Wie weit kann der Dollar noch an Wert gewinnen? Das ist eine schwierige Frage, die den Anlegern im Kopf herum geht. Der Anstieg des Dollars und der Fall des Euro spiegeln das jeweilige Wachstum in Amerika und Europa wider und zeigen die Gründe für das Versagen der Eurozone auf:
Gegen verantwortungslose Regierungen wird nicht vorgegangen, Reformen und Steuern werden nicht in Angriff genommen.
Der Dollar hat seit Anfang Mai 2014 gegenüber allen Hauptwährungen signifikant an Wert gewonnen, insbesondere gegenüber dem Euro. Viele Experten sagen voraus, dass der Anstieg sich fortsetzen wird und der Dollar-Euro Wechselkurs bald 1,20 oder 1,10 erreichen könnte. Wir behaupten, dass die wichtigsten Faktoren für den Dollarwechselkurs die Stärke des amerikanischen Aufschwungs, die Schwäche Deutschlands und die doppeldeutige Haltung der Europäischen Zentralbank sind. Der Euro wird so lange fallen, wie die gegenwärtige Situation andauert – neue Szenarien werden erst dann auf der Bildfläche erscheinen, wenn es in Europa zu Strukturveränderung kommt, oder wenn die Schwäche des Euro und die Stärke des Dollars anfangen, tragende Teile der Wirtschaft zu treffen.
Der Dollar-Euro-Wechselkurs lag im Mai nahe an der 1,40 Marke. Heute pendelt er zwischen 1,26 und 1,27. Der Greenback stieg um sechs Prozent gegenüber dem Yen, fünf Prozent gegenüber dem britischen Pfund und stieg auch gegenüber den anderen Hauptwährungen an.
Was ist also geschehen? Spiegelt diese Neuausrichtung die Stärke des Dollars und der US-Wirtschaft oder die Schwäche des Rests der Welt wider? Wie weit kann die relative Stärke des Dollars gehen und was treibt den Dollar an?
Die einzigen wirklich wichtigen Wirtschaftsnachrichten seit Anfang 2014 betreffen das Wachstum. Die US-Wirtschaft scheint mit beachtlicher Geschwindigkeit mit einem Wachstum von 2,2 Prozent im Jahr 2014 voranzukommen. Für das Jahr 2015 sind 3,1 Prozent vorausgesagt, wenn keine größeren Spannungen auftreten. Die Arbeitslosigkeit ist gering, die Staatsverschuldung ist unter Kontrolle, und die Inflation liegt mit ungefähr zwei Prozent auf Kurs.
Im Gegensatz dazu verlangsamt sich das Wachstum in China und liegt in Deutschland bei enttäuschenden 1,5 Prozent im Jahr 2014.
Die zweitbeste Lösung
Zur gleichen Zeit scheinen die Mächtigen in der Weltwirtschaft verlegen zu sein, wenn es um eine brauchbare Lösung geht. Nachdem im Jahr 2008 die Wirtschaftskrise ausgebrochen war, verschafften die Zentralbanker der Weltwirtschaft eine Atempause indem sie sich in eine allzu großzügige Geldpolitik flüchteten. Allerdings hatten sie nicht den Mut, schnell genug zurückzurudern, und sie akzeptierten letztendlich, dass diese vorläufigen Maßnahmen zu einer Dauereinrichtung wurden – eine zweitbeste Lösung, während die beste Lösung gewesen wäre Strukturreformen durchzuführen und die Disziplin der öffentlichen Finanzwirtschaft einzufordern.
Es überrascht nicht, dass eben jene Zentralbanker zögerten und die Anleger ohne eine verlässliche Ausrichtung zurückließen.
Das wurde im Mai 2014 offensichtlich und seither reagierten die Anleger, indem sie ihr Vermögen in die ihres Erachtens sichersten Häfen verlegten. Dieser Rolle entsprach der Dollar aus zwei Gründen.
Zuerst, weil Janet Yellen, Präsidentin der amerikanischen Zentralbank, kurz ‘Fed”, deutlich machte, dass das Ende des Programms des ‘leichten Geldes’ nur noch eine Frage der Zeit ist, dass ein Anstieg der Zinssätze nicht mehr in weiter Ferne liegt und dass kein führender amerikanischer Unternehmer besondere Bailout-Programme nötig hat.
Zweitens, weil im Gegensatz dazu ihr Kollege Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank, den Eindruck vermittelt, dass ‚Herumwursteln’ immer noch die Devise ist.
Unbeständige Aktienmärkte
Die Erwartungen bezüglich der Zinssätze und der langfristigen Geldpolitik weisen auf eine anhaltende Stärkung des Dollars und auf eine Schwächung des Euro hin. Anleger haben sich allmählich an das neue finanzpolitische Klima angepasst und ihre Vermögenswerte entsprechend verlagert. Die Tatsache, dass die Aktienmärkte in den Vereinigten Staaten und in Europa während der letzten Monate unbeständig waren, jedoch ohne klaren Trend, zeigt, dass die Kapitalanlagen in Aktien in Europa und den USA durch die erst kürzlich erfolgten Finanzströme hin zum Dollar nicht beeinflusst wurden. Bei den meisten dieser Mittel handelt es sich in der Tat wohl eher um Liquidität auf der Suche nach einem ruhigen “Parkplatz”. Die Suche könnte noch für ein paar weitere Monate andauern und der Dollar könnte weiter steigen.
Beobachter scheiterten bislang daran eine detaillierte Theorie zu entwickeln, die erklärt, wie weit der Dollar-Euro Wechselkurs noch gehen könnte. Es wird argumentiert, dass irgendwann ein Punkt erreicht sein wird, an dem eine zunehmende Anzahl von Anlegern glaubt, dass der Dollar ‘zu weit’ gestiegen ist. An diesem Punkt könnte der Finanzstrom stoppen und der Wechselkurs könnte sich stabilisieren.
Weitere Verlangsamung
Aber wie viel ist ‘zu weit’? Ein flüchtiger Blick auf Finanzrundschreiben zeigt, dass die meisten Kommentatoren glauben, Anleger sollten beginnen ihre Dollarbestände zu verkaufen, wenn der Wechselkurs des Dollars zum Euro unter 1,20 fällt. Genau dieselben Kommentatoren räumen ein, dass der Euro noch weiter fallen könnte, obwohl die Begründungen für solch einen zusätzlichen Kursrückgang eher einer Übung im Extrapolieren entstammen als einem Erklärungsversuch.
Gewinnmitnahmen könnten bei einem symbolischen Niveau von 1,20 oder 1,10 auftreten, und der Run auf den Dollar könnte eine Verschnaufpause einlegen, wenn Anleger Aktien hereinnehmen und die Alternativen bewerten. Und dennoch, man könnte wahrscheinlich fundierte Stellungnahmen entwickeln, wenn man sich die verschiedenen Szenarien vorstellt, die sich in naher Zukunft ergeben könnten.
Ein Szenario bezieht sich auf die Möglichkeit, dass im Jahr 2015 ein weiterer globaler Rückgang im Wirtschaftswachstum eintreten wird und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Welt um weniger als 3,5 Prozent wächst. Der Internationale Währungsfonds hat bereits seine globale Wachstumsprognose für 2015 von 4,0 auf 3,8 Prozent revidiert. In diesem Fall würden wir wahrscheinlich Zeugen eines massiven Verkaufs von Aktien, unsicherer Antworten von Seiten der Zentralbanker und einem Run auf liquide Mittel und womöglich auf riskante hochverzinsliche Anleihen werden.
Die sicherste Währung
Der überragende Sieger wäre der Dollar, die mit Abstand sicherste Währung, die Ende 2015 paritätisch zum Euro gehandelt werden könnte, insbesondere wenn die Situation der Staatsverschuldung in einigen Kernländern des Euroraums, wie Italien und Frankreich, sich weiter verschlechtert.
Ein zweites Szenario würde eine Stagnation oder sogar Rezession in ausgewählten Ländern aufzeigen. Im Mittelpunkt dieses Szenarios steht Deutschland. Seine wirtschaftliche Zukunft ist entscheidend für die Wirtschaft und die Politik der Eurozone. Wenn Deutschland weiter fällt, wird der Euro aller Wahrscheinlichkeit nach erheblich fallen, sollte die EZB nicht im Stande sein zu reagieren, indem sie einen glaubwürdigen geldpolitischen Plan vorlegt und auch umsetzt, der weitere Bailouts ausschließt und die Zinsen auf ihren eigentlichen Marktwert steigen lässt.
Wenn die EZB Entschlossenheit zeigt und mit den Versuchen aufhört, einen populistischen Ersatz für schmerzhafte Heilmittel zu finden, könnte sich der Euro sogar von seinem aktuellen Niveau erholen. Viele Beobachter bezweifeln, dass Draghi imstande sein wird dies zu erreichen, insbesondere falls das europäische Bankengewerbe fragil ist, keine drastischen Maßnahmen unternommen werden um die Staatsschulden zu reduzieren und wenn es zu einer Art von Zahlungsverzug kommt.
Das kritische Warnsignal
Eine dritte Möglichkeit besteht darin, dass sich der gegenwärtige pessimistische Nimbus bis Anfang 2015 auflöst. Gemäß diesem Szenario erholt sich Deutschland und kehrt zu einer Wachstumsrate von zwei Prozent zurück, während Chinas BIP seinen Anstieg bis auf circa sieben Prozent fortsetzt. Die Aufwertung des Dollars gegenüber dem Euro würde bald enden und womöglich unter solchen Umständen eine Kehrtwende einlegen.
Das wahrscheinlichste Szenario ist unserer Ansicht nach das zweite, und wir glauben, dass die Entwicklung der deutschen Wirtschaft das kritische Warnsignal sein wird, für das was auf den Devisenmärkten geschehen wird. Die Störquellen für die deutsche Wirtschaft liegen sowohl im In- als auch im Ausland. Im Inland haben die neue Gesetzgebung zu den Mindestlöhnen und die Frühpensionierung negative Signale ausgesendet. Im Ausland bieten Hauptexportmärkte wie China, Russland, Frankreich und Italien weniger Chancen als angenommen.
Die Perspektiven für 2015 sind nicht ermutigend.
Es überrascht daher nicht, dass die Anlageinvestitionen in Deutschland sinken und dass die politischen Entscheidungsträger unschlüssig sind, was die Strategien angeht, die den deutschen Interessen entgegenkommen könnten sowie über die Art der Botschaften, die Berlin an die EZB aussenden sollte.
Die magische Schwelle
Mit anderen Worten, es gibt keine magische Schwelle für den Dollar-Euro Wechselkurs. Vielmehr sollte man drei Fragen beantworten:
– Wie weit sollte der Euro fallen, um die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen, die in der Eurozone erzeugt wurden, anzukurbeln?
– Wie weit kann der Dollar steigen, ohne das Wachstum in den Vereinigten Staaten abzuwürgen?
– Wie lange werden die politischen Entscheidungsträger in Europa brauchen, um ihr Haus in Ordnung zu bringen und die Situation zu beenden, in der die EZB eine Geisel schwacher Banken, verantwortungsloser Regierungen und all derer ist, die den Unternehmergeist durch Steuern und Regulierungen ausbremsen?
Unsere Szenarios ergeben drei unverbindliche Vorhersagen:
(1) es ist unwahrscheinlich, dass sich die EZB vor dem Frühjahr 2015 mit glaubwürdigen und konsistenten Strategien beschäftigen wird.
(2) der Anstieg des Dollars wird aller Voraussicht nach nicht bald beendet
(3) wir werden Zeugen von wichtigen Neuanpassungen in der Waren- und Dienstleistungswirtschaft, wenn der Wechselkurs des Dollars zum Euro unter 1,10 fällt.
Neue Szenarien werden dann und nur dann auf der Bildfläche erscheinen.
Dieser Bericht wurde von Professor Enrico Colombatto verfaßt und wird unseren Mitgliedern mit freundlicher Genehmigung von © Geopolitical Information Service AG, Vaduz zur Verfügung gestellt:
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