Im Rahmen der kroatischen EU-Ratspräsidentschaft fand am 12. und 13. März unser erstes Young Professionals Seminar zum Thema „Die EU und die Westbalkanregion – Der aktuelle Stand” in Zagreb statt. Kooperationspartner war THE EUROPAEUM, ein Netzwerk von 17 führenden europäischen Universitäten.
In mehreren Gruppen arbeiteten 19 Teilnehmer aus 15 Ländern an verschiedenen Themen wie 1) den Zielen der kroatischen EU-Präsidentschaft, 2) Korruption, Demokratie und Medienfreiheit im Westbalkan, 3) dem Einfluss Chinas mit seiner “Belt & Road”-Initiative, 4) der Rolle Russlands in der Stabilität der Region sowie 5) möglichen Lösungen zur Überwindung der Teilung und zur Förderung der Integration der Westbalkanregion in die EU.
Die Arbeitsgruppen wurden geleitet von Hartmut Mayer (Direktor des EUROPAEUM, Official Fellow für Politik am St. Peter‘s College, Direktor des European Studies Centre der Oxford University, Vorstand United Europe), Jessie Barton Hronešová (ESRC Postdoctoral Fellow am Oxford Department of International Development), Othon Anastasakis (Direktor für Südosteuropäische Studien in Oxford (SEESOX) & Senior Research Fellow am St. Antony’s College) und Marcus Lippold (Berater der Europäischen Kommission, Gastdozent für Energiewirtschaft & Energiepolitik, Vorstandsmitglied von United Europe).
Ziel des Seminars war es, politisch engagierten jungen Berufstätigen und Studierenden eine Plattform für eine offene Diskussion zu diesen Themen zu bieten, um mögliche Lösungen und einen anderen Weg für die Entwicklung der Region vorzuschlagen. Dies wurde dadurch erleichtert, dass die Teilnehmer durch eine strukturierte Reihe von Diskussionen zu bestimmten Themen geführt wurden, die durch so genannte „Impulsvorträge“ und Plenarvorträge untermauert wurden.
In den zwei Tagen arbeiteten die Teilnehmer an den folgenden vier Themen:
1. Die Ziele der kroatischen EU-Präsidentschaft und wie sie erreicht werden können;
2. Der Stand der Demokratie, die Qualität des Rechtsstaates und der Zivilgesellschaft in den Westbalkanländern;
3. Der aktuelle Stand der Sicherheit und die Rolle der Geopolitik in der Region;
4. Die aktuellen soziodemographischen Trends in der Region und wie der Braindrain die derzeitige soziale und politische Dynamik beeinflusst.
TAG 1
Leider wurde das Seminar durch den Beginn der Corona-Virus-Krise etwas beeinträchtigt. Da keine formellen Reisebeschränkungen oder Gesundheitsmaßnahmen für Kroatien empfohlen wurden, haben wir auf der Grundlage der offiziellen Regierungsempfehlungen beschlossen, das Seminar durchzuführen. Da sich die Krise jedoch von Tag zu Tag verstärkte, mussten mehrere bestätigte Referenten und Teilnehmer ihre Reise kurzfristig absagen. So konnte kein Vertreter der kroatischen Regierung das Seminar mit einem Vortrag über die Ziele der EU-Präsidentschaft eröffnen. Ebenso konnte ein geplanter Impuls des ehemaligen Europaabgeordneten Elmar Brok nicht stattfinden. Auch sieben der ursprünglich 26 ausgewählten und bestätigten Teilnehmer mussten ihre Reise kurzfristig absagen.
Das Seminar wurde mit kurzen Begrüßungen von Hartmut Mayer, Marcus Lippold und der Geschäftsführerin von United Europe, Sabine Sasse, eröffnet.
Ines Obradović, Direktorin der kroatischen Wirtschaftskammer, stellte anschließend die vier Hauptelemente der kroatischen Präsidentschaft vor, deren Motto „Ein starkes Europa in einer Welt voller Herausforderungen“ lautet:
1. Ein Europa, das sich entwickelt
2. Ein Europa, das verbindet
3. Ein Europa, das schützt
4. Ein einflussreiches Europa.
Kernbotschaften:
● Mehr Geld in Sicherheit für Frieden und Sicherheit in Europa investieren.
● Europa muss seine Rolle stärken und neue Wege gehen, um auf dem globalen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben.
● Kroatien unterstützt die EU-Erweiterung nachdrücklich. Die EU sollte den Westbalkanländern die Möglichkeit geben, der EU beizutreten.
● Die EU sollte auch den Westbalkan als hervorragenden Partner und künftiges Mitglied der EU betrachten. Sie sind Teil des Kontinents und haben ähnliche Ziele.
● Auch die Balkanländer leiden unter der Migrationskrise. „Wir haben einige Jahre verloren, ohne die Probleme zu lösen“.
(Eine detailliertere Beschreibung der kroatischen EU-Präsidentschaft finden Sie hier.
Beginnend mit einigen grundlegenden Definitionen und Konzepten präsentierte Jessie Barton Hronešová anschließend den Zustand der Demokratie in der Region. Sie betonte, dass ein unterschiedliches Verständnis von Demokratie zu unterschiedlichen Einschätzungen des aktuellen Zustands führen. Standard-Rankings wurden diskutiert und auch kritisiert, da sie oft komplexe demokratische Realitäten in den Ländern vereinfachen. Es folgte eine Diskussion über die Rolle der Rechtsstaatlichkeit und der Zivilgesellschaft als Schlüsselprinzipien und Säulen funktionierender Demokratien.
Marco Babić, stellvertretender Direktor der kroatischen Wirtschaftskammer, gab einen Überblick über die wirtschaftlichen Aspekte der EU-Präsidentschaft, unter anderem:
● Aufzeigen der Leistungsfähigkeit Kroatiens
● Präsentation als guter Diplomat und erfolgreiches Land
● Das Gewinnen von Investoren für Kroatien (und die ganze Region)
● Umgang mit Digitalisierung, Green Deal, Sicherheit und Migration
● Einbindung der Zivilgesellschaft statt Verantwortung nach Brüssel zu exportieren.
● politische und wirtschaftliche Stabilität
Im folgenden Impulsvortrag gab Adriana Petrović, Beraterin für Regulierungsfragen bei der kroatischen Ölgesellschaft INA, einen inspirierenden Überblick über die Struktur und Geschichte Kroatiens, zeigte Beispiele von der Schönheit des Landes und wies auf die wichtigsten historischen Ereignisse hin. Anschließend erläuterte sie ihre eigenen Erfahrungen seit dem EU-Beitritt Kroatiens und reflektierte, was sich geändert hat. Unter anderem zählte sie den Nachweis von Souveränität und Reife sowie von demokratischen Standards, die universellen demokratischen und moralischen Werte, die Freiheit des Kapital- und Warenverkehrs sowie des freien Dienstleistungs- und Personenverkehrs auf. Sie sprach auch über ihre eigenen beruflichen Herausforderungen und betonte, dass die Menschen nie vergessen sollten, wie es vor dem EU-Beitritt war und wie viel sich seitdem zum Besseren verändert hat.
Anschließend lud Adriana das Publikum in ihr spezifisches Fachgebiet ein, wobei sie als konkretes Beispiel die Annahme und Durchsetzung von EU-Kraftstoffnormen für Benzin und Diesel anführte und zeigte, wie sie als Expertin und Delegierte ihres Landes und der Industrie zusammen mit anderen Europäern durch nachhaltige und zielgerichtete Beratung die Politikgestaltung beeinflussen konnte. Durch ihre Mitwirkung an der Gestaltung von EU-Gesetzen habe sie erfahren, dass die Mitgliedschaft in verschiedenen Verbänden und Arbeitsgruppen auf nationaler und EU-Ebene jedem Bürger die Möglichkeit gibt, Wissen und Fähigkeiten zum Nutzen seines Industriezweigs und für das Gemeinwohl einzusetzen.
Abschließend verwies sie auf die Vorteile einer EU-Mitgliedschaft für führende Industrieunternehmen:
– Die EU-Normung ermöglicht der kroatischen Industrie eine gleichberechtigte Ausgangsposition
– mit Fachleuten und Experten zusammenzukommen und Standpunkte und Meinungen austauschen
– Austausch von Wissen und Erfahrung
– Vertrauen in die Gemeinschaft, für eine bessere Zukunft.
Danach präsentierte Othon Anastasakis seine Forschungen zur Geopolitik in Südosteuropa. Er begann mit Vorschlägen, wie man Geopolitik allgemein jenseits der konventionellen Konkurrenz um Territorien, militärische Macht, Machtgleichgewicht, nationale Grenzen und konventionelle Diplomatie betrachten könnte. Er betonte, dass die derzeitige Geopolitik mehr Akteure jenseits von Staaten sowie neue Herausforderungen (Klimawandel, Cybersicherheit, organisierte Kriminalität, Migration, Pandemie) umfasst, die nationale Grenzen überschreiten und den Grenzen weltweit neue Bedeutungen verleihen oder in vielen Fällen Grenzen irrelevant machen. Anschließend lenkte er die Aufmerksamkeit auf Südosteuropa, indem er die periphere Geografie der Region in Europa und ihre globale Bedeutung als Einstiegs- und Durchgangsstation für viele externe Akteure hervorhob.
Dann erörterte er die Rolle und Bedeutung externer Player auf dem Westbalkan wie Russland, China, der Türkei und des Nahen Ostens sowie die neuen Herausforderungen, mit denen sich die Region in Form von militärischen Bedrohungen, Radikalisierung, organisierter Kriminalität und Cybersicherheit konfrontiert sieht.
Nach dem Mittagessen stellten die vier Arbeitsgruppen unter der Leitung von Hartmut Mayer, Jessie Barton Hronesova, Othon Anastasakis und Marcus Lippold ihre jeweiligen Themen vor:
AG1: Perspektiven der EU-Erweiterung und Ziele der kroatischen EU-Präsidentschaft;
AG2: Qualität der Demokratie: die Rolle von Rechtsstaatlichkeit und Zivilgesellschaft;
AG3: Sicherheit und geopolitische Herausforderungen;
AG4: Regionale Demographie und Abwanderung von Fachkräften.
Nach intensiver Gruppenarbeit endete der Tag mit einer Führung durch die Altstadt von Zagreb, einer Fahrt mit der historischen Drahtseilbahn, dem Besuch des „Museums der zerbrochenen Beziehungen” sowie einem Abendessen in einem der ältesten Restaurants Zagrebs, dem „Stara Vura“.
TAG 2
Nach ersten kurzen Zusammenfassungen der Themen und ersten sich abzeichnenden Ergebnissen der Arbeitsgruppen begann der Tag mit einem Impuls von Gunther Fehlinger, Generalsekretär von CEE BC in Kiew.
Fehlinger betonte, dass die Wirtschaftskrise zu großen Verwerfungen in der europäischen Peripherie führe. Er befürwortet eine möglichst schnelle Aufnahme weiterer osteuropäischer Länder in die EU bis 2030, um die Region zu stabilisieren. Eine Nichtaufnahme würde zu großen Verwerfungen in dieser Region führen.
Nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU sei es wichtig, Osteuropa zu stärken und Länder wie die Ukraine, Montenegro, Albanien, Kosovo, Serbien schrittweise aber ohne allzu große Verzögerung in die EU aufzunehmen.
Russland, so Fehlinger, verfolge nicht zuletzt durch die Besetzung der Krim die bewusste Strategie, die europäische Einigung zu unterminieren europäische Einigung zu unterminieren. Um den europäischen Einigungsprozess zu vertiefen, müsse man die EU erweitern, um eine gegenseitige Stärkung zu erreichen. Die Antwort auf den Brexit könne nur sein, die EU, die NATO, den Euro, OECD, WTO, OSCE und RCC nach Osten zu erweitern.
Bis 2028 sollen in verschiedenen Stufen die Beitrittsprozesse für Montenegro, Nord-Mazedonien, Albanien, Bosnien & Herzegowina, Kosovo, Serbien, Ukraine, Georgien und zuletzt Moldawien vollzogen sein, sofern alle vorher der NATO beitreten. Es sei besser, diesen Ländern eine baldige Perspektive für einen Beitritt in die EU zu geben, als sie sich selbst oder Russland und China zu überlassen. Schon jetzt würde man sehen, dass diese Länder verstärkt Korruption bekämpfen und ihre Systeme reformieren, um die Aufnahmekriterien zu erfüllen. Würde man die Länder nicht in die EU aufnehmen, würden die Menschen mangels Zukunftsaussichten ihre Länder in noch größeren Mengen verlassen und versuchen, in die EU zu gelangen. Deshalb empfiehlt Fehlinger, die Erweiterung der EU mit dann 37 Mitgliedern bis 2028 abzuschließen und eine weitere Vertiefung der EU anzustreben. „Die Antwort auf die Corona-Krise 2020“, so Fehlinger, „muss mehr Europa sein.“
Mit diesen Informationen und Meinungen versorgt, begannen die einzelnen Arbeitsgruppen mit der Vorbereitung ihrer Präsentationen und stellten diese am Ende des Seminars vor.
ERGEBNISSE (Präsentationen der Arbeitsgruppen):
Gruppe 1: Ziele der kroatischen EU-Präsidentschaft und Erweiterungsperspektiven
Teilnehmer: Katharine Barney, Großbritannien, Cody Busia, USA, Hanna Grace Carter, USA/Deutschland, Albert Guasch, Spanien, Karina Matvienko, Russland, Hattie Watson, Großbritannien
Ausgehend von Diskussionen und Überlegungen („Lessons Learnt“) zu früheren EU-Erweiterungsrunden und der Rolle der EU-Präsidentschaften im Allgemeinen erörterte die Gruppe die vier offiziellen Ziele der kroatischen EU-Präsidentschaft: Ein Europa, das sich entwickelt, ein Europa, das verbindet, ein Europa, das schützt und ein einflussreiches Europa.
Die Gruppe stimmte zu, dass diese generellen Ziele nur mit Hilfe Kroatiens und des Westbalkans erreicht werden können und dass Kroatien mit Sicherheit ein Vorbild für die Region sei. Die Gruppendiskussionen waren von Ursula von der Leyen inspiriert, die in ihrer Europa-Rede am 10. November 2019 erklärt hatte: „Dass der Westbalkan eine europäische Perspektive hat, ist in unserem Interesse. Wir teilen denselben Kontinent, dieselbe Geschichte, dieselbe Kultur und dieselben Herausforderungen. Wir haben viel verlangt von Nordmazedonien und Albanien, sie haben das alles erfüllt – jetzt müssen wir auch zu unserem Wort stehen und Beitrittsgespräche beginnen. “.
Die Gruppe strukturierte die Debatten nach verschiedenen Kategorien:
A: Grundsätze und politischer Ansatz
– Ein zeitlicher und stufenweiser Ansatz zur Integration des Westbalkans (Erreichen einer EU mit 33 Mitgliedern bis 2033) wurde einem zu schnellen Beitritt vorgezogen.
– Die Gruppe empfahl, die derzeitigen EU-Staaten davon zu überzeugen, dass ein Veto gegen eine weitere Integration aus internen Gründen kontraproduktiv sei.
– Die EU müsse sich auf die Vertragsreform konzentrieren, um ihren institutionellen Rahmen zu stärken und eine wesentliche Änderung ihrer Erweiterungspolitik zu vermeiden.
– Eine Verzögerung der Integration zwinge die Europäische Union, sich in der Region durch andere Instrumente und ein größeres Sonderbudget für den Westbalkan zu engagieren.
– Die Gruppe empfahl, dass die EU weiterhin ihre „Soft Power“ in der Region nutzen solle, indem sie sich weniger auf Grenzstreitigkeiten und mehr auf den Abbau ethnischer Spannungen konzentriert.
B: Werte
Die Gruppe betonte, dass politische Maßnahmen und Instrumente von übergeordneten Werten geleitet werden sollten, die nicht verhandelbar sind. Dazu gehören:
Demokratie
● Aufrechterhaltung und Förderung demokratischer Werte und Systeme
● Verständnis und Berücksichtigung der Tatsache, dass Demokratie ein pluralistisches Konzept ist.
Bildung
● Öffentlich
● Diplomatie/Soft Power/Bilaterale Bildungsprogramme
● Übergangsgerechtigkeit und Versöhnung
● Bottom-up-/Top-down-Ansätze
Unabhängige Medien
● Unabhängig vom Staat
● Pluralität der Ansichten
Menschenrechte
● Gewährleistung und Schutz der grundlegenden Menschenrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention
● Förderung von Nichtdiskriminierungsrechten, z.B. LGBTQ + und Behinderung, Rechte ethnischer Minderheiten und kulturelle Vielfalt
C: Eine neue Strategie und eine neue Ordnung?
Die Gruppe debattierte schließlich, ob die EU eine völlig andere Erweiterungsstrategie und Zeitfolge und/oder eine neue Ordnung für die Region als Ganzes braucht. Die akzeptierte Abfolge der geplanten Erweiterung ist gegenwärtig: 1) Montenegro, 2) Serbien, 3) Mazedonien, 4) Albanien, 5) Bosnien und Herzegowina, 6) Kosovo.
Eine stärkere und konkretere Botschaft an die Region könnte jedoch durch die Anpassung eines überarbeiteten Prozesses vermittelt werden, der es den Ländern ermöglicht, „vorzuspringen“, wenn sie Fortschritte nachweisen, sei es innerhalb einer neuen oder der alten und bewährten Methodik zur Bewertung der Fortschritte.
Spezifische Länderempfehlungen:
● Montenegro: Bereit, um das letzte Kapitel zu öffnen – Fortführung der Schließung der bereits geöffneten Kapitel.
● Serbien: Warnung, dass ein Rückfall zum Abstieg führen wird, anstatt einfach „im Wartezimmer zu bleiben“.
● Nord-Mazedonien: Trotz des Rückschlags vom November sollte es keinen Energieverlust geben.
● Albanien: Weitere Fortschritte bei vorrangigen Themen wie organisierte Kriminalität und Justiz.
Gruppe 2: Qualität der Demokratie in Südosteuropa: die Rolle von Rechtsstaatlichkeit und Zivilgesellschaft
Teilnehmer: Aleksandra Popova, Bulgarien; Adnan Tatar, Bosnien und Herzegowina; Visar Xhambazi, Kosovo
Die Gruppe konzentrierte sich auf den Begriff des demokratischen Rückschritts, ein Begriff, der hilfreich sein kann, um den allgemeinen Fortschritt oder Rückschritt der Demokratie zu bestimmen; er kann aber auch umstritten sein. Wenn man den Begriff „demokratische Rückentwicklung“ auf eine bestimmte Region anwendet, kann er problematisch sein und zu Verallgemeinerungen führen, die nicht unbedingt auf alle Länder anwendbar sind, erklärte die Gruppe. So schreitet beispielsweise der Kosovo laut dem Index der Medienfreiheit von Reporter ohne Grenzen voran, während Serbien leider Rückschritte macht. Wenn man also von regionalen demokratischen Rückschritten spricht, ist es sehr wichtig, spezifisch zu sein, anstatt eine Region als eine Einheit darzustellen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass demokratische Rückschritte ein ernstes Problem für den Westbalkan sind; aber die Länder haben unterschiedliche Probleme, und für unterschiedliche Probleme muss es unterschiedliche Ansätze geben.
Medienfreiheit in der Region: Laut einem Artikel von Reuters fanden im Zeitraum 2018 – 2019 in Europa mehr als ein Drittel aller Medienverletzungen in Südosteuropa statt. Zudem standen in der Hälfte der Fälle die Regierungen hinter den Verletzungen.
Betrachtet man den Jahresbericht des World Press Freedom Index, so nehmen die Länder des Westbalkans die letzten Positionen ein. In der gesamten Region ist es üblich, Journalisten, die nur versuchen, ihre Arbeit zu tun, zu schikanieren und einzuschüchtern. Einige der Probleme, mit denen die Länder konfrontiert sind, betreffen Eigentumskonzentration im Medienbesitz, mangelndem Pluralismus in den Print- und Rundfunkmedien, fehlender Medienkompetenz und so weiter. Das Medienumfeld könnte sich verbessern, wenn Schulungsprogramme zur Steigerung der Qualität und Professionalität des Journalismus organisiert, nationale Reformen im Rundfunksektor unterstützt, die Medienfreiheit regelmäßig überwacht und Fälle von Medienrechtsverletzungen dokumentiert würden.
Die Gruppe stellte auch die Rangliste des ‚Doing Business in the World Index‘ vor, um wirtschaftliche Aussichten für Investitionen und Geschäfte mit der Qualität der Demokratie zu verbinden.
Gruppe 3: Sicherheit und geopolitische Herausforderungen
Teilnehmer: Ivo Bochev, Bulgarien; Elisabetta Crevatin, Italien; Armando Guçe, Albanien; Tatiana Valyaeva, Deutschland; Khrystyna Parandii, Ukraine
Im Zusammenhang mit einer „Geopolitik der Angst“ versus einer „Geopolitik der Hoffnung“ erörterte die Gruppe einige wichtige geopolitische Herausforderungen auf dem Westbalkan. Ersteres bezieht sich auf das Verständnis von Herausforderungen als Bedrohungen, während letzterer sie als Chancen für die Zukunft sieht. Unter den vielen Herausforderungen in der Region konzentrierte sich die Gruppe auf die ihrer Meinung nach wichtigsten: Geoökonomie, Migration, schädliche Einflüsse in Form von Cybersicherheit und Fehlinformation sowie organisierte Kriminalität.
Geoökonomie: Die erste Herausforderung befasst sich mit der Bedeutung von Energie, ausländischen Direktinvestitionen, Infrastruktur und dem Einfluss Russlands, der Rolle Chinas durch seine Belt & Road Initiative und dem potenziellen geopolitischen Einfluss externer Player durch den Einsatz wirtschaftlicher Mittel. Während die Geoökonomie im Hinblick auf die Schaffung von Abhängigkeiten der Westbalkanstaaten von externen Playern als Bedrohung wahrgenommen werden kann, können sich viele Chancen und Synergien ergeben, wenn solche Einflüsse dritter Akteure im Rahmen der EU-Regeln und -Verfahren und der World Trade Organization WTO ausgeübt werden.
Migration: Die Region ist eine Transitroute für Migranten auf ihrem Weg in die EU. Die Gruppe konzentrierte sich auf die Frage, wie die Sicherung von Migration humanitäre Belange ignoriert, sich negativ auf die einheimischen Ressourcen des Landes auswirkt und zum Anstieg von Populismus und Nationalismus führt. Was diese Länder brauchen, um die Ängste vor der Migration zu überwinden, sind finanzielle Unterstützung, Informationsaustausch, bessere Mechanismen zur Integration von Flüchtlingen und eine gerechtere Lastenverteilung in Europa.
Negative Einflüsse: Es ist unwahrscheinlich, dass von externen Playern in der Region konventionelle Aggressionen ausgehen, sie wenden eher „weichere“ Taktiken an, um ihre Ziele zu erreichen. Zu den schlechten Einflüssen gehören daher Desinformation, Manipulation von Informationen über soziale und traditionelle Medien, Cyber-Bedrohungen und verdeckte Operationen. Russland ist in dieser Hinsicht am auffälligsten, da seine Bemühungen darauf ausgerichtet sind, die transatlantische Agenda auf dem Westbalkan zu untergraben und die bestehenden Spannungen zwischen diesen Ländern zu verschärfen. Gleichzeitig üben die Türkei und die Golfstaaten mit unterschiedlichen Mitteln politischen und kulturellen Einfluss aus, während China versucht, die öffentliche Meinung im Interesse der Förderung seiner Geschäftsinteressen zu formen.
Nach Ansicht der Gruppe gibt es mehrere Möglichkeiten, wie die Länder des Westbalkans gegen solche gefährlichen Einflüsse widerstandsfähiger werden können, und die EU muss in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen:
1. Die EU sollte sich weiterhin zur Erweiterungspolitik bekennen und mehr Anstrengungen in ihre strategische Kommunikation und öffentliche Diplomatie in der Region investieren, um den Fortschritt der europäischen Integration der westlichen Balkanländer zu unterstützen.
2. Gefährlichen Einflüssen kann nicht ohne starke und wirksame demokratische Institutionen sowie eine gesunde und aktive Zivilgesellschaft entgegengewirkt werden. Das erfordert einen regierungsweiten Ansatz zur Stärkung der gesellschaftlichen Widerstandsfähigkeit auf dem Westbalkan. Daher ist die westliche Unterstützung demokratischer Reformen (zusammen mit strengen Auflagen in diesem Bereich) absolut entscheidend.
3. Auf operationeller Ebene sind unabhängige Medien mit hohen journalistischen Standards von entscheidender Bedeutung. Die EU kann den lokalen Medien mit verstärkten EU-Unterstützungsprogrammen und Schulungen helfen, eine faktenbasierte Berichterstattung zu entwickeln.
Organisierte Kriminalität: Ein großes Sicherheitsproblem für die Region des Westbalkans sind die Gruppen der organisierten Kriminalität (OCG), denen es gelang, Verbindungen zu internationalen Kartellen herzustellen, die in verschiedenen Bereichen wie Drogen-, Menschen- und Waffenhandel tätig sind.
Durch die Macht und das Geld, die diese Gruppen im Laufe der Jahre erworben haben, sind sie für die Regierungen der Region attraktiv geworden. Der Fall Albaniens ist ein repräsentatives Beispiel dafür, wie diese Gruppen die Stärke der EU und der ausländischen Direktinvestitionen überschatten. Die Gefahren, die diese Attraktivität für Albanien geschaffen hat, äußern sich in korrupten Systemen des Stimmenkaufs für politische Parteien/Repräsentanten, die die hauptsächlich in Geldwäsche bestehenden Interessen der OCGs unterstützen, die über fragwürdige Public-Private-Partnerships getätigt wird (für das die albanische Regierung sowohl von inländischen als auch von ausländischen Behörden permanent kritisiert wird).
Die Gruppe empfiehlt folgende Maßnahmen zur Bewältigung geopolitischer Herausforderungen:
● Stärkung der Wahrnehmung und Tatsache der EU-Präsenz auf dem Westbalkan.
● Der Westen sollte mit einer einzigen Stimme zu den EU-Hoffnungsmächten des Westbalkans sprechen.
● Die Notwendigkeit stärkerer europäischer Verteidigungs- und Sicherheitsmechanismen, in die die Region fest eingebunden sein sollte.
Gruppe 4: Regionale Demografie und Braindrain
Die Teilnehmer: Zlatko Galesic, Kroatien; Nikola Stojisavljevic, Serbien; Andrea Utz, Deutschland; Sarah Schneider-Alia, Deutschland
Die regionale Abwanderung von Fachkräften ist eine der größten Herausforderungen für die Zukunft der Region des Westbalkans. Durch die Abwanderung eines Teils der (überwiegend) jungen, gut ausgebildeten und politisch liberaleren Bevölkerung verliert die Region auch einen großen Teil seines Entwicklungspotenzials; der demografische Verlust hat große negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstumspotenzial eines Landes und damit auch enorme politische Konsequenzen für die EU-Integration. Diese Auswirkungen werden zumindest teilweise durch beträchtliche jährliche Überweisungen ausgeglichen, die die Auswanderer nach Hause schicken. Über 70 % der Facharbeiter verlassen ihr Heimatland in Richtung Westeuropa. Die Gründe dafür sind:
● Langzeitarbeitslosigkeit
● Höherer Verdienst (der nach Hause geschickt werden kann)/höherer Lebensstandard
● Arbeit in dem Beruf, den sie studiert haben
● Stellenangebot im Ausland (Verantwortung übernehmen)
● Kultur der Migration (Familie und Gesellschaft sieht das als Erfolg)
● Urbanisierung
● Funktionsstörungen der Regierung/Politik
● Wunsch nach „westlicher“ Kultur
● Allgemeine Unsicherheit
● Familienzusammenführung mit bereits im Ausland lebenden Mitgliedern
Beschäftigungsmöglichkeiten sind ein wichtiger Schlüssel für Migration. Das bedeutet auch, dass die nationalen Bildungsausgaben für die Auswanderer verlorene Investitionen sind (z.B. 150.000 Euro pro Medizinstudent), wenn diese nicht in ihre Heimat zurückkehren.
Es gibt aber auch positive Auswirkungen der Auswanderung für die Länder:
● Niedrigere Arbeitslosenquoten
● Niedrigere Sozialhilfeausgaben
● Höheres Humankapital mit Rückkehrern
● Rücküberweisungen (Investitionen, Unterstützung der Familie)
● Die Stimmen der im Heimatland Gebliebenen tendieren eher zu Gunsten der amtierenden Regierung
Nach Ansicht der Arbeitsgruppe ist all dies nicht unvermeidlich. Politischer Wille und eine klare Strategie können Veränderungen bewirken:
Die EU und jedes einzelne Land z.B. könnten folgendes ermöglichen:
● Unterstützung von Förderanträgen zur Erleichterung von Existenzgründungen (d.h. für die Bürger zugänglich)
● Innovationsfonds schaffen
● Austauschprogramme fördern (in beide Richtungen) → Bewusstsein fördern
● Quoten für qualifizierte Einwanderer pro Land (z.B. Schweiz)
Empfehlungen:
● Demokratie stärken
● Erarbeitung einer Strategie für regionale Entwicklung (Dezentralisierung)
● Niedrigere Steuersätze für bestimmte Städte, die entwickelt werden sollen
● Einrichten eines Stipendienprogramms
● Starten einer Bildungskampagne
● Verbesserung der Wirtschaftsausbildung auf allen Ebenen
● Initiieren von Kooperationsräumen zur Schaffung einer Start-up-Szene
FAZIT:
Alle Teilnehmer haben erkannt, dass die Region des Westbalkans und die europäische Herangehensweise die politischen und wirtschaftlichen Perspektiven unseres Kontinents prägen wird. Die Region wird ein umstrittener Raum bleiben, sei es der externe geo-ökonomische Einfluss oder die interne Debatte über die Vielfalt von Demokratie und Marktwirtschaft. Auch wenn unter den sorgfältig ausgewählten, hochrangigen Teilnehmern bereits ein bemerkenswertes Wissen über die Region vorhanden war, haben die beiden Diskussionstage das Verständnis und die Vorliebe für den Westbalkan vertieft.
Obwohl das Seminar im Schatten der sich abzeichnenden Corona-Krise stand, erwies es sich als großer Erfolg. Die Young Professionals von United Europe und die Studenten des EUROPAEUM entwickelten eine schnelle Bindung untereinander und arbeiteten konstruktiv zusammen, indem sie innerhalb kurzer Zeit eine große Bandbreite an Themen behandelten. Der Geist des Seminars war bemerkenswert, Freundschaften entwickelten sich, und die Debatten werden noch einige Zeit in verschiedenen Foren weitergeführt.
Wir danken herzlich den Rednern und unserem Kooperationspartner THE EUROPAEUM für ihr Engagement sowie der Kroatischen Wirtschaftskammer und dem kroatischen Außen- und Europaministerium für ihre freundliche Unterstützung!