Am 6. Februar fand unser Advocacy-Seminar in Zusammenarbeit mit Ernst & Young und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin statt, bei dem mehr als 50 junge Führungskräfte über China, die Abhängigkeiten von den Lieferketten und die außenpolitischen Interessen Europas diskutierten.
Hier möchten wir uns bei unserem Firmenmitglied Ernst & Young und Dr. Ferdinand Pavel und Felix Klein für ihre Unterstützung bedanken.
Dr. Jennifer Pernau, Partnerin bei Agora Strategy, Dr. Josef Braml, European Director bei der Trilateralen Kommission, Dr. Ferdinand Pavel, Direktor bei EY und Dr. Tim Rühlig, Senior Research Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, diskutierten u. a. darüber, wie die Europäische Union ihre Position zwischen den USA und China angesichts des industriellen Wandels und der geopolitischen Herausforderungen definieren sollte.
Bitte finden Sie hier den Trailer zum Advocacy-Seminar, die vollständige Aufzeichnung auf unserem YouTube-Kanal und alle Fotos.
Zusammenfassung der Diskussion
Dr. Jennifer Pernau, Partnerin bei Agora Strategy, wies darauf hin, dass Europa in Bezug auf Rohstoffe stark von China abhängig ist. China baut nicht nur Rohstoffe ab, sondern dominiert auch die Verarbeitung von Rohstoffen. Jennifer Pernau empfiehlt, dass Europa seine Herkunftsländer diversifizieren und eigene Kapazitäten zur Rohstoffproduktion und zur Sicherung der Lieferketten aufbauen sollte. Auch im Bereich der erneuerbaren Energien sei Europa stark von China abhängig, zudem erfordern erneuerbare Energien enorme Investitionen in die Infrastruktur. Die Diversifizierung der Lieferketten sei sehr kapitalintensiv. Wenn von einer Entkopplung von China die Rede sei, sei dies für Deutschland derzeit nicht realistisch, insbesondere in der Automobilindustrie, der chemischen Industrie und anderen Sektoren. Eine weitere Abhängigkeit, die Jennifer Pernau erwähnte, betreffe die Halbleiter. Hier ist Europa sehr stark von Taiwan abhängig. Europa müsse damit beginnen, eigene Produktionskapazitäten aufzubauen, so wie die USA. „Wir müssen auf dem europäischen Markt mit einer Stimme sprechen. Wir müssen unsere Preis- und Störanfälligkeit verringern. Wir brauchen mehr Forschung und Entwicklung und mehr Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Unternehmen und Wissenschaft. Wir müssen eine eigene China-Strategie entwickeln und, offen gesagt, eine Strategie für die Zukunft Europas.”
Dr. Tim Rühlig, Senior Research Fellow bei der DGAP, mahnte an, dass Europa in einem Stadium der intellektuellen Trägheit angelangt ist. Das Hauptziel Europas müsse es sein, seine Handlungsfreiheit zu bewahren, für Brüssel die sogenannte „strategische Autonomie”, für Berlin „Souveränität”. Es mögen hier unterschiedliche Begriffe verwendet werden, tatsächlich meinen meine beide das Gleiche. Europa muss die komplexen Zusammenhänge auf den verschiedenen Ebenen angehen, sonst wird es die Herausforderungen nicht wirksam bewältigen können. Tim Rühlig schätzt die chinesische Führung als sehr rational ein: Die Frage ist, ob Europa die chinesische Rationalität versteht. Bislang sei Chinas Reaktion auf den Chips Act zurückhaltend gewesen. China will sich vom Westen und potenziellen Gegnern unabhängig machen. „Wir müssen uns jedoch darüber im Klaren sein, dass dies ein Spiel gegenseitiger Abhängigkeiten bleiben wird. Es sei denn, wir sind bereit, einen enormen Preis zu zahlen und einen Krieg um Taiwan zu riskieren.“ Die Frage bleibt: Wie muss Europa die gegenseitigen Abhängigkeiten gestalten, damit sie wirtschaftliche Vorteile bringen können? Wie kann Europa gleichermaßen effizient wirtschaften und ein Gleichgewicht finden, das es widerstandsfähig gegenüber äußeren Einflüssen und Ereignissen macht? Eine vollständige Entkopplung ist weder machbar noch wünschenswert. Die Frage ist, wie man das Verhältnis ausbalancieren kann. Es gibt nicht die eine Formel für dieses komplexe Problem. Die USA werden bestimmte politische Maßnahmen und Schritte von Europa fordern, und Europa wird Kompromisse finden müssen. Die Frage ist, wie geeint die Europäer bezüglich der Probleme mit China sein werden und wie groß die europäische Solidarität ist, wenn es z. B. darum geht, auf Maßnahmen wie den IRA (Inflation Reduction Act) zu reagieren. Europa sollte über gemeinsame Schulden nachdenken und europäischer werden. Das ist entscheidend, um neben China und den USA bestehen zu können.
„Realistischerweise und auf kurze Sicht wird der einzige Weg nach vorn darin bestehen, eine Gruppe gleichgesinnter Länder innerhalb der EU zu finden, die in Bezug auf China eng zusammenarbeiten. Wenn wir auf einen Konsens aller EU-Mitgliedstaaten warten, wird Europa wahrscheinlich seine Bedeutung im geopolitischen Spiel verloren haben.”
Dr. Ferdinand Pavel, Direktor bei Ernst & Young, unterstrich, dass es an Verständnis für die Herausforderungen mangelt, mit denen Europa konfrontiert ist und warum Europa plötzlich derartig viele Krisen bewältigen muss. Europa kommt von einem jahrzehntelangen Washingtoner Konsens und einer regelbasierten Wirtschaft. Dies hat ein Wirtschaftssystem geschaffen, in dem alles von Kostenüberlegungen und Effizienz bestimmt wird. Politik spielte keine Rolle. Diese Mentalität ist immer noch sehr präsent, doch jetzt verspürt Europa viel stärkere Druckpunkte. Für Dr. Pavel ist die europäische Widerstandsfähigkeit, die Resilienz, der wichtigste Aspekt. „Wir haben ein übergeordnetes strategisches Ziel: die Dekarbonisierung der Industrie. Während dieses Prozesses müssen wir wettbewerbsfähig bleiben.”
Die jüngsten Markteingriffe in den USA im Bereich der erneuerbaren Energien sorgen für große Aufregung. Im nächsten Jahrzehnt wird Europa erleben, dass die USA ihre Produktion von China in die Vereinigten Staaten verlegen wird. Gleichzeitig werden sich einige europäische Unternehmen in den USA niederlassen. In Europa wird versucht, mit komplizierten Instrumenten wie den „Klimaschutzverträgen“, ähnliche Markteingriffe vorzunehmen, doch niemand weiß, was hier genau zu erwarten ist. „Was wir brauchen, sind einfache Instrumente auf der Basis von Steueranreizen, wie sie die USA jetzt eingeführt haben. Die Regeln müssen klar sein und die Verwaltung muss wissen, wie sie die Regeln umsetzen muss. Wir müssen unsere Kräfte bündeln, um eine starke europäische Position zu entwickeln und eine europäische Alternative zu erarbeiten“, so Dr. Pavel abschließend.
Dr. Josef Braml, Europadirektor der Trilateralen Kommission, unterstrich, dass Europa in den letzten Jahrzehnten nicht strategisch gedacht hat. Europa war der Juniorpartner der USA, und die USA haben im europäischen Interesse gehandelt. Washington dachte, die Welt würde seinen Regeln folgen und China würde ein verantwortungsvoller Akteur werden, der nach Washingtons Pfeife tanzt. Das war ein Irrtum.
Laut Dr. Braml leben wir zurzeit nicht mehr in einer Welt der Kooperation, sondern in einer Welt der Konfrontation. „Wir müssen wieder lernen, zusammenzuarbeiten. Wir haben vergessen, dass sich dieser Planet in einer heißen Phase befindet und ein gewisses Maß an Zusammenarbeit erforderlich ist. Wenn wir mit der Abkopplung weitermachen, riskieren wir einen dritten Weltkrieg. Wir befinden uns bereits in einem Kalten Krieg. Entkopplung bedeutet, zwei verschiedene Ökosysteme zu schaffen, und Europa muss sich entscheiden: Wollen wir unser eigener stabiler Pfeiler sein oder wollen wir Juniorpartner der USA oder Chinas sein? „Wir müssen die Vereinigten Staaten von Europa schaffen, die mit gemeinsamen Schulden arbeiten. Nur mit viel Geld können wir den Zusammenhalt schaffen, den wir brauchen. Wir müssen eine bessere Industriepolitik in die Wege leiten, da ist der Markt besser als die Bürokraten in Brüssel. Wir müssen anfangen, uns auf den Kalten Krieg, in dem wir uns jetzt schon befinden, adäquat vorzubereiten und wir müssen aufpassen, dass er nicht zu einem heißen Krieg wird. So oder so, ein vereintes Europa wäre die Antwort!“, schloss Josef Braml seine Ausführungen.
Die Diskussion wurde von Dyria Sigrid Alloussi, Programmdirektorin bei United Europe e.V., und Felix Klein, Ernst & Young, moderiert. Herzlich möchten wir uns bei allen Teilnehmern bedanken.