Am 11. Juni lud Günther H. Oettinger unsere Unternehmensmitglieder zu einem virtuellen Debriefing über die Ergebnisse der Europawahlen 2024 ein. Hier ist eine Zusammenfassung dessen, was wir von der kommenden Legislaturperiode in Brüssel erwarten können.
URSULA VON DER LEYEN VOR DER WIEDERWAHL
Der Weg zur Sicherung von der Leyens Wiederwahl scheint dank der kooperativen Haltung wichtiger politischer Fraktionen zunehmend gesichert. Die Europäische Volkspartei (EVP), die Sozialisten und Demokraten (S&D) und die Liberalen werden voraussichtlich eine starke Koalition bilden, die eine solide Mehrheit im Europäischen Parlament gewährleistet. Insider deuten darauf hin, dass von der Leyen ihre Unterstützung möglicherweise auch durch die Einbindung der Grünen und progressiver Elemente innerhalb der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR) stärken könnte. Die enge Zusammenarbeit mit der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni deutet auf einen pragmatischen Ansatz zur Festigung von Ursula von der Leyens Spitzenposition hin.
Spitzenkandidaten
Im Machtpoker um die EU-Spitzenpositionen werden die Sozialisten als zweitgrößte Fraktion voraussichtlich ihre Stellung nutzen, um einflussreiche Ämter zu sichern. Antonio Costa, der ehemalige Premierminister von Portugal, tritt als Hauptkandidat für das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates hervor. Währenddessen haben die Liberalen das Amt des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (EU Außenminister) im Visier, wobei die Premierministerin von Estland, Kaja Kallas, als plausible Kandidatin genannt wird. Die Wiederwahl von Roberta Metsola als Präsidentin des Europäischen Parlaments steht ebenfalls zur Debatte, möglicherweise als Teil eines Kompromisses, bei dem Katharina Barley nach Ablauf der Hälfte der Amtszeit die Nachfolge antreten könnte. Zusätzlich wurde Nadia María Calviño Santamaría aus Spanien zur Präsidentin der Europäischen Investitionsbank (EIB) ernannt.
Politikwechsel und zukünftige Mandate
Die letzten fünf Jahre unter von der Leyen wurden vom Green Deal dominiert, einem Eckpfeiler ihrer Verwaltung und der einzigen Priorität der letzten Legislaturperiode. Die nächste Amtszeit wird jedoch voraussichtlich einen ausgewogenen und pragmatischeren Ansatz verfolgen, der wirtschaftliches Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit priorisiert. Diese Neukalibrierung reagiert auf Kritik, dass die ehrgeizigen Ziele des Green Deals die industrielle Basis Europa schwer belastet haben. Künftig wird die EU-Agenda die Integration der europäischen Energiepolitik, Cybersicherheit, Unterstützung für die Ukraine, Migration, Investitionen in Forschung über Horizon Europe und die Verringerung bürokratischer Hürden priorisieren. Der Fokus wird auf pragmatischer Umsetzung anstatt auf der Erweiterung des legislativen Rahmens liegen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat die Notwendigkeit dieses Paradigmenwechsels betont und stellt die Umsetzung bestehender Regelungen vor neuen Regulierungen in den Vordergrund.
Herausforderungen für die Industrie
Die Industrie steht vor der gewaltigen Aufgabe, eine Vielzahl der im letzten Mandat verabschiedeten Gesetze umzusetzen. In einigen Fällen kann dies bis zu hunderte spezifische Maßnahmen umfassen. Die Unternehmen sind aufgefordert sich über Plattformen wie Business Europe und die jeweiligen europäischen Verbände mit den EU-Gremien zu engagieren, um gesetzgeberische Lasten anzugehen und Konsistenz zu fordern: Im Jahr 2025 wird die neue Kommission den Markt und die vergangene grüne Politik überprüfen, um 2026 erste Anpassungen zu machen.
Geopolitische Überlegungen
Europas geopolitische Haltung bleibt sensibel zwischen den USA und China. Die Europäische Union ist eine transatlantische Union, nahe den Vereinigten Staaten, aber sie muss auch ihren unabhängigen globalen Einfluss behaupten. Eine robuste Handelspolitik, exemplifiziert durch Abkommen wie CETA oder Mercosur, ist entscheidend, um Europas Exportstärke und globale Partnerschaften zu erhalten. Europa benötigt eine starke Führungsriege mit einem starken EU-Außenminister und einem starken Präsidenten des Europäischen Rates.