Seit kurzem bin ich Präsident von United Europe und freue mich sehr, dieses Amt als Nachfolger von Bundeskanzler Schüssel zu übernehmen. Mein Dank gilt Wolfgang Schüssel für seine wertvolle Arbeit in den letzten Jahren. Ich hoffe, dass er uns auch in Zukunft mit seinem wichtigen Rat begleiten wird.
Eigentlich wollte ich an dieser Stelle mit Ihnen meine Pläne für United Europe teilen, aber die besonderen Zeiten erfordern neue Maßnahmen, und deshalb wende ich mich heute mit einem Appell an Sie: Lassen Sie uns in Europa entschlossen und solidarisch auf die Corona-Pandemie reagieren.
Jetzt ist nicht die Stunde der Populisten und Nationalisten. Dort herrscht Schweigen, da diese Kreise überhaupt nicht zu einer sachlichen Politik oder Krisenmanagement in der Lage sind.
Die EU geht dagegen die richtigen Schritte. Nur ein paar Beispiele: Die Kommission lockert ihre Schuldengrenzen für die Mitgliedsstaaten. Die europäischen Fiskalregeln sollen für eine Übergangszeit ausgesetzt werden. Und die EU drängt darauf, dass die Waren und wesentlichen Dienstleistungen in unserem Binnenmarkt weiterhin fließen. Nur so kann ein Mangel an medizinischer Ausrüstung oder Lebensmitteln verhindert werden.
Dass zu Beginn der Pandemie kein EU-Land auf die Bitte Italiens reagiert hat, Schutzausrüstung zu liefern, war ein großer Fehler. Stark betroffene Länder wie Italien und Spanien brauchen unsere Solidarität. Hier muss eine europäische Lösung her, muss die Integration vertieft werden, müssen nationale Verantwortlichkeiten und Alleingänge beendet werden.
In Krisenzeiten zeigt sich die Verfasstheit einer Gesellschaft. Die Antwort auf all die Krisen kann nur ein vereintes Europa sein, in dem sich die Mitgliedstaaten solidarisch verhalten.
Die Nachwirkungen der Pandemie werden die Welt nachhaltig verändern. Wir werden alle betroffen sein und in vielen Bereichen Abstriche machen müssen. Wir werden vieles neu aufbauen müssen. Ein Zurückziehen in nationale Egoismen ist dafür nicht die Lösung. Die Bewältigung dieser Herausforderung kann nur gemeinsam gelingen und am Ende auch eine Chance bedeuten.
Wir müssen auf eine tiefere Integration der Europäischen Union hinarbeiten, um in Zukunft für Krisen besser gewappnet zu sein. Jetzt muss die Stunde der europäischen Solidarität schlagen. Kurzfristige Einschränkungen von Mobilität und Reisefreiheit dürfen nicht zur Beerdigung der europäischen Idee führen. Im Gegenteil führen sie uns vor Augen, was wir alle von einem geeinten Europa haben. Deshalb ist die Idee von United Europe aktuell wie nie. Lassen Sie uns zusammenarbeiten und all unsere Kraft investieren, für ein vereintes, wettbewerbsfähiges und krisensicheres Europa.
Günther H. Oettinger
Präsident United Europe, EU-Kommissar 2010-2019
Es war mir eine Ehre und Freude, die Geschicke von United Europe sieben Jahre lang mitzugestalten. Die Idee entstand bei einer informellen Diskussion mit Jürgen Grossmann und einigen Freunden – wir waren der Auffassung, es genüge nicht, den Zustand Europas zu beklagen. Es sei hoch an der Zeit, Gleichgesinnte aus Wirtschaft und Gesellschaft zu ermutigen, für die Idee der europäischen Einigung öffentlich aufzutreten und zu kämpfen.
Seither hat sich viel getan. In zahlreichen Young Professional Seminars wurden hunderte kommende Führungskräfte motiviert, im „Rome Manifest“ eine spannende Zukunftsvision entwickelt. In einer Handelsblatt-Kooperation (Artikelserie und Buch) forderten zwei Dutzend hochrangige CEOs und Meinungsbildner „Europa kann es besser“. Digitalisierung, Handelsöffnung, Hinwendung zu Afrika, Sicherheits-und Verteidigungsfähigkeit der EU, Binnenmarkt-Vollendung waren weitere Schwerpunkte in gut besuchten und intellektuell höchst anregenden Foren.
Auch eine Niederlage von United Europe ist einzugestehen: trotz mannigfacher Bemühungen unserer Freunde Baroness Jay von Paddington und Lord Peter Mandelson wird der „Brexit“, der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union, am 31. Jänner 2020 stattfinden. Wir sollten alles daran setzen, dass nach der einjährigen Übergangsfrist ein tragfähiges Partnerschaftsabkommen zustandekommt. Meine Abschiedsmelancholie wird durch meine Nachfolge stark gedämpft – Günther Oettinger wurde in der letzten Generalversammlung von UE einstimmig zu Präsidenten gewählt. Damit ist die Kontinuität der Arbeit von United Europe gesichert und sind starke neue Impulse zu erwarten.
Mein Dank gilt allen Mitgliedern und Sponsoren sowie dem Vorstand und den beiden Geschäftsführerinnen Rieke Schües und Sabine Sasse.
Dr. Wolfgang Schüssel
Präsident United Europe 2013-19, Bundeskanzler Österreichs 2000-2007