Dieser Text stammt von einem Team unserer Young Professionals Advisors, in dem sie ihre Ansichten über die EU-Sicherheit formulieren.
Anna Romandash ist Journalistin und hat sich auf Östliche Partnerschaft und Sicherheit in der Region spezialisiert. Die gebürtige Ukrainerin hat an Krisenberichterstattung und Projekten zum Aufbau von Kapazitäten gearbeitet. Vlado Planinčić aus Bosnien und Herzegowina hat während seines Studiums viel zur europäischen Integration gearbeitet und großes Interesse daran, die Beziehung der westlichen Balkanländer zu verbessern. Eshgin Tanriverdi kommt aus Aserbaidschan und ist Doktorand/Forscher im Bereich Internationale Beziehungen. Er ist derzeit in der Türkei tätig und verfügt über Expertise in regionalen Sicherheitsfragen im Südkaukasus und in der Türkei. Dyria Alloussi aus Deutschland ist die Migrationsexpertin der Gruppe. Als Beraterin war sie 10 Jahre im Mittleren Osten und in Nordafrika tätig. Derzeit arbeitet sie in einem Inkubator für Unternehmer mit Migrationshintergrund und Flüchtlinge.
Der Kalte Krieg und die daraus resultierende Stabilität schufen einzigartige Bedingungen in Europa: Auf der einen Seite lagert die EU ihre Sicherheit an die NATO aus und verfügt nicht über eine gemeinsame europäische Armee; auf der anderen Seite erfordern die zunehmenden externen Herausforderungen ein verstärktes Handeln aller Mitgliedsstaaten. Die Zahl neuer EU-Initiativen, die darauf abzielen, die Zusammenarbeit zu fördern und die Verteidigungsfähigkeit Europas zu stärken, nehmen zu. Sie stehen in engem Zusammenhang mit den jüngsten globalen und regionalen Entwicklungen wie der Zunahme des Terrorismus, hybriden Kriegen an den Grenzen der EU und der Migrationskrise.
Für Dyria ist klar, dass die Migrationskrise zu einem politischen Wandel in der EU beigetragen hat: Flüchtlingswellen lösten bei einigen in der EU intensive Angst und Feindseligkeit aus und ermöglichten so die Machtübernahme populistischer Politiker. Persönlichkeiten wie Victor Orban und Matteo Salvini gewinnen Stimmen, während sie die europäischen Werte offen in Frage stellen und gleichzeitig von der EU-Mitgliedschaft profitieren. Angesichts der zunehmenden regionalen Konflikte und Polarisierung richtet die EU ihre Aufmerksamkeit nach innen, sollte aber zur Lösung der bestehenden Herausforderungen sich mehr der globalen Ebene zuwenden.
Seit Januar 2019 kamen mehr als 83.000 Migranten über das Mittelmeer und über andere Wege nach Europa. Frontex, die EU-Grenzagentur, steht vor einer wachsenden Herausforderung bei der Verwaltung von Neuankömmlingen und der Unterstützung von Flüchtlingszentren in Drittländern ohne Exekutivbefugnisse. Da noch immer beträchtliche Zahlen von Flüchtlingen in die EU kommen, wie sieht die Außenpolitik der EU zu diesem Problem genau aus?
Laut Vlado ist der Haushalt eine der schmerzhaftesten Debatten der EU-Mitgliedstaaten, welches besonders in der Frage um Sicherheit deutlich wird. Die globalen Verteidigungsausgaben sind gestiegen, auch in Europa (rund 1,4% im Jahr 2018 oder 364 Milliarden Dollar), wodurch es die drittgrößte Ausgabenregion weltweit geworden ist. Da Europa ein Fünftel der weltweiten Militärausgaben ausmacht, gehören Frankreich, Italien, Großbritannien und Deutschland zu den führenden Ländern.
Obwohl mehrere EU-Mitglieder – wie die mittel- und osteuropäischen Länder – ihre Sicherheitsausgaben erhöht haben, haben nicht alle das 2%ige “NATO-Ziel” erreicht. Dies führt nicht nur zu internationaler Kritik, sondern verweist auch auf die regionalen Unterschiede bei der Wahl der Prioritäten für die EU als Ganzes.
Anna weist darauf hin, dass das Fehlen einer klaren gesamteuropäischen Sicherheitsstrategie angesichts der Instabilität in der Region und der internen und externen Konflikte riskant ist. “Nachdem Russland die Krim annektiert hatte, begann die NATO, dem nord-mitteleuropäischen Raum mehr Aufmerksamkeit zu schenken”, sagt Jamie Shea, NATO Deputy Assistant Secretary General for Emerging Security Challenges (2010-2018). Seiner Meinung nach gibt es viele Herausforderungen für die NATO-Mitglieder, wie z.B. weniger Truppen in Europa, das Fehlen eines effizienten Transportsystems und die Notwendigkeit, sich auf neue Herausforderungen einzustellen. “Unsere Feinde werden nicht auf klassische Weise kämpfen, wie wir es in Europa gesehen haben”, fügt Shea hinzu. Wie sollte Europa also reagieren?
Eshgin bemerkt, dass einige EU-Mitgliedstaaten Sicherheitsbedenken teilen und stellt die Frage, ob sie im Verteidigungsbereich aktiver werden sollten. Besteht Bedarf an einer europäischen Armee? Kontinuierlich ist der militärische Sektor eine Priorität in der EU: daher wurden Organisationen wie die Europäischen Organisationen der Militärverbände und die Gewerkschaft (EUROMIL), der Militärausschuss der Europäischen Union (EUMC) und die Militärische Planungs- und Führungsfähigkeiten (MPCC), zu einem wichtigen Bestandteil der Politik in Europa.
Zusammengefasst ist die gesamte europäische Sicherheitslandschaft aber äußerst kompliziert: sie weist momentan fast alle denkbaren Formen der Unsicherheit auf, außer der klassischen militärischen. Unter Berücksichtigung der derzeitigen äußeren und inneren Bedingungen sollte die EU jedoch in der Lage sein, ihre Sicherheitsinteressen zu verteidigen und bei Bedarf strategisch Verantwortung zu übernehmen.
Die Herausforderung bleibt offen: Besteht Bedarf und politischer Wille für einen großen Schritt in Richtung EU-Armee? Oder gibt es eine Alternative, die diskutiert wird? Hat die EU schließlich einen Konsens über Grenz- und Migrationsfragen und eine drohende militärische Bedrohung an ihren Ostgrenzen? Diese Probleme bleiben ungelöst.
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