedliche, junge europäische Stimmen zu den drängendsten Fragen der EU. Unser Ziel ist es, das Vertrauen der Jugend und der Bürger Europas in das europäische Projekt wiederherzustellen. Wir sind ein Netzwerk, das den beruflichen Austausch zwischen jungen Europäern fördert und Impulse für eine europäischere Denkweise gibt. Wir fördern die Pluralität und wollen neue Ideen für eine intelligente Analyse der EU-Politik entwickeln.