Am 5. Dezember fand im Anschluss an die jährliche Mitgliederversammlung von United Europe in Berlin eine Paneldiskussion mit dem Titel „The next five years: Expectations to the new EU Commission“ statt. Im Mittelpunkt der Diskussion standen die politischen Leitlinien der neuen EU-Kommission und vor allem der Plan des europäischen ‚Green Deal‘, mit dessen Hilfe Ursula von der Leyen Europa bis 2050 klimaneutral machen will.
Hierzu diskutierten Elmar Brok (CDU-Bundesvorstand, Union der Europäischen Föderalisten), Dr. Jürgen Großmann (Gründer United Europe), Steffen Kampeter (Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, BDA), Dr. Wolfgang Schüssel (Präsident United Europe), Marina Tcharnetsky (Geschäftsführerin CEBCON Technologies GmbH, Vizepräsidentin Club europäischer Unternehmerinnen e.V.) und Dr. Marie-Theres Thiell (CEO innogy Ungarn).
Moderiert wurde die lebhafte, pointierte und kontroverse Diskussion von Gordon Repinski (Stellvertretender Chefredakteur, RND Netzwerk).
Eingeleitet wurde die Diskussion von Manfred Kurz, Berlin- und Brüssel-Repräsentant der Würth Gruppe, Veranstalter des Abends in ihrer wunderschönen Hauptstadtrepräsentanz auf Schwanenwerder. Ein bloßes ‚Weiter so‘ werde für die neue EU-Kommission sicherlich nicht ausreichen, so Kurz. Es werde ein neues Selbstverständnis erforderlich sein, „das den einzelnen Bürger mit all seiner Kreativität, seinen Bemühungen und seinem Wettbewerb in den Mittelpunkt stellt“. Die EU dürfe nicht nur wachsen, sondern müsse sich vor allem enger politisch koordinieren. Man dürfe nicht Größe mit Effizienz verwechseln. Kurz wies darauf hin, dass man die unterschiedlichen Auffassungen über Europa zwischen Nord und Süd, West und Ost nicht mehr ignorieren dürfe und dass aus seiner Sicht eine Neugestaltung der Europäischen Verfassung unabdingbar sei.
Mit den tektonischen Verschiebungen der geo-ökonomischen Gewichte nach Asien, den zunehmenden autoritären Systemen, die unser demokratisches Gesellschaftsideal bedrohen sowie dem Klimawandel stünde die neue EU-Kommission vor epochalen Herausforderungen, die Europa nicht allein meistern könne. Für alle europäischen Bürger sei es jetzt wichtiger denn je, „unser Verständnis von uns selbst zu festigen und zu einer guten Zukunft zu führen“, so Kurz. Würth bekenne sich zur europäischen Idee, „denn die europäische Zukunft in Freiheit und Frieden ist unser Gebiet.“
In der folgenden Debatte wurde vor allem die Frage diskutiert, ob von der Leyens Agenda zum Klimawandel realistisch sei und die wirtschaftliche Machbarkeit nicht deutlicher im Vordergrund stehen müsse. Nur Länder mit einer starken Wirtschaft seien in der Lage, die Kosten für Technologiewende und Klimawandel zu finanzieren und innovative Alternativen zu entwickeln. Das müsse mehr unterstützt werden. Es wurde der Eindruck laut, dass von der Leyen die Geschäftswelt bisher ignoriere; bisher fänden sich keine Antworten auf Fragen der Unternehmen in ihrem Konzept, zum Beispiel, wie es mit dem europäischen Binnenmarkt weitergehen soll, wie mit dem Handelskrieg mit China umzugehen sei. Auch sei die aktuelle Klimapolitik kein Marktansatz und nicht auf Innovation, sondern auf Regulierung ausgerichtet.
Auch die Interessen der CEE-Länder müssen von der neuen Kommission stärker berücksichtigt werden. Nur so sei es möglich, die europäische Integration mit dem Ziel eines wahrhaft geeinten Europas zu vertiefen, das die Herausforderungen der Zeit, insbesondere in den neuen Technologien und beim Klimawandel, meistern kann. Hier müsse noch Basisarbeit geleistet werden, da Westeuropa in der Vergangenheit zu oft im Mittelpunkt gestanden habe. Dabei nehme die wirtschaftliche Bedeutung der Staaten Osteuropas rasant zu. Sie emanzipieren sich wirtschaftlich immer mehr von der Rolle der „verlängerten Werkbank“ und tragen zunehmend zu Innovation und Wachstum in der EU bei.
Das Erreichen der gesetzten Ziele könne nur mit einem gemeinsamen europäischen Geist, einer gemeinsamen Basis gelingen, indem intensiv der Dialog zwischen Ost und West gefördert wird. Sonst werde es schwierig für die neue Kommission, die anstehenden Aufgaben und Herausforderungen zu bewältigen.
Es wurde betont, dass die europäischen Mitgliedsländer lernen müssen, dass die großen Herausforderungen wie Terrorismus, Migration, Klimawandel usw. nicht mehr nur von einem Staat allein bewältigt werden können. Dafür seien Zusammenarbeit und Kompromissbereitschaft aller Länder Grundvoraussetzung und existentiell. Auch wenn es in den letzten drei Jahrzehnten enorme Fortschritte in der europäischen Integration gab, ist das derzeitige politische Tempo zu langsam, um die bevorstehenden Aufgaben zu realisieren. Insgesamt lege die Politik in Brüssel den Fokus zu sehr auf Regulierung und Verbote statt auf Innovation. Es wäre besser, so eine der Meinungen, wenn die Kommission nicht alle Energie einzig und allein darauf richten würde, Europa 2050 klimaneutral zu machen, sondern das Problem global anzugehen und in Afrika und Südamerika zu investieren, um die Emissionen langfristig weltweit zu reduzieren.
Auch kam die Frage auf, ob es richtig war, gleichzeitig aus Atomkraft und Kohleenergie auszusteigen, ohne ein überzeugendes Konzept für Alternativen zu haben. Irgendwoher müsse die Energie ja kommen, die die Menschen, die Industrie, unsere ganze Existenz am Leben erhält. Es wurde zu wenig Realismus in der Politik beklagt und dass die Menschen und die Wirtschaft zu sehr reglementiert werden. Als ein weiterer Kritikpunkt in Richtung Politik wurde angeführt, dass ständig höhere Forderungen nach noch mehr Steuergeldern und noch mehr Subventionen oft wenig zielführend seien und sich die Politik öfter wieder darauf konzentrieren sollte, die adäquaten Rahmenbedingungen für Innovationen, Unternehmer und Firmengründer zu schaffen, welche kalkulierte Marktrisiken eingehen. Ob es der neuen EU-Kommission unter Ursula von der Leyen gelingt, Versäumtes aufzuholen und die anstehenden Herausforderungen zu meistern, wird sich zeigen.
Die Diskussion fand unter Chatham House Rules statt.
© Fotos: Marc Darchinger