So wie sein Vorgänger Barak Obama kämpft auch Präsident Biden gegen ein feindliches Umfeld. Seine Gegner sind nicht nur anderer politischer Auffassung. Das wäre in einer Demokratie nicht nur normal, sondern begrüßenswert. Sie sind Feinde des demokratischen Wandels der struktur-und sozialpolitischen Ziele der Demokraten, weil sie davon überzeugt sind, diese würden mit Steuern ihrer Klientel finanziert.
Bei Obama waren es die mehr oder weniger alten weißen Männer, die sich einen schwarzen Präsidenten im Weißen Haus nicht vorstellen wollten. Dabei stellte er sich am Ende als einer der Integersten in einer langen Reihe von Präsidenten heraus.
Biden hat es schwerer. Er führt einen Kampf in einem durch Hass, Intoleranz und ideologische Verblendung gespaltenen Land, was sich auch im Kongress widerspiegelt. Expräsident Trump bekämpft ihn mit Lügen (gestohlene Wahl), Beleidigungen und vor allem der Geiselnahme seiner Republikaner, die um ihre politische Zukunft bangen. Sein – nach Meinung von Experten überschätztes Vermögen – versetzt Abweichler in seiner Anhängerschaft in Angst und Schrecken. Nicht zu Unrecht ist man dort davon überzeugt, er werde bei den nächsten Wahlen ihre Wiederwahl verhindern. Es gibt allerdings zurzeit erste Absetzbewegungen im Senat, wie beispielsweise den Mehrheitsführer Mitch McConnell, der sich gegen die republikanische Bewertung des Sturms auf das Capitol am 6. Januar 2021 als legitime Meinungsäußerung aussprach. Diese Bewertung wurde selbst gemäßigten Republikanern zu viel. Aber als überzeugter Republikaner und langjähriger Trump-Gefolgsmann wird er diesem am Ende die Gefolgschaft nicht verweigern. Es ist sein Versuch, moderate Kongressmitglieder seiner Partei nicht zu verlieren und politischen Einfluss zu behalten.
Das erste Jahr seiner Amtszeit ist für den Präsidenten kaum von Erfolg gekrönt. Alles begann unerwartet gut. Überparteiliche Zustimmung im Kongress fand das Infrastruktur-Gesetz (1,2 Billionen Dollar) zur Förderung der US-Infrastruktur und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dieses Gesetz wird in Breite und finanziellem Umfang als Jahrhundertereignis gewertet. Investitionen in Brücken, Wasserversorgung, Hochtechnologie, Umwelt und die marode Infrastruktur sowie Arbeitsplätze konnten auch die Republikaner nicht verhindern, ohne befürchten zu müssen, bei ihren Wählern unglaubwürdig zu werden. Das war es dann aber auch für sie. Jetzt folgt die Blockade – keine Aussicht im Kongress für Bidens ebenso ambitioniertes sozialpolitisches Gesetzesvorhaben American Family Plan (1,75 Billionen Dollar) vor den Kongress-Zwischenwahlen im November.
Zurzeit läuft vieles gegen Biden. Die Zustimmungsrate für ihn liegt mit 33% noch unter der Obamas in dessen Zeit. Die Inflationsrate ist mit 7% so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Covid 19 Pandemie ist noch lange nicht überwunden. Man kann Biden nur wünschen, dass die USA von dem derzeitigen Welttrend sinkender Inzidenzen mitgezogen werden. Noch wichtiger wird sein, wie der Präsident die Spannungen mit Russland über die Ukraine in den Griff bekommt. Das dürfte trotz aller innenpolitischer Probleme das Wählerverhalten besonders beeinflussen. Die Abneigung gegen Kriege ist in der amerikanischen Gesellschaft nach den Erfahrungen der letzten Jahre groß. Seine Ablehnung einer militärischen Unterstützung der Ukraine durch Lieferung schwerer Waffen findet daher breite Zustimmung. Ebenso die Drohung mit massiven Wirtschaftssanktionen einschließlich eines Stopps für Nordstream 2 und letztendlich das Ende von Swift. Letzteres wäre die nukleare Option in der Weltwirtschaft einschließlich des Finanzsektors. Aber auch die USA und Europa wären betroffen. Der internationale Finanzmarkt geriete in Gefahr, internationale Finanztransaktionen werden unmöglich.
Die Entscheidung zwischen Krieg und Frieden liegt im Wesentlichen bei Putin. Eine bewaffnete Auseinandersetzung würde einen neuen Kalten Krieg verursachen. Er täuscht sich allerdings in der Annahme, er könne daraus als Gewinner hervorgehen. Russland wäre im Westen und weiteren Teilen der Welt isoliert und auf die Zusammenarbeit mit Rogue States in seiner Region wie Belarus zurückgeworfen. China hat eigene Interessen, die sich nicht nur an Moskauer Vorstellungen orientieren. Man kann sich nicht vorstellen, wie Russland das wirtschaftlich überleben will und welche innenpolitischen Konsequenzen dies bei einer verarmenden Bevölkerung hätte.
Bidens Aufruf an alle US-Bürger, die Ukraine innerhalb von 24 Stunden zu verlassen, sollte Putin nicht als Schwäche ansehen. Das könnte eine gefährliche Fehleinschätzung eines entschlossenen amerikanischen Präsidenten bedeuten. Deutschland und andere Europäer sowie asiatische Staaten folgen der USA. Es bildet sich mehr und mehr eine Allianz gegen Russland. Putin behauptet, der Aufruf der Amerikaner an die US-Bürger, die Ukraine zu verlassen, sei eine Provokation und führe zu einer weiteren Eskalation. Er begründet damit seinerseits die Schließung der russischen Botschaft in Kiew. Ursache und Wirkung werden hier in grotesker Weise verdreht.
Der US-Präsident befindet sich in einer schwierigen Situation. Er trägt die Verantwortung für die Amerikaner, die sich in der Ukraine aufhalten. Seine Feststellung, Russland gehöre nicht zu den Terrororganisationen, er könne somit US-Bürger nach einer Invasion der Russen nicht mit militärischen Mitteln evakuieren, ohne einen Weltkrieg zu riskieren, ist richtig. Auf Grund seiner Verantwortung für die amerikanischen Staatsbürger hatte er aber die Pflicht, sie über die russischen Drohungen zu informieren. Sie müssen wissen, was auf sie zukommen könnte, wenn sie in der Ukraine bleiben.
Aber wie versteht Putin diese Botschaft – als einen Ausdruck der Stärke oder der Schwäche? Wird er die von Biden gewünschten Schlüsse ziehen? Putin sieht die Welt zynischer und würde im umgekehrten Fall möglicherweise anders reagieren. Seine Einschätzung könnte sein, dass die Amerikaner die Ukraine verlassen und damit die Schwelle für eine militärische Antwort höher legen. Biden ist dafür bekannt, dass er sich in Reden zweideutig äußert und sich später korrigieren muss. Kürzlich erklärte er, die amerikanische Reaktion hinge davon ab, wie weit Putin bei einem Einmarsch gehen würde. Diese Erklärung wurde vom Weißen Haus rasch berichtigt. Vermutlich hat Putin sofort überlegt, ist der Donbass zu viel oder zu wenig. Gegebenenfalls könnte ihm am Ende die Annexion der Ostukraine als der erwünschte Erfolg ausreichen. Die genaue Zahl der Ausländer in der Ukraine ist nicht bekannt. Aber man möchte nicht wissen, was passiert, wenn alle gleichzeitig aufbrechen. Für die Ukraine ist das keine frohe Botschaft.
Ein Umstand verbindet Biden mit Putin: Beide haben mit innenpolitischen Problemen zu kämpfen. Putin ist Präsident auf Lebenszeit. Aber er ist nicht unangreifbar. Sein Ansehen in Russland hat gelitten. Selbst in Sicherheitskreisen tauchen inzwischen kritische Stimmen auf. Die Unzufriedenheit der Menschen ist gestiegen. Der Wirtschaft geht es nicht gut. Ein weiterer Verlust seiner Glaubwürdigkeit könnte ihm schaden. Dies ist wohl auch eine Erklärung für sein derzeitiges Verhalten. Die Bedrohung durch die NATO und die angebliche Täuschung durch den Westen sind eher Hilfsargumente, auch wenn sie einen Funken Berechtigung haben. Kann er aber unter diesen Bedingungen einen Krieg riskieren?
Biden stehen die sog midterm-elections im November bevor. Seine politische Handlungsfreiheit als Präsident gegen eine mögliche republikanische Mehrheit im Kongress steht auf dem Spiel.
Seine Chancen, die Zwischenwahlen zu gewinnen, stehen nicht gut. Die Manipulationen des Wahlrechts durch die Republikaner in ihren jeweiligen Staaten könnten am Ende das Ergebnis zu Lasten der Demokraten umkehren, weil sie unterprivilegierten Wählerschichten den Wahlgang erschweren.
Es ist schwer vorstellbar, das Biden 2024 noch einmal antreten kann. Man sieht ihm jetzt schon zunehmend sein Alter an. Problem für die Demokraten ist, dass keine Nachfolge in Sicht ist. Kamala Harris hat es bisher nicht geschafft, Profil zu zeigen und stößt immer mehr auf Kritik. Ohne einen überzeugenden Kandidaten der Demokraten für 2024 dürfte Trump erneut gewählt werden. Vorausgesetzt er tritt wieder an oder wird nicht noch vorher von Gerichtsverfahren eingeholt.
Der amerikanische Geheimdienst hat für kommenden Mittwoch die russische Invasion vorausgesagt – eine weitere Merkwürdigkeit in dieser Zeit. Am kommenden Dienstag – so die bisherige Planung – wird der Bundeskanzler nach Moskau reisen. Selbst wenn sich die Kanzlerreise als Mission Impossible herausstellen sollte, jede Anstrengung ist es Wert, unternommen zu werden. Viel Hoffnung gibt es nicht. Wie Putin seine Armee und schweren Waffen ohne Prestigeverlust abziehen will, bleibt ein Rätsel. Was kann ihm zur Gesichtswahrung ausreichen. Aber auch die Amerikaner haben hoch gepokert. Kreativität auf allen Seiten ist gefragt – auch in der Ukraine!
Deutschland kann zurzeit mit Präsident Biden zufrieden sein. Er hat die Bundesregierung gegen die internationale Kritik verteidigt und für die Grenzen politischen Handels in Deutschland Verständnis gezeigt. Die eigentliche Bewährungsprobe für seine Fähigkeit zu führen, steht unmittelbar bevor.
Ein Beitrag von Jürgen Chrobog, deutscher Botschafter in den USA und Staatssekretär des Auswärtigen a.D., Präsident des Europäischen Senates-Politik der Wir Eigentümerunternehmer, Partner Berlin Global Advisors, Beraterstab Consileon Business Consultancy, KarlsruheBerlin, und Mitglied bei United Europe.