„Wenn Europa einträchtig sein gemeinsames Erbe verwalten würde, dann könnten seine Einwohner in Glück, in Wohlstand und ohne Grenzen leben.“ Bereits Winston Churchill wusste, was ein vereintes Europa bedeuten könnte. Umso wichtiger war diese erste gemeinsame Konferenz, die European Economic Conference (EEC) der F.A.Z., United Europe und der ESMT (European School of Economics) am 26. und am 27. September im ehemaligen Staatsratsgebäude in Berlin.
Die EEC überzeugte über zwei Tage mit zeitgemäßen Themen wie Energie, Klima, Digitalisierung und Mobilität. In kurzer Zeit ist Europa mit so vielen parallelen Herausforderungen konfrontiert, wie vorher in Jahrzehnten. Welchen Stellenwert haben Zukunftsthemen wie Digitalisierung und Klimaschutz im Augenblick? Wie gewinnt Europa eine neue, wertebasierte Souveränität angesichts veränderter geopolitischer Spannungsfelder? Wie sieht der Status quo des europäischen Wirtschaftsraums aus?
„Europa wird in Krisen geschmiedet werden, und es wird die Summe der zur Bewältigung dieser Krisen verabschiedeten Lösungen sein.“ Mit dieser Formel umschrieb Jean Monnet (1888–1979), der wichtigste Gründervater der EU, die Logik der europäischen Integration. Sie wird immer dann zitiert, wenn der Prozess ins Stocken gerät. So auch heute. Über mögliche Lösungen, die diesen zurzeit sehr schwierigen Prozess unterstützen können, wurde auf dem EEC mit folgenden Referenten diskutiert. Dr. Anton Hofreiter, Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, Die Grünen; Christian Lindner, Bundesminister der Finanzen, FDP; Heli Tiirmaa-Klaar, Direktorin, Institut für Digitale Gesellschaft, ESMT; Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V.; Daniel Gros, Direktor des Brüsseler Think Tanks „Centre for European Policy Studies“ (CEPS); Prof. Dr. B. Jacobs, Professor of Public Economics, School of Business and Economics, Vrije Universiteit Amsterdam, Netherlands; Maria Röttger, CEO & President, Michelin Europe North; Kimon Zorbas, Leiter der Abteilung Public Affairs, DATEV eG.
Der erste Impulsgeber war Dr. Anton Hofreiter, der u. a. seine Sorge darüber ausdrückte, dass Europa nicht mehr in der Lage sein wird, alle Krisen gleichmäßig angemessen zu behandeln, verschwindet doch die eine Krise nicht, weil die andere präsenter ist. „Wenn wir an die Ukraine denken”, so Hofreiter, „haben wir Fehler gemacht. Wir haben als Gesellschaft und als damalige Regierung Fehler gemacht.
Die Hoffnung, einen diplomatischen Weg mit Russland zu finden, war falsch. Wir haben uns geirrt, die Osteuropäer hatten schon 2014 Recht. Sie hatten 2008 Recht, sie hatten mit Tschetschenien Recht. Wir waren zu schwach gegenüber Autokratien und Diktatoren. Wir haben nicht sehen wollen, in welche Richtung sich Russland und China in den letzten Jahren entwickelt haben. Wenn wir Europa handlungsfähiger machen wollen, müssen wir als Deutschland in einem größeren Umfang unsere Führungsqualität wahrnehmen. Und die Führungsrolle anzunehmen, heißt nicht, dass wir deutsche Interessen mit großer Härte durchsetzen, sondern dass wir die Macht Deutschlands für europäische Interessen einsetzen und versuchen werden, diese europäischen Interessen umzusetzen.
Siegfried Russwurm, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V., diskutierte u. a. die Frage „Was kommt auf Europa zu? Gibt es in der EU genug Energie?” Russwurm geht davon aus, dass es mit der Energie im deutschen Winter gerade so reichen wird. Es wird knirschen, nicht großflächig, aber in einigen Ecken könnte es schwierig werden. Fatalismus ist hier allerdings keine Charaktereigenschaft von Unternehmern und Unternehmerinnen.
„Es hat mich in den letzten Wochen gewundert“, so Russwurm, „wie viele Unternehmer und Unternehmerinnen ganz konkret vorbereiten, die Produktion aus Deutschland in andere Länder zu schieben. Machen wir uns nichts vor, das ist eine neue Qualität, die wir so noch nicht in der deutschen Diskussion hatten.”
Bundes-Finanzminister Christian Lindner erläuterte seine Positionen und seinen finanzpolitischen Kurs, an dem nicht nur die deutsche Stabilität, sondern auch die europäische Stabilität hängt. „Ungefähr vor zehn Jahren habe ich Hans-Dietrich Genscher, den Rekordaußenminister, zu einer Reihe von Gesprächen zur Vorbereitung eines gemeinsamen Buches („Brückenschläge“, 20213) getroffen. Es ging um die Bedeutung Europas und um den europäischen Friedensprozess. Ich sagte, Herr Genscher, Sie können die Vorzüge Europas doch nicht als Friedensprojekt preisen, Frieden haben wir doch! Was für ein Irrtum: Jetzt haben wir wieder Krieg auf europäischen Boden. Energie wird als Waffe eingesetzt! Europa muss in der Energieaußenpolitik gemeinsam vorgehen. Deutschland muss seinen Teil beitragen und darf nicht nur andere Länder wie die Niederlande liefern lassen.
Gemeinsame Werte können eine Einladung sein, gemeinsam stärker zu agieren. Die makroökonomische Entwicklung besorgt mich sehr, aber die expansive Fiskalpolitik der vergangenen Jahre hat gewiss einen Beitrag dazu geleistet, dass wir solch eine Inflation in Deutschland und Europa erleben. Ich bin davon überzeugt, dass die Inflation die größte Gefahr für unser wirtschaftliches Fundament in Europa und in Deutschland ist. Die erste Priorität muss sein, gemeinsam in der Währungsunion und in der europäischen Union dieser Herausforderung zu antworten.”
Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung und Mitglied des Präsidiums des BDEW und ehemalige Grünen-Politikerin, äußerte sich u. a. zu einer sicheren und klimafreundlichen Energieversorgung.
„Angesichts unserer Lage steht es außer Frage, dass wir die Gas-Importeure schützen und stützen müssen. In einer Kette, wo wir einen Importeur, einen Energieversorger, einen Zwischenhändler und einen Endkunden haben, können wir den Importeur nicht hängen lassen. Das würde zu unkontrollierbaren Domino-Effekten führen. Die Abhängigkeit von russischem Gas war etwas, wo wir alle zusammen reingegangen sind.”
Unter dem folgenden Link können Sie alle Beiträge der europäischen Zukunftskonferenz sehen.
Wir danken dem Herausgeber der F.A.Z., Herrn Gerald Braunberger, dem Team der F.A.Z-Konferenzen und den Kollegen der ESMT für die gemeinsame Organisation der ersten EEC in Berlin am 26. und 27. September 2022.