„Europa braucht endlich eine Antwort auf das digitale Modell der USA“, schreibt Dr. Hannes Ametsreiter, CEO Vodafone Deutschland, in seinem Essay zu unserer Artikelserie „Europa kann es besser. Wie unser Kontinent zu neuer Stärke findet. Ein Weckruf der Wirtschaft“, die vom Handelsblatt und United Europe initiiert wurde. „Regierungen sollten daher in die Digitalisierung und Technologien investieren.“
Europa verkörpert für mich das Gefühl der Grenzenlosigkeit. Es steht für mich für ein vernetztes, verbundenes und in einer gemeinsamen Vision verwurzeltes Bündnis. In der die populistischen und nationalistischen Strömungen der jüngsten Vergangenheit keinen Platz haben, sondern Menschenrechte, Chancengleichheit sowie soziale Verantwortung eine Selbstverständlichkeit sein sollten – genau wie der freie Zugang zu Medien und Wissen.
Das Internet ist nicht für die Deutschen erfunden worden, die Spanier oder die Engländer – sondern für die Menschen der Welt. Damit sie Grenzen überwinden, sich austauschen, handeln und kommunizieren – und das stärker und schneller als jemals in der Geschichte. Im Internet ist die Idee der Vereinigten Staaten von Europa quasi inhärent. Denn das Internet kennt keine Ländergrenzen. Doch wir stehen kurz davor, dass uns unsere digitale Infrastruktur Grenzen zieht.
Digitale Infrastruktur: Die Zukunft wird mit Daten gebaut
Viele Jahre, sogar Jahrzehnte haben andere Handelsmächte dieser Welt neidvoll zu uns aufgeschaut – auch heute gilt Europa als eines der wohlhabendsten Kontinente. Wir haben den größten Binnenmarkt, die am zweithäufigsten genutzte Währung und sind führend in nachhaltiger Energie. Wir florieren in der klassischen Industrie, Landwirtschaft und in der Dienstleistung. Doch was nützt uns das, wenn die Zukunft des Wohlstands statt mit analogem Stahl mit digitalen Daten gebaut wird? Wir sind längst nicht mehr Klassenbester. Wir haben uns in puncto digitaler Infrastruktur abhängen lassen. Wir haben verlernt was es heißt, aktiv mitzugestalten. Wir haben uns selbst auf das analoge Wartegleis manövriert. Und können zusehen wie uns andere Länder im Breitbandausbau meilenweit überholt haben.
Einen richtungsweisenden Grundstein für die Gigabit Zukunft Europas hat 2016 die Europäische Kommission gelegt – lange bevor viele der EU-Staaten das Thema für sich entdeckt hatten. Die Forderung: Diejenigen Monopolisten in ihre Schranken weisen, die zwanzig Jahre Wettbewerb zurückdrehen und den Fortschritt in Europa ausbremsen wollen. Der Fokus soll klar auf echte Zukunftstechnologien wie Kabel, Glasfaser und 5G gehen. Und Brücken-Technologien wie Vectoring den Riegel vorschieben, wo Zukunftstechnologien wie Glasfaser verfügbar sind. Auch mit dem Aktionsplan für 5G in Europa hat die Kommission wichtige Weichen für eine länderübergreifende 5G Infrastruktur gestellt.
Doch damit Europas Traum von einer digitalen Poleposition Realität wird, brauchen wir Rahmenbedingungen, die auf die gleiche Ziellinie ausgerichtet sind. Rahmenbedingungen, die Wettbewerb genau wie Investitionen fördern. Und Fördergelder, die nicht nur Lackschäden ausbessern, sondern den Motor austauschen können. Genau wie der Staat Autobahnen bauen musste, damit es wirtschaftlich wird, Autos zu vertreiben, muss der Staat einen Rahmen für den Infrastrukturausbau legen, damit sich Infrastrukturinvestitionen in schnelle Netze auch rentieren. Dafür braucht es auch eine koordinierte Vergabe der 5G-Frequenzen bis 2020. Denn Mobilfunkwellen machen an Grenzen nicht halt.
Das geht nur gemeinsam, nur europäisch. Denn was nützen uns Pakte und Programme, wenn wir physische Grenzen abschaffen, die wir online wiederaufrichten? Wenn die Mitgliedsstaaten unterschiedliche Startbedingungen haben, wie sollen wir als europäische Einheit gemeinsam ins Ziel fahren? Was wäre das für ein vereintes Europa, in dem autonom fahrende Autos an Landesgrenzen wieder kehrtmachen müssten – weil sie dahinter nicht funktionieren? Wir Mitgliedsstaaten müssen eine Fahrgemeinschaft bilden und unsere Möglichkeiten gemeinsam potenzieren.
Digitale Gründer: Holen wir Start-ups an den Tisch
Gleichzeitig brauchen wir Systeme, die ineinandergreifen – zwischen allen Mitgliedstaaten. Dafür braucht es neben dem analogen einen europäischen digitalen Binnenmarkt, der keinen Halt vor Landesgrenzen macht. Ich bin der Meinung, dass der freie Datenfluss die fünfte Säule der Demokratie sein sollte.
Dafür brauchen wir die europäische Antwort auf das amerikanische Digitalmodell. Ein Modell, mit dem wir uns gegen den Einfluss der Googles, Amazons und Facebooks dieser Welt stellen. Dabei geht es nicht darum, das Google Europas zu bauen. Sondern unseren, den europäischen Weg zu finden.
Wir reden noch viel zu viel davon, dass uns Start-ups durch ihre Agilität und Innovation bereichern. Zugleich schrecken wir davor zurück, wagemutig in sie zu investieren – und sie an den Tisch der Zukunft einzuladen. Sie teilhaben zu lassen am digitalen öffentlichen Diskurs.
Bisher bestimmen allzu oft noch Politik und Großkonzerne die Narrative der Digitalisierung. Doch wir brauchen einen mentalen Wandel hin zu einem inklusiven, europäischen Modell des digitalen Wachstums. Damit Europa nicht die verlängerte Werkbank der USA oder Chinas wird, müssen wir mehr Kapital wagen, mehr Wagniskapital zulassen.
Und Start-ups unter den gleichen Bedingungen den Zugang zum gesamten europäischen Gebiet verschaffen. Nur so machen wir Ideen möglich. Und nur so sorgen wir dafür, dass Ideen auch bei uns bleiben – und nicht über den Teich mit ihren Gründern abwandern. Denn Ideen gehen immer dahin, wo das Geld ist. Sie brauchen es, um umgesetzt, um Realität zu werden.
Und das ist viel zu oft eben nicht in Europa. Kein Wunder, wenn ganz Europa gerade einmal ein Viertel des Wagniskapitals der USA zusammenbringt. Warum also setzt der größte Binnenmarkt der Welt nicht auch einen der größten Gründerfonds der Welt auf? Das hielte ich für eine lohnende Investition in Europas Zukunft.
Digitaler Optimismus: Es braucht eine Kultur der Zuversicht
Bei all dem, was wir über dem europäischen Tellerrand sehen, könnte man in Pessimismus verfallen. Aber das Gegenteil sollten wir tun: Wir brauchen einen digitalen Optimismus. Wir brauchen eine positive Vision der Zukunft dieses digitalen Europas.
Denn bisher beherrscht uns Skepsis statt Sympathie. Laut einer Studie des Vodafone Instituts sieht nicht einmal die Hälfte der Deutschen positiv in die Zukunft, wenn es um den Einsatz digitaler Technologien geht – wohl auch wegen der Machtkonzentration weniger globaler Digitalgiganten.
Es braucht einen Konsens genau wie einen Kodex, dass die Maschine dem Menschen dienen muss und nicht andersherum. Das müssen wir fest verankern und zu den Menschen tragen. Denn wenn wir keine Akzeptanz bei denjenigen erlangen, die Europa tragen werden, können wir im Wettkampf mit den anderen Weltmächten niemals aufholen.
Was mich hierbei besonders nachdenklich macht, ist die Tatsache, dass wir Europäer noch nicht einmal darauf vertrauen, dass uns unsere politischen Institutionen für die digitale Zukunft vorbereiten. Nur 40 Prozent der Europäer sehen einen starken Willen ihrer jeweiligen Regierungen, die Digitalisierung zu fördern.
Und nur ein Drittel glaubt, dass sie über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen. Hier rauschen wir im Vergleich zu den USA und Indien völlig ab. Nichtsdestotrotz, eines kittet uns Europäer zusammen: Wir sehen in unseren Regierungen die wichtigste Instanz zur Wahrung ethischer Prinzipien.
Mehr als jeder Zweite sagt, dass auch im digitalen Zeitalter vor allem der Staat unethisches Verhalten sanktionieren soll – und eben nicht Technologieunternehmen. Der Staat und was er aus Europa macht, das sind wir. Ein jeder von uns. Wir haben es selbst in der Hand: Entweder wir lenken diesen Kontinent links auf die Überholspur.
Oder wir schicken seine Zukunft auf den digitalen Standstreifen. Mit allen negativen Folgen für Wirtschaft, Fortschritt, Wohlstand und Souveränität.
In zehn Jahren sollten wir unseren Kindern nicht erklären müssen, warum wir damals Europas Zukunft verspielt haben. Wir sollten ihnen erklären können, wie wir Europa 2019 gerettet haben. Denn dieser Kontinent und seine Idee, sie brauchen uns – heute mehr als je zuvor.
Die Artikelreihe „Europa kann es besser“ erscheint bis zur Europawahl im Handelsblatt auf Deutsch und in Deutsch und Englisch auf Handelsblatt Online und der Website von United Europe. Die Texte sind auch in einem Buch zusammengefasst, das am 15. April 2019 im Herder-Verlag erschienen ist. Weitere Informationen über das Buch finden Sie hier.
Über Dr. Hannes Ametsreiter:
Dr. Hannes Ametsreiter (Jahrgang 1967) ist seit 1. Oktober 2015 CEO von Vodafone Deutschland und zugleich Mitglied des Konzernvorstandes („Executive Committee“) der weltweiten Vodafone Gruppe.
Der gebürtige Salzburger ist ein renommierter Telekommunikationsmanager mit über 20-jähriger Tele-kommunikationserfahrung in konvergenten Märkten und herausragender Expertise in Marketing und Markenführung. So hat er die Positionierung von Vodafone als Gigabit-Company geprägt und das Unter-nehmen durch die weitere Integration von Mobilfunk, Festnetz, Internet und TV sowie attraktive Produkte und immer höhere Geschwindigkeiten wieder zurück auf Wachstumskurs gebracht.
Vor seinem Einstieg bei Vodafone war er sechs Jahre Vorstandsvorsitzender und Group CEO der Tele-kom Austria Group (die in acht Ländern agiert) sowie CEO der A1 Telekom, die aus dem Zusammen-schluss der Mobilkom Austria AG und der Telekom Austria TA AG entstanden ist. Er verfügt zudem über langjährige Kapitalmarkterfahrung.
Der Deutschlandchef von Vodafone ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern.