Einführung von Günther H. Oettinger, Präsident von United Europe
„Wir müssen unsere Emissionen in unseren Mitgliedsstaaten als Europäische Union und auch weltweit reduzieren. Ursula von der Leyen und ihr Team haben den Green Deal über den Brexit hinaus zu ihrer Hauptpriorität erklärt und es ist wichtig, dass dies jenseits von Handelsproblemen, jenseits der Corona-Pandemie priorisiert wird. Aber: Eine neue Strategie muss klug und ausgewogen sein.
Bis zum Jahr 2019 haben wir mit verschiedenen Maßnahmen, dem EU-Emissionshandel (ETS), durch die Modernisierung unserer Industrien und durch neue Energiestrategien das Emissionsvolumen um 24 % reduziert. Da lag auch daran, dass veraltete sowjetische Fabriken in Krakau, in Warschau geschlossen wurden. Dieser Effekt aber ist ein einmaliger Effekt, er wird so nicht zu wiederholen sein. Die Juncker-Kommission hat 2017-2019 zusammen mit dem Europäischen Parlament und dem Rat eine Anzahl von Zielen erörtert, darunter die CO2-Emissionen bis 2030 um 40 % zu reduzieren und diese Reduzierung in fünf wichtige Sektoren aufgeteilt: Energie, Landwirtschaft und Ernährung, Gebäude, Wohnungen und Mobilität. Viele industrielle Branchen und der gesamte Energiesektor haben ein ETS-Emissionshandelssystem; ein marktbasiertes System, mit dem die Emissionen von Jahr zu Jahr gesenkt werden. Für den Mobilitätssektor, nämlich für Autos, haben wir ein zweites System: Bis zum Jahr 2030 darf eine Flotte von Neuwagen pro Kilometer 130, 105, 95 und schließlich nur noch 65 Gramm CO2 ausstoßen. Für Gebäude haben die europäischen Richtlinien bis zu null Emissionen vorgesehen, für die Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion gibt es noch kein Instrument.
Aber unsere Branchen brauchen Planungssicherheit. Es ist nicht einfach, ein neues Zielsystem und einen Ausblick für 2030 zu entwickeln, wenn der bis zum Jahr 2021 erneut geändert wird. So kündigte die Kommissionspräsidentin vor ihrer Wahl an, bis zu 55 % zu reduzieren, jetzt diskutiert das Parlament bereits eine Reduzierung um 60 %. Wir müssen erneut umdenken. Was bedeuten 55 % oder 60 % Prozent für den Energiesektor, für unsere Industrien, für die Produktion von Aluminium, Stahl, Kupfer, für unsere Gebäude, für die Automobilbranche?
Europa braucht eine ausgewogene Strategie. Klimawandel einerseits, Reduzierung der CO2-Emissionen, industrielle Wettbewerbsfähigkeit andererseits. Wir brauchen Stahl, Kupfer, Aluminium. Wir brauchen es für Windkraft, für Brücken, für Gebäude, für den Bausektor, für das verarbeitende Gewerbe, für LKW. Und es wird eine Produktion von Stahl, Aluminium und Kupfer geben. Aber wenn unsere Regeln zu streng sind, wenn unser Strom nicht preiswert genug ist, kann die europäische Industrie nicht überleben. Und dann würden diese Waren aus Indien, der Türkei, China und Russland importiert; aus Ländern, die wenig effiziente Fabriken betreiben und höhere Emissionen aufweisen.
Das ist nicht gut für unsere Arbeitsplätze, den Arbeitsmarkt und die Besteuerung, und es hilft auch nicht, weltweite Umweltziele zu erreichen. Und hier kommt die nächste Idee aus Brüssel: ein Kohlenstoff-Grenzausgleichsmechanismus, oder besser gesagt eine Kohlenstoff-Grenzsteuer. Ich glaube nicht, dass das ein gutes Instrument ist. Es verstößt gegen die WTO-Regeln, gegen unsere Handelsabkommen. Und – nehmen Sie ein Auto aus Südkorea mit zweitausend Komponenten, die aus Europa kommen, von u. a. Valeo, von Magna und Conti, das in Südkorea hergestellt und dann in Europa verkauft werden soll. Wie soll man hier vorgehen, um zu wissen, welche Komponenten und welches Werkzeug unseren Regeln entspricht und welches durch mehr CO2-Emissionen entsteht?
Wirtschaftsverbände und Unternehmen sollten ein klares Signal setzen. Was ist aus technologischer Sicht, aus Sicht des Business Case akzeptabel und was nicht? Gegenwärtig hört man kaum Stimmen aus unserer Privatwirtschaft oder unserer Industrie. Die Debatte wird zwischen Politikern und NGOs in den Medien geführt, keine Klage aus der Industrie, keine starken und klaren Positionen unserer Verbände, unserer Führungskräfte und unserem Privatsektor.“
In der folgenden, sehr engagierten Diskussionsrunde gab es viele unterschiedliche Meinungen und Anmerkungen. So wurde angeregt, dass der Weg auch darin bestehen sollte, in neue Technologien zu investieren und zu verdeutlichen, dass einige der alten Industrien nicht mehr funktionieren werden. Auch gab es Zweifel an Brüssels Offenheit für Diskussionen, ob Brüssel wirklich zuhören wird, wenn einem Chemie- oder Stahl-Manager Zweifel kommen.
Günther H. Oettinger verdeutlichte hier, dass die Europäische Kommission von einem fairen Dialog weit entfernt ist. Auch erläuterte Herr Oettinger, dass Europa aus der Corona-Pandemie geschwächt herausgehen wird. Die Gewinner werden US-Datengiganten wie ist Google, Alphabet, Facebook, Amazon sein und natürlich China.
Ein Diskussionsteilnehmer verdeutlichte, dass die die USA unter Joe Biden und China bis 2050 klimaneutral werden wollen. Das würde bedeuten, dass die europäische Industrie viel sauberer werden muss, um hier wettbewerbsfähig zu bleiben. Günther H. Oettinger erwiderte hier, dass es ihm nicht um die Ziele 2050 sondern um die Ziele 2030 geht. Was bedeutet der Green Deal für die Energie und die Versorgungssicherheit? Was bedeutet er für den Automobilsektor, die Automobilhersteller und Zulieferer in unserer EU? Was heißt das für die Stahl-, Aluminium- und chemische Industrie? Hier fehlt eine konkrete und detaillierte Analyse.
Die Aufzeichnung der Diskussion finden Sie hier.