Entgegen den auf dem europäischen Kontinent gehegten Hoffnungen wird die „America First“-Politik von US-Präsident Donald Trump während der 116. Legislaturperiode des US-Kongresses wahrscheinlich bestätigt werden. Nunmehr wird es für Trump leichter sein, mit der neuen demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus einen „new Deal“ zu schließen. Schließlich sind Trump und Bernie Sanders, ein selbsternannter Sozialist, beide Kritiker des Freihandels und wollen vor allem Arbeitsplätze für amerikanische Arbeiter schaffen.
Laut Trumps Wahlkampfstratege Stephen Bannon, der seine Absichten unmittelbar nach Trumps Wahlsieg äußerte, besteht angesichts der (immer noch) niedrigen US-amerikanischen und globalen Zinsen die Möglichkeit, Amerika zum Nutzen seiner „Arbeiterklasse“ wieder aufzubauen und damit eine politische Neuausrichtung zu schaffen. Bannon sah interessante Zeiten voraus, ähnlich denen der 1930er Jahre, und eine weitere Chance für mutige und hartnäckige Experimente, ähnlich Franklin Roosevelts „New Deal“-Ära. Bannon sah einen größeren Wandel als bei der „Reagan Revolution“ voraus: eine Versammlung von Konservativen und Populisten in einer „wirtschaftlich-nationalistischen Bewegung“.
Politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger auf der ganzen Welt sollten diese radikalen Pläne ernst nehmen und aufhören zu hoffen, dass die Checks and Balances in den Vereinigten Staaten, namentlich der Kongress, sie dämpfen werden.
Indem Tump Handelszölle mit nationaler Sicherheit begründet, kann er die legislative Kontrolle untergraben. Es war der US-Kongress mit dem Trade Expansion Act von 1962, der dem Präsidenten im Falle einer Bedrohung der nationalen Sicherheit Handelsbefugnisse übergab. Zwar könnte der Gesetzgeber diese Befugnisse auch wieder übernehmen. Aber aufgrund der aktuellen politischen Situation ist dies sehr unwahrscheinlich. Präsident Trump müsste vermutlich nicht einmal ein Veto gegen ein solches gesetzgeberisches Mittel einlegen, weil er zudem auf viele protektionistisch gesinnte Demokraten zählen könnte, die den Gesetzentwurf in den Ausschüssen oder im Plenarsaal stoppen, bevor er überhaupt auf seinem Schreibtisch landet.
Durch die Durchsetzung von Strafzöllen auf Stahl und Aluminium aus Gründen der nationalen Sicherheit erweiterte Trump nicht nur seine nationalen, sondern auch seine internationalen Befugnisse. Tatsächlich hat er bereits die amerikanischen NATO-Verbündeten erpresst und die Welthandelsorganisation untergraben.
Militärische Macht: ein wirtschaftlicher Wettbewerbsvorteil
Bei der Verknüpfung von Handels- und Sicherheitspolitik sieht Trump die amerikanischen NATO-Partner eher als Gegner denn als Verbündete: Ihre Exporte in die Vereinigten Staaten betrachtet er als nationale Sicherheitsbedrohung. Europäische Handelspartner können nur dann eine Befreiung von Strafzöllen beantragen, wenn sie zur Verbesserung des amerikanischen Handelskontos beitragen.
Europäische „Verbündete“ können Trumps guten Willen nur verdienen, wenn sie amerikanische Waffen kaufen, technologisch abhängig bleiben und so das Leistungsbilanzdefizit Amerikas reduzieren. Diejenigen, die den Schutz Amerikas bewahren wollen, müssen mehr zahlen – und dieser Tribut ist nicht nur in Bezug auf die Sicherheit, sondern auch beim Handel fällig.
Künftig stellt die militärische Macht den wichtigsten wirtschaftlichen Wettbewerbsvorteil dar. Sie ist sehr nützlich, um in einem zunehmend wettbewerbsorientierten internationalen geopolitischen Umfeld zu gewinnen – mit dem Recht des militärisch Stärksten und auf Kosten aller anderen Nationen.
Dieses Denken von Trump und seinen Beratern, das in der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA ausdrücklich als „realistisch“ bezeichnet wurde, steht im Widerspruch zu der liberalen internationalistischen Sichtweise, die von weniger muskulösen Ländern wie Deutschland bevorzugt wird. In einer liberalen Weltordnung spielen Organisationen und Konzepte wie die WTO, die Vereinten Nationen, das Völkerrecht und der Gleichheitsgrundsatz der UN-Charta eine zentrale Rolle. Doch nach Trumps darwinistischer Ansicht, in der das Militär alles rechtfertigen und die Dominanz Amerikas garantieren könne, sind multilaterale Organisationen ein Hindernis, weil sie darauf abzielen, das Völkerrecht zu stärken und auch „schwächeren“ Ländern im Konzert der Nationen eine gleichberechtigte Stimme zu geben.
Eine nationale Sicherheitsbedrohung für die WTO
Vor allem Trump hat das multilaterale Handelssystem immer wieder als „schlechtes Geschäft“ für Amerika kritisiert. Die militärische Macht als Verhandlungsgrundlage nutzend, begründet er Strafzölle mit der nationalen Sicherheit und verfolgt nicht nur nationalistische wirtschaftliche Interessen, sondern untergräbt auch die internationale WTO.
Deutsche Autos hat die Trump-Administration vorerst noch nicht wie Stahl und Aluminium zu einer Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA erklärt. Trotz des Missfallens von EU- und deutschen Beamten, gewährte Trump Anfang Dezember 2018 deutschen Automobilherstellern ein Treffen im Weißen Haus mit sich selbst und Mitgliedern seines Wirtschaftsteams, darunter Handelsminister Wilbur Ross und der US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer, bei dem sich die Automobilhersteller verpflichteten, mehr Arbeitsplätze in den USA zu schaffen.
Zuvor, im Juli 2018, hatte der scheidende Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, Trump erfreut, indem er angeboten hat, der EU-Schutzmacht Tribut zu zollen: Anstelle von russischem Gas will Europa nun teureres verflüssigtes Erdgas aus den USA beziehen und die Investitionskosten für die Terminals tragen.
Gleichwohl wurde die feindliche Weltsicht des US-Präsidenten gestärkt, als die Europäische Union bei der WTO Klage gegen die Vereinigten Staaten einreichte. Trumps taktisches Angebot, die Reform der internationalen Organisation zu unterstützen, könnte bald durch eine strategische Drohung ersetzt werden, die WTO für irrelevant zu erklären.
Selbst im besten Fall würde eine Streitbeilegung lange dauern. Folgenschwerer ist jedoch der Paradigmenwechsel, der durch Trumps Verknüpfung von Handel und Sicherheitsfragen verursacht wird, da es zunächst höchst fragwürdig ist, ob die WTO Handelsstreitigkeiten beilegen kann, die aus Gründen der nationalen Sicherheit gerechtfertigt sind. Nach dem Präzedenzfall Amerikas könnten auch andere Nationen die Sicherheitskarte spielen. Dies würde das Ende der regelbasierten internationalen Ordnung bedeuten.
Keine Vergeltungsmaßnahmen, aber Abbau von Ungleichgewichten
Es ist zwar verlockend, auf protektionistische Maßnahmen der USA mit Gegenzöllen zu reagieren, aber das wäre sehr gefährlich. Eine weitere Eskalation würde insbesondere exportorientierte Länder wie Deutschland treffen. Ein Schlagabtausch könnte die Weltwirtschaft wie in den 1930er Jahren in eine tiefe Rezession stürzen – mit ähnlich schädlichen Folgen.
Ein bedenkenswerterer und am Ende wirksamerer Schritt wäre es, das Problem der Handelsungleichgewichte zu erkennen und zu verringern. Dieser Ansatz würde Chancen für Deutschland und Europa bieten.
Permanente Handelsungleichgewichte sind ein politisches Problem. In Ländern mit Defiziten verleiten sie die Menschen zu dem Glauben, dass Ausländer ihre Industrien berauben. Sie nähren die Illusion, dass das Land von protektionistischen Maßnahmen profitieren würde. Wie vor dem Brexit-Referendum in Großbritannien haben sich auch deindustrialisierte ländliche Gebiete gegen die städtischen Gebiete in den Vereinigten Staaten aufgelehnt. Trump gewann die Wahlen 2016 gegen das so genannte Establishment und die „Globalisten“, weil er versprach, die Globalisierung zu bekämpfen, die in der Vergangenheit hauptsächlich von den Vereinigten Staaten selbst angetrieben wurde.
Zwar hat Trump damit Recht, dass Europa mehr in die Vereinigten Staaten exportiert als umgekehrt. Aber das US-Handelsdefizit ist nicht darauf zurückzuführen, dass die Europäer sein Land ausgeraubt haben. Es ist vielmehr die logische Folge einer fehlenden Sparquote. Solange die USA nicht sparen, sondern über ihre Verhältnisse leben, werden sie ein Handelsdefizit haben.
Die US-Regierung, Haushalte und Unternehmen haben über ihre Verhältnisse gelebt, indem sie Kredite aus dem Ausland aufgenommen haben. Denn Deutschland und andere exportorientierte Länder waren bereit, auf Binnen-Konsum und eigene Investitionen zu verzichten und dafür den überzogenen Lebensstandard der Vereinigten Staaten mitzufinanzieren.
Permanente Handelsungleichgewichte schaffen auch wirtschaftliche Probleme. Länder mit Überschüssen sollten den Inlandsverbrauch anregen, Haushaltsüberschüsse vermeiden und die Investitionsbedingungen verbessern. Wenn Überschussländer wie Deutschland steuerliche Anreize für die Investition von Ersparnissen im Inland schaffen würden, könnten die Handelsungleichgewichte verringert werden. Im Vergleich zu anderen Industrieländern hat Deutschland eine der niedrigsten Investitionsquoten. Bund, Länder und Kommunen könnten ihre Investitionen in die öffentliche Infrastruktur in Deutschland erhöhen, zum Beispiel in Bildung und Schulen, Stromnetze, Straßen und in ein bundesweites Glasfasernetz.
Unternehmen und institutionelle Investoren könnten auch dazu beitragen, den Kapitalstock in Deutschland und Europa zu verbessern, indem sie mehr in die einheimische Infrastruktur und weniger in die „tiefen“ US-Märkte investieren. So wie es ist, besteht für sie das große Risiko, ihr „Vermögen“ wieder zu verlieren, wenn die Verschuldung in den Vereinigten Staaten wieder außer Kontrolle gerät. Die privaten und öffentlichen Schulden der USA haben bereits ein alarmierendes Niveau erreicht, und die exorbitante Verschuldung steigt weiter an. Seit einiger Zeit warnt das U.S. Congressional Budget Office, eine überparteiliche Forschungsbehörde, davor, dass die steigende Verschuldung der Vereinigten Staaten erhebliche Risiken für einen weiteren finanziellen Zusammenbruch mit sich bringt, der die Handlungsfähigkeit der US-Regierung gefährden würde.
Weniger umfangreiche Auslandsfinanzierungen würden die Vereinigten Staaten unter Druck setzen, ihren Haushalt auszugleichen und ihre exorbitanten Schulden zu tilgen. Es ist kein Geheimnis, dass Defizitländer, vor allem das unverantwortliche Finanzverhalten der Vereinigten Staaten, makroökonomische Ungleichgewichte im globalen Maßstab schaffen. Risikotransaktionen führten in den Jahren 2007–2008 zur Finanzkrise, die die Weltwirtschaft bedrohte und die Vermögenswerte vieler internationaler Investoren vernichtete.
Wenn die ersten alarmierenden Anzeichen der globalen Aktienmärkte irgendein Indikator sind, bleibt nicht mehr viel Zeit, um zu verhindern, dass die zunehmenden makroökonomischen Ungleichgewichte wieder durch einen Schock korrigiert werden, der die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft zieht und erneut die politischen Systeme, auch in Europa, bedroht. Es ist höchste Zeit, ein „Europe United“ zu schaffen, um im globalen geo-ökonomischen Wettbewerb zu überleben und erfolgreich zu sein.
Jetzt ist es an der Zeit, den Geburtsfehler der Europäischen Union zu beheben, nämlich die Errichtung einer Wirtschaftsunion ohne politische Union. Die Einrichtung eines europäischen Finanzministers, eines regelbasierten Finanzanpassungssystems, einer gemeinsamen Arbeitslosen- und Sparversicherung, einer Bankenunion und eines Europäischen Währungsfonds wären die nächsten konsequenten Schritte. Wenn der Euro politisch gestärkt würde, könnten auch ausländische Investoren einen sicheren Hafen in der Europäischen Union finden.
Dr. Josef Braml ist Senior Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er ist Autor des Buches „Trumps Amerika – Auf Kosten der Freiheit“ und des Blogs „Der USA-Experte“.
Der Text erschien erstmals im International Economy Magazine, The Magazine of International Economic Policy, Winter 2019, S. 64-65, 78-79, in englischer Sprache. Die englische Fassung finden Sie hier.