„Understanding Europe“ hieß das Thema des Young Professionals Seminars, zu dem United Europe 23 herausragende junge Europäerinnen und Europäer aus 18 Ländern vom 20. bis 21. April 2018 nach Freiburg im Breisgau eingeladen hat. Sie wurden begrüßt von United Europe-Vizepräsident Thony Ruys und von Prof. Dr. Horst Weitzmann, der die Veranstaltung an der renommierten Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg großzügig unterstützt hat. Die Workshops fanden in Zusammenarbeit mit der Wilfried-Guth-Stiftungsprofessur für Ordnungs- und Wettbewerbspolitik und dem Centrum für Europäische Politik (cep) statt. Das cep ist der europapolitische Think Tank der gemeinnützigen „Stiftung Ordnungspolitik“.
Das Seminar begann mit einem interessanten Impuls von Dr. Andreas Schwab, Mitglied des Europäischen Parlaments. Darin beschrieb er seine Aufgaben als Mitglied des Präsidiums der EVP-Fraktion und Koordinator im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz in Brüssel.
Anschließend erläuterte er anschaulich, wie die EU-Gesetzgebung funktioniert. Er sagte: „In der europäischen Politik geht es nicht darum, Recht zu bekommen, sondern eine Mehrheit zu erlangen.“ Schwab sieht die Notwendigkeit, Europaabgeordnete anderer Parteien von seinen Ideen zu überzeugen, um eine Mehrheit dafür zu bekommen, als positiven Aspekt seiner Arbeit als Mitglied des Europäischen Parlaments. Laut Schwab basiert diese Arbeit auf der Idee, im Ausschuss einen Kompromiss zu finden. „Um voranzukommen, muss man einen gemeinsamen Standpunkt finden. Am Ende stimmen jedoch immer rechtsextreme und linksextreme Parteien dagegen.“ Auf die Frage, wie man am besten mit den kulturellen Unterschieden in der europäischen Politik umgeht, antwortete er: „Alles, was zählt, ist ein valides, unvoreingenommenes, auf Zahlen und Fakten basierendes Analysesystem.“ Außerdem findet Schwab, dass man als Politiker „auf verschiedene Interessengruppen mit sehr unterschiedlichen Positionen hören muss.“
Auf die Frage nach den Ideen Frankreichs zur Reform der EU antwortete er ganz im Sinne der Idee von Präsident Macron, dass die nationale Souveränität nur durch Bündelung in einer „europäischen Souveränität“ verteidigt werden könne. Am Ende forderte Schwab gemeinsame europäische Standards: „In fast allen EU-Ländern gibt es gute Mindeststandards. Was wir in Europa brauchen, ist ein gemeinsamer Standard, insbesondere für Verbraucherrechte.“
Das Seminar wurde mit einem Workshop von Urs Pötzsch, Politischer Analyst am cep, fortgesetzt. Pötzschs Vortrag zum Thema „Brüssel bei der Arbeit – EU-Institutionen und Gesetzgebung“ gab eine sehr gute Einführung in die institutionellen Strukturen und Entscheidungsprozesse der EU.
Im ersten Teil wurden die wichtigsten EU-Institutionen näher beleuchtet, insbesondere das Parlament, der Rat und die Kommission. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekamen einen Einblick in die verschiedenen Aufgaben dieser Institutionen, identifizierten die jeweiligen institutionellen Interessen, die sich aus ihrer jeweiligen Zusammensetzung ergeben, analysierten ihre internen Strukturen und interinstitutionellen Beziehungen und diskutierte aktuelle Themen wie den Spitzenkandidaten-Prozess. Im zweiten Teil führte Pötzsch die Teilnehmer durch die verschiedenen Phasen des Gesetzgebungsprozesses, vom Vorschlag der Kommission bis zum „Trilog“, und wies auf die Rolle der nationalen Parlamente und die Bedeutung der Komitologie (System der Verwaltungs- und Expertenausschüsse innerhalb der EU) hin.
Der zweite Tag begann mit einem Workshop zum Thema „Die Eurokrise“ von Dr. Matthias Kullas, Head of Economics & Fiscal Policy beim cep.
In seinem Vortrag erläuterte er die Ursachen der Banken- und Staatsschuldenkrise, die sich in eine Wirtschaftskrise verwandelt hat. Sieben Jahre später sehe die Eurozone insgesamt gesund und stabil aus; die EU-Kommission sehe jedoch noch Reformbedarf. Die EU-Kommission habe zu Recht erkannt, dass die Eurozone trotz der positiven Schlagzeilen weiter stabilisiert werden müsse, da es noch immer keine Konvergenz zwischen den Ländern gäbe, die für die Verringerung des Drucks in der Eurozone unerlässlich sei. So weisen beispielsweise Griechenland, Frankreich und Italien bereits seit mehreren Jahren unterdurchschnittliche oder gar negative BIP-Wachstumsraten auf.
Nach der Analyse der Ursachen der Krise begann eine lebhafte Diskussion über die Maßnahmen, die zur Überwindung der Krise ergriffen wurden. Der sehr heterogene Hintergrund der Teilnehmer löste eine spannende Debatte über unterschiedliche Herangehensweisen an kulturelle Konflikte aus.
Der dritte Workshop stand unter dem Thema „Energie- und Klimapolitik“. Geleitet wurde sie von Dr. Götz Reichert, Leiter der Abteilung Energie, Umwelt, Klima und Verkehr beim cep. Er stellte die wesentlichen Merkmale und Konflikte der heutigen EU-Energie- und Klimapolitik vor und erläuterte die Suche der europäischen Staaten nach gemeinsamen Lösungen für Energiefragen, die bereits seit Anfang der 1950er Jahre ein wichtiger Impuls für die europäische Integration waren. Die Gewährleistung einer sicheren Energieversorgung zu erschwinglichen Preisen bei gleichzeitiger Reduzierung der CO2-Emissionen sind heute die zentralen Herausforderungen der europäischen Energie- und Klimapolitik. Zu diesem Zweck strebt die EU die Schaffung eines Energiebinnenmarktes, die Förderung der Energieeffizienz, die Förderung erneuerbarer Energien und die grenzüberschreitende Vernetzung der Energienetze an. Die Teilnehmer diskutierten verschiedene EU-Instrumente – von Standards für energieeffiziente Produkte bis zum EU-Emissionshandelssystem. Die jüngsten politischen Reformen, die in Brüssel heftig diskutiert wurden, haben die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten, der Unternehmen und der Umweltschützer deutlich gemacht.
Der vierte und letzte Workshop widmete sich unter dem Titel „Quo vadis, Britain?“ dem Brexit und seinen Folgen. Geleitet von Dr. Bert Van Roosebeke, Head of Department beim cep, entspann sich unter den Teilnehmer eine lebhafte Diskussion über den Ausstieg Großbritanniens aus der EU. Mit einem britisch-irischen und einer britischen Young Professional erhielt die Gruppe zudem zwei Einblicke darüber, was dieser Ausstieg persönlich bedeuten kann. Van Roosebeke erläuterte die beispiellosen rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen, vor denen die EU derzeit steht. Die Gruppe erörterte die wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexits, den Ablauf des Verhandlungsprozesses und die Bedeutung und Schwierigkeiten der Übergangsphase. Schließlich stellte Van Roosebeke den möglichen Charakter der künftigen, ständigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich vor (als Drittland, d.h. nicht Mitglied der EU). Die Teilnehmer bewerteten, ob der europäische Wirtschaftsraum, der Ukraine-Vertrag, die EU-Schweiz-Verträge oder ein CETA-ähnliches Handelsabkommen als Beispiel für zukünftige Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien dienen könnten. Natürlich wurde auch diskutiert, ob der Brexit reversibel sei. Die Teilnehmer kamen zu dem Schluss, dass ein mögliches neues Referendum letztlich keine rechtliche, sondern eine politische Frage sei.
Ein großer Diskussionspunkt war der politische Entscheidungsprozess der EU. Wie können wir als Bürger die Stimme erheben und zum Entscheidungsprozess in Brüssel beitragen? Wäre es besser, wenn die Gesetzgebung der EU schneller wäre? Es gab viele unterschiedliche Meinungen darüber, ob der europäische Gesetzgebungsprozess transparent genug sei. Und wie effizient die EU-Bürokratie sei (entgegen einer weitverbreiteten Meinung ist das EU-Parlament mit nur 6 % seines Gesamthaushalts effizienter als viele nationalen Parlamente). Viele Teilnehmer plädierten für eine größere Vereinfachung von Prozessen, auch, um schnellere Antworten zu erhalten. Ausgiebig wurde auch über die Vor- und Nachteile von Konsensprozessen und Kompromissen und die Notwendigkeit, eine gemeinsame Position zu finden, diskutiert. Die Teilnehmer waren sich einig, dass es enorm wichtig sei, das Bewusstsein für EU-Themen bei den Europäern zu schärfen.
Bei der Erörterung der aktuellen Probleme Europas waren sich die Teilnehmer einig, dass es der EU an der Unterstützung der Bevölkerung mangelt. Oft basieren Vorschläge auf einer guten Absicht, die bei der Umsetzung aber nicht mehr sichtbar seien. Um Europa zu verstehen, sei Kommunikation ein wichtiger Schlüssel: Jedes Gesetz sollte auf den Mehrwert für die europäischen Bürger überprüft werden. Die EU sollte klar über die positiven Aspekte eines bestimmten Gesetzes oder einfach über den Nutzen der Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft sprechen. Zusätzliche Mittel für Informationsreisen nach Brüssel, um zu zeigen, wie Europa tatsächlich funktioniert, könnten ebenfalls eine Möglichkeit sein.
Angeregt durch das Seminar über die Eurokrise wurde eine weitere wichtige Frage aufgeworfen: Was muss sich in Europa ändern, um für sofortiges Handeln gerüstet zu sein und nicht immer nur in Krisenfällen als Feuerwehr aufzutreten? Das sei auch eine Frage des Erwartungsmanagements, sagte ein Teilnehmer: Zum Beispiel sollten, wenn es kein großes Ergebnis gibt, EU-Gipfel nicht Gipfel, sondern einfach als EU-Treffen bezeichnet werden.
Es bleibt die Frage, wie man mit unerwarteten Krisen in der EU umgeht. Es gab verschiedene Vorschläge für eine bessere, zukünftige europäische Gemeinschaft. Wir haben auch darüber diskutiert, ob Europa vielleicht Herausforderungen wie den Euro oder die Migrationskrise braucht, um sich selbst zu erneuern. Viele waren sich einig: Wenn wir Europa weiterbringen wollen, müssen wir die nationalen Interessen abschaffen. Wir müssen uns zu einem europäischen Souverän entwickeln. Zudem sollte sich Europa auf fünf Hauptthemen konzentrieren: Migration, Wirtschaft, Umwelt, digitaler Markt und Haushaltsfragen. Bei diesen Themen habe die EU die volle Gesetzgebungskompetenz und es gäbe kein nationales Eingreifen mehr.
Die Diskussionen über eine europäische Souveränität führen zu der Frage: Gibt es so etwas wie eine gemeinsame europäische Identität? Wenn ja, wie kann sie angeregt und geformt werden? Für viele Teilnehmer ist in diesem Bereich das europäische Studentenaustauschprogramm „Erasmus“ eines der besten EU-Projekte. Der Nutzen von Erasmus für eine europäische Identität ist selbsterklärend. Das Leben und Studieren im Ausland ist ein Erlebnis, das die Augen öffnet; das gilt auch für das Reisen. Das Überschreiten von Grenzen erweitert den Horizont. Alle Teilnehmer begrüßten die Position von United Europe, die Petition für kostenlose Interrail-Tickets für alle jungen Europäer zu unterstützen.
Zudem fragten sich die Teilnehmer, warum es keine echten grenzüberschreitenden europäischen Medien gibt; um Themen mit europäischen Dimensionen zu diskutieren, wäre es äußerst nützlich, eine gut etablierte europäische Nachrichtenplattform zu haben. Eine Plattform, die für alle Europäer zugänglich ist. Derzeit gäbe es keinen großen Anreiz für Journalisten, auf europäischer Ebene zu berichten. Es bestehe jedoch Bedarf an seriösen und fundierten Informationen und Nachrichten zu europäischen Themen. Viele Teilnehmer glauben, dass dies auch ein effektiver Weg sein könnte, um gefälschte Nachrichten und populistische antieuropäische Stimmen in Social-Media-Netzwerken zu bekämpfen, denn Desinformation destabilisiert Demokratien und letztlich die EU.
Am Ende wünschten sich viele eine Fortsetzung des Seminars „Europa verstehen, Teil II“. Nach einer umfangreichen Einführung in die Funktionsweise Europas und den theoretischen Rahmen hätten die Teilnehmer ihr Wissen gerne umgesetzt. In Anbetracht der Tatsache, dass wir eine so große Vielfalt an kulturellen, persönlichen und beruflichen Hintergründen hatten, wäre es wunderbar gewesen, das Seminar mit Planspielen fortzusetzen.
Das Seminar endete mit einem wundervollen Dinner im Greiffenegg-Schlössle über den Dächern Freiburgs.
Statements unserer Teilnehmer:
Simone Kopping, Leiterin Produktsicherheit, Deutschland/Schweiz: Das Seminar hat mir – schon am ersten Tag – wirklich geholfen zu verstehen, wie die europäischen Institutionen funktionieren. Und das brauche ich auch als Bürger Europas, um zu verstehen, wie Politikgestaltung funktioniert, und darum kann ich nur sagen: Daumen hoch!
Anna Romandash, Journalistin, Ukraine: Ich interessiere mich für diese Veranstaltung, weil ich viel darüber lerne, wie die EU funktioniert, da ich aus der Ukraine komme und wir starke europäische Ambitionen haben. Für mich ist es interessant zu sehen, wie das europäische Projekt funktioniert, was wir als Ukrainer in unser Land bringen können und wie wir von der Zusammenarbeit mit der EU profitieren können.
Luise von Massow, Senior Consultant, Deutschland: Auch außerhalb der Workshops finden interessante Diskussionen statt. Besonders heute hatten wir einen Workshop über die Eurokrise in dem ich die Perspektiven von Menschen aus ganz Europa und verschiedenen Ländern gehört habe. Sie alle haben unterschiedliche Perspektiven, und das Seminar bereichert mich auch persönlich, ich habe es wirklich genossen.
Rimvydas Petersonas, Wirtschaftswissenschaftler, Litauen: Es ist eine große Freude, an diesem Seminar mit so interessanten und angesehenen Leuten teilzunehmen. Wir hatten sehr interessante und weitreichende Diskussionen über die Wirtschaftskrise, über Brexit und die Energiepolitik. Ich habe das Gefühl, dass ich viel Neues gelernt und mein berufliches Wissen erweitert habe, und ich bin sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, hier mitzumachen.
Mariana Platon, Projektleiterin, Republik Moldau: Dies ist für mich eine großartige Gelegenheit zu verstehen, wie Europa heute funktioniert; denn die Republik Moldau ist auf dem Weg in die europäischen Integration, und es ist eine großartige Gelegenheit, mehr über die Prozesse zu erfahren und Meinungen mit Teilnehmern aus anderen Ländern auszutauschen. Danke für diese Gelegenheit, es war ein wirklich tolles Seminar.
Beth Oppenheim, Politikwissenschaftlerin, Großbritannien: Es war wirklich brillant, an diesem Wochenende hier zu sein und von anderen europäischen Mitgliedsstaaten so viel Positives zu hören. Natürlich hat das Vereinigte Königreich ein wenig Ärger mit der Europäischen Union. Ich halte es für sehr wichtig, dass die europäischen Bürger über die Bedeutung der EU und die Art der Mechanismen der EU und der EU-Gesetzgebung aufgeklärt werden. Und ich denke, eines der großen Probleme des Brexits war der Mangel an Verständnis für EU-Prozesse, was eine Art Angst vor der EU ausgelöst hat, was durch die Medien in Großbritannien noch unterstützt wurde. Deshalb ist Transparenz so wichtig, und es war brillant, dass wir Einblicke darüber erfahren haben.
Luca Contrino, Master Student und Journalist, Italien: Mein Interesse an Europa rührt daher, dass ich inzwischen in sechs verschiedenen Ländern gelebt habe. Europa vermittelt ein Gefühl der Einheit und Zugehörigkeit, das einzelnen Ländern nicht möglich ist. Und dieser Respekt, aber auch die Geschichten meiner Eltern und Großeltern über einen Kontinent, der fast die ganze Geschichte hindurch in Konflikte verwickelt war und nun die größte ununterbrochene Periode des Friedens in seiner Geschichte kennenlernt, ist etwas, das wir bewahren und weiter voranbringen müssen, denn es wird für den Wohlstand des Kontinents und der Bürger wesentlich sein. Das Seminar diente dazu, mein Wissen über die europäischen Institutionen und die wichtigsten technischen Fragen, mit denen sich die Union als nächstes konfrontiert sieht, erheblich zu erweitern, und es ist wichtig, sich weiterzubilden und dafür zu sorgen, dass die Bürger informiert werden.
Anna Chashchyna, Umweltschützerin, Ukraine: Ich habe viel gelernt und definitiv von dem Seminar profitiert, insbesondere vom Umweltrecht und der Umweltperspektive der Europäischen Union. Jetzt sehe ich sicherlich mehr von der Art und Weise, wie sich die Ukraine in ihrer eigenen Politik und ihrem eigenen Recht bewegen sollte, und ich hoffe, dass ich das alles mit nach Hause bringen kann.
Eshgin Tanriverdi, PhD Internationale Beziehungen, Aserbaidschan/Türkei: Es war ein hervorragendes Seminar. Sie haben ein neues Paradigma zur Aufklärung der Menschen über die EU gesetzt, und dafür werden Sie von vielen Wählern unterstützt. Ich würde gern an weiteren Seminaren von United Europe teilnehmen.