United Europe veranstaltete am 17. März ein Advocacy-Webinar, das sich mit der Frage beschäftigte, wie die europäischen Bahnbetreiber mit dem grenzüberschreitenden Reiseverkehr und der Ukraine-Krise umgehen. Matthew Parsons, Redakteur bei Skift, einem Unternehmen für Reiseinformationen, moderierte die Diskussion. Auf dem Podium berüßten wir Iga Niznik, Managerin für die EU und internationale Angelegenheiten bei den ÖBB (Österreichische Bundesbahnen). Desweiteren begrüßten wir Christoph Lerche, Leiter Verkehrspolitik Europa bei der Deutschen Bahn AG, Jeremie Pelerin, Direktor für europäische Angelegenheiten bei der SNCF (Société nationale des chemins de fer français) und Kathrin Obst, stellvertretende Referatsleiterin für den einheitlicher europäischen Eisenbahnraum, GD Move bei der Europäischen Kommission.
Die Podiumsteilnehmer sprachen zunächst über die aktuellen Hilfsaktionen, an denen sich die Bahnbetreiber im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine beteiligen: Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) stellen ukrainischen Flüchtlingen Freifahrscheine zur Verfügung und haben bisher rund 21.000 Fahrkarten ausgegeben. Iga Niznik betonte, dass die ÖBB hier auf Erfahrungen aus dem Jahr 2015 zurückgreifen konnten. Auch unterstützen die ÖBB die polnischen Eisenbahnen mit zusätzlichen Zügen. Die Deutsche Bahn stellt ebenfalls kostenlose Zugtickets für Personen zur Verfügung, die aus der Ukraine kommen. Bis heute hat die Deutsche Bahn hier rund 128.000 Tickets ausgestellt, so Christoph Lerche. Die Deutsche Bahn stellt auch Busse zur Verfügung, die Menschen aus Polen an verschiedene Orte in Deutschland bringen. Am Berliner Hauptbahnhof wurde in Zusammenarbeit mit Freiwilligen, Nichtregierungsorganisationen und lokalen Behörden eine zentrale Anlaufstelle eingerichtet. Die Deutsche Bahn hat auch eine humanitäre Eisenbahnbrücke von Deutschland in die Ukraine gegründet. Der Zug ist immer noch das sicherste Verkehrsmittel in der Ukraine, und die Deutsche Bahn versucht, so viel humanitäre Hilfe wie möglich in die Ukraine zu bringen. Die SNCF verzeichnet weniger Flüchtlinge, die mit dem Zug nach Frankreich kommen, einfach weil es weiter westlich liegt, so Jeremie Pelerin. Die SNCF gewährt ukrainischen Flüchtlingen, die aus Belgien oder Deutschland kommen, kostenlose Fahrkarten zur Weiterreise. In Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz hat die SNCF in den wichtigsten Bahnhöfen Frankreichs spezielle Einrichtungen eingerichtet und Busse organisiert. Außerdem beteiligt sich die SNCF gemeinsam mit der Deutschen Bahn an der humanitären Brücke, um Güter in die Ukraine zu bringen.
Die Europäische Kommission zeigte sich von diesen Bemühungen beeindruckt: „Es gibt eine große gemeinsame Anstrengung der Transportunternehmen, um zu helfen“, sagte Kathrin Obst. Die Kommission aktivierte das System des vorübergehenden Schutzes auf EU-Ebene, das ukrainischen Flüchtlingen die Möglichkeit gibt, sich innerhalb der EU frei niederzulassen und Zugang zu Bildung und Arbeit zu erhalten. Es ist das erste Mal, dass die Europäische Union Flüchtlingen einen Rechtsstatus gewährt, ohne dass sie diesen beantragen müssen.
Matthew Parsons, Skift: Die Europäische Kommission hat im Dezember einen Aktionsplan für den Schienenverkehr vorgestellt und erklärt, dass grenzüberschreitende Fahrten nur 7 % der mit der Bahn in Europa zurückgelegten Kilometer ausmachen. Warum ist diese Zahl so niedrig?
Kathrin Obst, GD Move: Diese Zahl sagt nur aus, dass das Hauptgeschäft der Eisenbahnunternehmen heute darin besteht, Pendler zur Arbeit und inländische Geschäftsreisende von A nach B zu bringen, und dass der Schwerpunkt der Eisenbahnunternehmen heute noch nicht im internationalen Verkehr liegt. Das bedeutet nicht, dass es der Bahn an Leistung mangelt. Es bedeutet, dass wir sie gerne verstärken würden. Wir möchten, dass Menschen, die international reisen, die Bahn als Standardoption betrachten. Hier arbeiten wir mit den Mitgliedstaaten zusammen, um sicherzustellen, dass der rechtliche Rahmen funktioniert, stoßen dabei aber noch auf Hindernisse. Es gibt technische Probleme mit der Interoperabilität. Die Vereinheitlichung der Signalsysteme ist ein wichtiger Faktor. Wir sind dabei, ein Signalsystem namens ERTMS einzuführen, das dies erleichtern wird. Wir haben ein verstärktes Infrastrukturnetz für die Schiene vorgeschlagen. Zusammen mit dem Aktionsplan haben wir die Verordnung über die transeuropäischen Verkehrsnetze vorgelegt, die einen Entwurf dafür liefert, wie die Infrastruktur in Europa aussehen sollte. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Hochgeschwindigkeitsnetzen, insbesondere im Osten Europas und einer besseren Einbeziehung von Flughäfen.
Es geht nicht darum, die Schiene gegen den Luftverkehr auszuspielen, sondern vielmehr darum, wie man besser zusammenarbeiten kann. Dann gibt es noch das Problem der Verfügbarkeit von Schienenfahrzeugen. Für neue Unternehmen ist es nicht einfach, Finanzmittel für einen Schienenfuhrpark zu erhalten. Wenn Sie heute einen Zug fahren wollen, müssen Sie eine Trasse für die Hin- und Rückfahrt buchen, das ist teuer. Die Art und Weise, wie diese Trassen zugewiesen werden, ist komplex. Und der rechtliche Rahmen ist starr. Er wurde auf einem System aufgebaut, bei dem es genügend Kapazität für alle gab. Heute ist die Kapazität jedoch knapp und muss effizienter verwaltet werden. Wir stellen fest, dass vor allem Personenzüge recht hohe Trassenpreise zahlen müssen. Diese Gebühren verteuern den Preis für den Endverbraucher. Wollen wir das wirklich, oder gibt es hier andere Möglichkeiten? Das Ticketing ist ein großes Thema. Wir werden Ende dieses Jahres einen Rechtsvorschlag zum Ticketing vorlegen. Es stellt sich die Frage nach der Gleichbehandlung mit anderen Verkehrsträgern. Es gibt Steuerbefreiungen für den Luftverkehr, aber nicht für die Bahn. Ein Ryanair-Ticket kostet 40 €, während das Bahnticket viel mehr kostet. Einige dieser Fragen haben wir bereits mit dem FITFOR55″-Paket angesprochen, das die Kommission letzten Sommer vorgelegt hat. Wir arbeiten mit den Kollegen, die für Erasmus zuständig sind, daran, die Nutzung des Zuges für junge Personen attraktiver zu machen. Es ist wichtig, dass junge Menschen die Bahn mehr nutzen – das ist das Ziel des Aktionsplans.
Matthew Parsons, Skift: Es ist interessant, so viel über die Infrastruktur und das Ticketing zu hören. Jeremie, was halten Sie von dem Aktionsplan?
Jeremie Pelerin, SNCF: Was die SNCF betrifft, würde ich sagen, dass wir den Aktionsplan im Großen und Ganzen unterstützen. Wir haben die gleiche Vision wie die Kommission, nämlich dass die Schiene in der Zukunft der grenzüberschreitenden Mobilität eine wichtige Rolle spielen soll. Es gibt noch viel zu tun, um die Situation zu verbessern. Nehmen Sie die Frage der Trassenpreise. Das ist in Frankreich ein wichtiges Thema, weil wir sehr hohe Trassenpreise haben. Aber es ist auch ein Weg, um Investitionen in die Infrastruktur zu finanzieren. Wenn man also die Gebühren senkt, muss man andere Quellen zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen finden.
Matthew Parsons, Skift: Iga, sind Sie aus Ihrer Sicht mit dem Aktionsplan einverstanden oder haben Sie andere Prioritäten auf der Agenda?
Iga Niznik, ÖBB: Wir glauben, dass es ein sehr positiver Schritt in Richtung nachhaltige Mobilität ist. Was die Gleichbehandlung betrifft, hätten wir uns ein bisschen mehr Ehrgeiz gewünscht. Und was uns ebenfalls Sorgen macht, ist der Mangel an Finanzierung. Wir brauchen eine Infrastruktur, in der die Züge fahren können. Wir brauchen Finanzmittel für die Digitalisierung, um die Dinge effizienter zu machen. Und wir sehen nicht die Investitionen, die notwendig sind. In Österreich haben wir jetzt eine sehr bahnfreundliche Regierung, aber wenn wir die Finanzierungsfrage den Mitgliedsstaaten überlassen, befürchten wir, dass nichts passieren wird.
Christoph Lerche, Deutsche Bahn: Auch wir begrüßen den Aktionsplan sehr. Wir denken, dass er in die richtige Richtung weist. Bezüglich der gleichen Wettbewerbsbedingungen: Es ist eine merkwürdige Situation, dass es für Flüge innerhalb Europas keine Mehrwertsteuer gibt, für viele grenzüberschreitende Züge aber schon. Es ist gut, dass die Kommission das in Angriff nehmen will. Die Infrastruktur ist die Mutter des Schienenverkehrs: Ohne Infrastruktur können wir keine attraktiven Angebote machen. Das ist im Moment definitiv die Priorität neben den Initiativen zur Förderung der technischen Interoperabilität. Die Kommission hat bereits viel getan, aber es gibt noch einige Schritte zu tun. Ein Aspekt, bei dem wir uns nicht einig sind, ist das Ticketing: Hier müssen die öffentlichen Akteure, aber auch die Eisenbahnen, noch viele Hausaufgaben machen.
Matthew Parsons, Skift: Es ist in jedermanns Interesse, gleiche Bedingungen zu schaffen, um den grenzüberschreitenden Verkehr zu fördern. Für die Infrastruktur braucht es Investitionen. Kathrin, was ist Ihre Antwort? Wer zahlt für die Bahnverbindungen? Ist die Europäische Kommission dafür verantwortlich oder müssen die Mitgliedsstaaten selbst Geld in ihre Infrastruktur investieren?
Kathrin Obst, GD Move: Die EU verfügt über das Geld, das die Mitgliedstaaten in langfristigen Haushaltsberatungen für die EU freigegeben haben. Letzten Endes ist es also das Geld der Steuerzahler. Ob es von der EU oder den Mitgliedstaaten kommt, ist vielleicht nicht die wichtigste Frage. Wir investieren sehr viel in die Eisenbahninfrastruktur; die Infrastruktur ist der Schlüssel. Man kann keinen guten Zugverkehr betreiben, wenn die Infrastruktur nicht gut ist. Und wenn wir uns unsere Modellierung ansehen, wie wir auf dem Weg zur Dekarbonisierung vorankommen, ist die Fertigstellung des TEN-V-Netzes ein wichtiger Punkt. Ohne dieses Netz werden wir Dekarbonisierung nicht erreichen. Wir haben die Connecting Europe Funds, die eine beträchtliche Summe in grenzüberschreitende Projekte investieren. Außerdem haben wir gerade im Rahmen der COVID-Konjunkturbelebung fast 50 Milliarden Euro nur für den Schienenverkehr und für Schienenprojekte bereitgestellt. Und das ist mehr Geld, als wir jemals im Rahmen der Fazilität Connecting Europe zur Verfügung hatten.
Matthew Parsons, Skift: Jeremy erwähnte den Aspekt der Fahrkartenausstellung. Ich frage mich, ob Sie der Meinung sind, dass zwischen den Bahngesellschaften genug getan wird, wenn es um die Fahrscheindaten geht. Ist es einfach, länderübergreifende Bahntickets auf einer Plattform zu buchen? Wollen einige der Bahnunternehmen vielleicht den Kunden für sich behalten und nicht wirklich Daten austauschen?
Kathrin Obst, DG Move: Es gibt verschiedene Dinge, die wir vom Ticketing erwarten. Es ist wichtig, dass man das Ticketing aus der Perspektive der Fahrgäste betrachtet, denn für sie machen wir es ja. Die Leute empfinden das Umsteigen manchmal als sehr stressig. Und realistisch betrachtet, ist es bei längeren Strecken sehr selten, dass man mit einem einzigen Zug von A nach B kommt. Wenn Sie Zugangebote zwischen der Deutschen Bahn und den ÖBB oder der SNCF und der Deutschen Bahn kombinieren, müssen Sie wissen, dass Sie nicht auf sich allein gestellt sind, wenn etwas schief geht und Sie einen Zug verpassen. Und um den Eisenbahnunternehmen gegenüber fair zu sein, denke ich, dass in den letzten Jahren eine Menge Arbeit geleistet wurde. Die Eisenbahnunternehmen stehen manchmal in Konkurrenz zueinander, auch wenn das nicht so sehr die Deutsche Bahn und die ÖBB betrifft, aber z. b. die Reise mit den Flix-Zügen. Als Fahrgast möchte man doch das komplette Angebot finden und diese Fahrkarten kaufen können. Und ich denke, dass die Gesetzgebung an dieser Stelle dringend notwendig ist.
Matthew Parsons, Skift: Es gibt ein Ticket namens Klima-Ticket, das unbegrenzte Fahrten ermöglicht. Bei Skift schreiben wir viel über Abo-Pakete, die Hotels und sogar Fluggesellschaften auf den Markt bringen. Was halten Sie davon, mehr davon für Personen anzubieten, die auf Abonnement-Basis in andere Länder reisen wollen?
Iga Niznik, ÖBB: Ich kann Ihnen sagen, dass das Klimaticket in Österreich sehr gut angenommen wird. Das Ticket kostet 3 Euro pro Tag. Das sind also etwa 1.100 Euro im Jahr. Damit kann man in ganz Österreich fahren. Sie können jeden Bus oder Zug nehmen. Es war sehr beliebt, aber das hat auch seinen Preis: Der Steuerzahler hat es finanziert. Und unser Klimaminister hat es möglich gemacht, nachdem seine Vorgänger 15 Jahre lang nicht in der Lage waren, es zu tun.
Matthew Parsons, Skift: Jeremy, sind Sie mit der Art und Weise, wie die SNCF Fahrkarten anbietet, zufrieden? Warum können die Züge nicht einen ähnlichen Ansatz wie die Flüge verfolgen? Die Fluggesellschaften stehen doch auch im Wettbewerb und man kann Tickets für alle Strecken kaufen. Was halten Sie davon?
Jeremie Pelerin, SNCF: Die Bahnbetreiber arbeiten bereits sehr eng zusammen, um Verbesserungen zu erreichen. Wir haben uns für vier Hochgeschwindigkeitsverbindungen mit der Deutschen Bahn, Eurostar, den Niederlanden und OBB zusammengetan. Wir haben eine Red-Team-Allianz gegründet, und die Bewertung der Allianz ermöglicht es jedem Fahrgast, kostenlos in den nächsten verfügbaren Zug einzusteigen, wenn er einen Anschluss verpasst. Die Branche hat also bereits etwas unternommen, um eine Lösung für diese Fälle von grenzüberschreitenden Reisen zu finden. Es ist also nicht so, dass der Sektor nichts in Bezug auf die Fahrkartenausstellung unternommen hätte. Natürlich gibt es unterschiedliche Ansätze, aber jeder Bahnbetreiber hat sein eigenes Fahrkartensystem. In Frankreich gibt es eine große Plattform namens SNCF Connect, die sich im letzten Jahr sehr stark entwickelt hat, um Anschlüsse an den öffentlichen Nahverkehr anzubieten. In Frankreich lag der Schwerpunkt in der Tat zunächst auf dem Inlandsverkehr, aber es gibt auch die Möglichkeit, über diese Plattform internationale Bahntickets zu verkaufen. Und natürlich arbeiten wir auch mit Drittanbietern von Fahrkarten zusammen. Trainline verkauft Fahrkarten der SNCF, und die Zusammenarbeit mit Fahrkartenverkäufern ist bereits durch das Wettbewerbsrecht geregelt.
Matthew Parsons, Skift: Lassen Sie uns kurz über Nachhaltigkeit sprechen. Die FITFOR55-Vorschläge zielen auf eine Reduzierung der Kohlenstoffemissionen um 55 % bis 2030 ab. Aufgrund der COVID-Auswirkungen hat Air France staatliche Beihilfen erhalten. Und eine der Bedingungen für die Gelder der Regierung war die Einstellung von Kurzstreckenflügen, die weniger als zweieinhalb Stunden dauern. In Österreich gab es eine ähnliche Regelung, und die Eisenbahnunternehmen haben sich offensichtlich verstärkt. Christophe, lassen Sie uns darüber sprechen, wie Sie zum Beispiel mit der Lufthansa zusammenarbeiten. Übernehmen Sie mehr Anteile von den Fluggesellschaften oder arbeiten Sie mit ihnen auf eine kooperativere Weise zusammen?
Christoph Lerche, Deutsche Bahn: Intermodalität ist der Schlüssel, wenn es darum geht, die Klimaziele zu erreichen und attraktive Dienstleistungen anzubieten. Deshalb setzen wir auf eine enge Zusammenarbeit mit den Fluggesellschaften. Sie sind natürlich auch Wettbewerber. Ein wichtiges Angebot, das wir machen, ist der so genannte Lufthansa Express Rail, das heißt, das gemeinsame Ziel ist es, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Lufthansa Express Rail bedeutet, dass wir Bahnverbindungen von 24 Städten in Deutschland nach Frankfurt, dem Hauptdrehkreuz der Lufthansa, anbieten. Auch Lufthansa hat erkannt, dass es für Kurzstreckenflüge nicht immer einen guten Grund gibt. Und sie sollten so weit wie möglich abgeschafft werden. In Deutschland gibt es keine regulatorischen Maßnahmen. Sie sind meines Wissens derzeit auch nicht von der deutschen Regierung geplant. Das ist ein bisschen anders als in Frankreich.
Wir haben eine CODESHARE-Kooperation mit der Lufthansa mit einem Ticket für Zug und Flug: Es ist ein Ticket mit einer Lufthansa-Ticketnummer, das auch für Züge der Deutschen Bahn verwendet werden kann. Sie können einchecken, bevor Sie den Zug besteigen. Sie fahren mit Ihrem Lufthansa-Ticket zum Beispiel von Berlin nach Frankfurt und genießen besondere Konditionen im Zug. Es gibt sogar zusätzliches Personal im Zug, das sich um Reisende mit Gepäck kümmert. Es fühlt sich also schon fast an wie Fliegen. In Frankfurt gibt es auch eine sehr gute Infrastruktur für die Passagiere: Es gibt ein Air-Rail-Terminal ganz in der Nähe des Bahnhofs, wo die Passagiere nach ihrer Ankunft mit dem Zug einchecken und ihr Gepäck loswerden können und zu Fuß zum Terminal gehen.
Wir versuchen, gemeinsam mit der Lufthansa ein sehr attraktives Kundenerlebnis zu bieten. Das ist eine Win-Win-Situation. Natürlich hilft es uns, mehr Fahrgäste in unseren Zügen zu haben. Auf der anderen Seite hilft es der Lufthansa zu zeigen, dass sie daran arbeitet, ihre Klimabilanz zu verbessern und sich auf die Strecken zu konzentrieren, auf denen es wirklich sinnvoll ist, zu fliegen.
Matthew Parsons, Skift: Jeremie, ich nehme an, Sie arbeiten viel mit Air France zusammen. Gibt es einen enormen Zuwachs an Bahnreisen, weil Air France diese Strecken nicht mehr bedienen darf?
Jeremie Pelerin, SNCF: Auf den Strecken, auf denen das Verbot gilt, hatte die Bahn bereits einen großen Marktanteil. Ich möchte betonen, dass der Markt funktioniert, wenn es ein Qualitätsangebot mit hoher Frequenz und kurzer Reisedauer gibt. Natürlich ist es viel einfacher, vom Stadtzentrum ins Stadtzentrum zu fahren. Es ist immer eine Frage des Preises, und hier kommt wieder die Frage der Wettbewerbsgleichheit ins Spiel. Aber der Markt funktioniert, wenn es darum geht, Passagiere für Hochgeschwindigkeitsverbindungen zu gewinnen, die wirklich zuverlässig und schnell sind und sehr gut funktionieren. Das haben wir schon gesehen, bevor die Fluggesellschaften für die Kurzstrecken von Paris nach Bordeaux verboten wurden. Wir haben in Frankreich eine sehr ähnliche Situation wie die, die Christophe von der Deutschen Bahn beschrieben hat. Wir haben Partnerschaften mit 12 Fluggesellschaften, bei denen wir Tickets kaufen können, die Langstreckenflüge mit Zugtickets kombinieren und mehr als 19 Städte in Frankreich sowie Brüssel mit unseren Flughäfen verbinden.
Matthew Parsons, Skift: Catherine, die EU hat sehr ehrgeizige Ziele für die Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes in den Mitgliedsstaaten. Was hält die Europäische Union davon ab, einfach mehr zu tun, um Kurzstreckenflüge zu verbieten? Und wird ein Verbot von Kurzstreckenflügen die Menschen letztendlich zur Bahn bringen?
Kathrin Obst, DG Move: Ich denke, es ist ein bisschen so, wie Jeremy gesagt hat: Entweder es gibt eine attraktive Alternative, dann werden die Leute sowieso den Zug nehmen, oder es gibt keine attraktive Alternative. Und dann sollte man den Leuten nicht sagen, dass sie nicht fliegen können. Der richtige Weg muss hier sein, das Angebot zu verbessern. Was die Bahn mit den Fluggesellschaften macht, funktioniert sehr gut. Wo die Infrastruktur gut ist und die Dienstleistungen gut sind, ist es durchaus möglich, dass die Bahn Flüge ersetzt. Je mehr Infrastruktur gebaut wird – in Deutschland zum Beispiel wurde gerade die Verbindung München-Berlin fertiggestellt –, desto kürzer werden die Fahrzeiten. Das hat Auswirkungen auf die Passagierzahlen. Was meiner Meinung nach nicht richtig im Mittelpunkt steht, ist das Angebot für Touristen. Jemand, der in den Osterferien nach Barcelona fahren möchte, findet nur sehr schwer ein Zugangebot.
Matthew Parsons, Skift: Jemand, der für ein Reisemanagementunternehmen arbeitet, das mit multinationalen Unternehmen zusammenarbeitet, möchte, dass Reisende, die in einem EU-Land leben und in ein anderes fliegen, in der Lage sind, online über das Buchungstool des Reisebüros zu buchen. Und offenbar ist das derzeit nur sehr eingeschränkt möglich. Ist es möglich, über eine einzige Buchungsplattform zu buchen?
Christoph Lerche, Deutsche Bahn: Natürlich verkaufen wir den Großteil unserer Tickets über unseren eigenen Kanal. In Deutschland ist Bondi die am häufigsten genutzte Reiseplattform. Aber natürlich versuchen wir auch, diese Vereinbarungen und kommerziellen Vereinbarungen und Kooperationen mit anderen Plattformen auf komplementäre Weise zu etablieren.
Matthew Parsons, Skift: Es hört sich so an, als ob hinter den Kulissen eine Menge Arbeit geleistet wird. Aber es liegt noch viel Arbeit vor uns. Was ist Ihre Priorität für das kommende Jahr? Catherine, natürlich haben Sie den Aktionsplan aufgestellt, aber was steht in diesem Jahr ganz oben auf der Tagesordnung?
Kathrin Obst, GD Move: Ganz oben auf der Agenda steht der Anspruch, die Bahn zum Standardtransportmittel zu machen. Ich denke, die Bahn hat bereits ein fantastisches Netz. Es ist ein wirklich gutes Produkt. Jetzt geht es darum, es für die Menschen besser zu machen, die wir noch nicht erreichen. Einiges davon liegt bei den Unternehmen, einiges bei den Mitgliedsstaaten, da hier die Finanzierung das Problem ist. Einige der Dinge im Zusammenhang mit dem Ticketing sind Sache der Mitgliedstaaten, andere wiederum sind Sache der Kommission.
Christoph Lerche, Deutsche Bahn: Wir wollen die Bahn zum Verkehrsträger Nummer eins in Europa machen. Ich glaube, die Bahn hat im Moment wirklich eine große Chance. Es gibt viel Unterstützung in der Öffentlichkeit und bei den politischen Akteuren. Die Klimadiskussion ist sehr hilfreich, sie schärft das Bewusstsein. Und ich denke, im Moment sind sich so ziemlich alle einig, dass die Schiene Teil der Lösung ist, um die Klimaziele, die Ziele des Green Deal, die Klimaziele Europas und auch weltweit zu erreichen. Wir begrüßen die Initiativen zur Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen und zur Unterstützung der Infrastruktur, die als entscheidender Faktor genannt wurde. Andererseits sind wir gerne bereit, unsere Hausaufgaben zu machen, um die Qualität der Dienstleistungen zu verbessern und auf ein intelligentes europäisches Netz mit intelligenten Knotenpunkten hinzuarbeiten, das die Städte in Europa und die Regionen verbindet. Und wir müssen auch an der intermodalen Zusammenarbeit arbeiten, zum Beispiel mit den Fluggesellschaften, aber auch an der Verbesserung der Mobilität von Tür zu Tür.
Jeremie Pelerin, SNCF: Bei der SNCF haben wir das Ziel, das Verkehrsaufkommen im Schienenpersonen- und Schienengüterverkehr zu verdoppeln. Dazu gehört auch der grenzüberschreitende Personenverkehr. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir alle zusammenarbeiten und große Anstrengungen unternehmen. Aber wir brauchen auch erhebliche Investitionen. Die Schieneninfrastruktur ist nicht in der Lage, einen solchen Anstieg des Verkehrsanteils zu tragen. Es besteht Bedarf an Verbesserungen, an der Modernisierung der Netze, an neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken, an neuen Gleisen, die um die Städte herumführen, und so weiter und so fort. Ich denke, wir alle teilen dieses politische Ziel. Wir haben festgestellt, dass die Emissionen des Verkehrssektors weiter zunehmen. Sie machen 25 bis 30 % der CO2-Emissionen in der EU aus. Hier müssen wir handeln, und der Schienenverkehr ist ein Teil der Lösung. Aber wir haben noch viel zu tun, wenn wir dieses Ziel erreichen wollen. Es sind also viele Verpflichtungen erforderlich, sowohl seitens des Sektors als auch seitens der politischen Entscheidungsträger, denn schließlich entscheiden sie, in was investiert wird.
Anbei ein Artikel von Edward Russel auf Skift, der das Advocacy-Webinar aufgreift und in einen Zusammenhang mit dem Flugverkehr stellt: „Trains offer new promise in Europe’s quest to cut aviation“.
Die Aufzeichnung des Webinars können Sie auf unserem YouTube-Kanal sehen.