
Es ist schon oft gesagt worden, dass Europa wirtschaftlich und finanziell ein Riese ist, politisch ein Heranwachsender und militärisch ein Zwerg. Aber kann es sich den Luxus noch leisten, es dabei zu belassen?
Schauen Sie die Herausforderungen und Bedrohungen an, vor denen wir stehen: Klimawandel, Migration, Terrorismus, Pandemien und Staatsverfall, um nur einige zu nennen. Nichts davon kann durch auf der Ebene der Nationalstaaten gelöst werden.
Ich bin überzeugt, dass wir Europa mehr brauchen als jemals zuvor. Ich bin kein Föderalist, aber es ist mir bewusst, dass wir die Europäische Union stärken müssen. Möglicherweise kommen wir dabei in den Genuss unerwarteter Unterstützung:
Da ist Donald J. Trump, der zur europäischen Einigung beiträgt. Er hat die Deutschen zu der Einsicht gebracht, dass sie eine Führungsrolle übernehmen und das deutsch-französische Tandem wiederbeleben sollten. Das ist durch die Wahl von Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten möglich geworden.
Auch Vladimir Vladimirovich Putin hilft uns. Die EU wacht allmählich aus ihrer Lethargie auf. Gemeinsam geben Trump und Putin der EU den Schub, den sie braucht.
Schließlich ist da auch noch Brexit, die gravierendste Entscheidung, die Großbritannien je getroffen hat, und eine, die enorme Folgen für die Europäische Union hat. Man darf nicht vergessen, dass es unsere wichtigste Militärmacht ist, die austritt. Brexit wird eine gemeine, harte Angelegenheit werden, die viele Wunden schlägt.
Und doch sind wir gut beraten, auch die Chancen dieser Krise zu nutzen. Der Brexit vergrößert den Druck auf Deutschland und Frankreich, sich gemeinsam für ein Update der EU einzusetzen.
Was sind die nächsten Schritte?
- Wir müssen den Euro stärken. Das bedeutet, dass wir die Bankenunion vollenden, Steuern harmonisieren und ein gemeinsames Einlagensicherungssystem entwickeln.
- Wir müssen sicherstellen, dass die EU ihre Außengrenzen schützen kann. Wenn wir daran scheitern, werden wir die Grenzen innerhalb der EU nicht mehr offenhalten können. Viele der Freiheiten, die wir genießen, werden verloren gehen. Ein wirksamer Schutz der Außengrenzen macht es auch erforderlich, Vereinbarungen mit den Ländern Nordafrikas und Subsahara-Afrikas zu schließen, selbst wenn das nicht leicht wird.
- Die EU sollte militärisch auf eigenen Füßen stehen können. Ich glaube nicht an das sofortige Ende der Pax Americana, die uns Jahrzehnte der Stabilität beschert hat, aber wir brauchen unsere eigene Verteidigung. Wenn nötig, müssen wir auch in der Lage zu Militäreinsätzen außerhalb unserer Grenzen sein. Ich bin immer ein überzeugter Atlantiker gewesen, aber ich glaube, dass Europäer zu sein dazu gut passt.
- Wir müssen so viel Wettbewerbsgleichheit mit China und den USA schaffen wie möglich. Die Welt bewegt sich in Richtung eines neuen G2, und wir dürfen nicht zwischen den beiden Polen zerdrückt werden.
- Wir müssen den Rechtsstaat und seine Institutionen schützen. Länder wie Ungarn, Polen und zum Teil auch die Slowakei – oder, außerhalb der EU die Türkei und Mazedonien – sind dabei, zu illiberalen Demokratien zu werden. Sie halten Wahlen ab, aber es fehlt ihnen an Respekt für die Institutionen, die unsere demokratischen Werte verkörpern. Es gibt eine Erosion und einen Mangel an Respekt für die unabhängige Justiz, die Redefreiheit und die Pressefreiheit. Wir müssen unser Haus in Ordnung bringen.
Ich hoffe, dass Deutschland gemeinsam mit Frankreich bereit ist, die Führung zu übernehmen. Wir sollten optimistisch sein und auf die deutsch-französische Führung vertrauen. Die Reformen sollten sehr pragmatisch angegangen werden.
Zum jetzigen Zeitpunkt sollten wir nicht versuchen, die EU-Verträge zu ändern. Wir sollten im Rahmen der bestehenden Verträge bleiben und die Vielfalt innerhalb der EU akzeptieren. Nicht bei allem können und sollen 28 (oder, nach dem Brexit, zu 27) Mitgliedsstaaten mitmachen.
Einige Mittel- und Osteuropäer werden dies nicht mögen, weil sie das Risiko nicht eingehen wollen, zurückgelassen zu werden. Aber die EU wird nicht überleben, wenn wir versuchen, alles immer mit allen zu tun.
Jaap de Hoop Scheffer war Außenminister der Niederlande und Generalsekretär der NATO. Heute lehrt er Internationale Beziehungen und Diplomatische Praxis an der Universität Leiden. Dieser Beitrag ist Teil einer Rede, die Jaap de Hoop Scheffer beim Young Professionals Seminar am 2. Juni 2017 in Amsterdam hielt.