Unter dem kombinierten Druck, den Migranten und Terroristen ausüben, könnte der Schengen-Raum – die Zone der Europäischen Union, in der die Grenzkontrollen abgeschafft wurden – zu einem Ding der Vergangenheit werden. Viele Mitgliedstaaten haben vorübergehende Einschränkungen der Reisefreiheit an ihren Grenzen beschlossen; einige haben sogar Stacheldraht-Barrieren errichtet, um die wahrgenommenen Bedrohungen ihrer Stabilität und Sicherheit abzuwehren. Das Schengen-System, das einmal entwickelt worden war, um die Europäer zu schützen, wird weitgehend in Frage gestellt. Im Mai 2016 ermächtigte Brüssel eine Verlängerung dieser außergewöhnlichen Maßnahmen um weitere sechs Monate. Eine Rettung dieses Systems ist immer noch möglich, aber nicht sicher.
Der Schengen-Raum ist Europas kontrollfreie Reisezone, die im Jahr 1985 für fünf EU-Mitgliedstaaten entworfen wurde; heute umfasst sie 26 europäische Nationen – Bulgarien, Kroatien, Zypern, Irland, Rumänien und das Vereinigte Königreich sind die einzigen Mitglieder des Blocks, die außerhalb des Systems geblieben sind. Das Gebiet repräsentiert die Werte der Freizügigkeit von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital innerhalb Europas und es steht für die vielleicht größte Leistung in den 60 Jahren der europäischen Integration – sie ist eine entscheidende Komponente des Binnenmarktes. Die wirtschaftliche, politische und psychologische Rolle kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Aber Schengen wird nun durch die schlecht kontrollierte Migration aus dem Nahen Osten und Afrika sowie durch die Angst vor mehr Terroranschlägen untergraben. Seine Zukunft ist düster.
Die Vorteile der Zone
Ein stressfreier Grenzübertritt hilft, Einnahmen aus dem Tourismus zu generieren und er macht das Leben viel einfacher für Pendler, Geschäftsleute und natürlich auch für Lkw-Fahrer, die Waren innerhalb der Zone transportieren. Die Schaffung und der Ausbau dieses Systems haben die Ausweitung des europäischen Markts ermöglicht, den Handel stimuliert und eine wirtschaftlich sinnvolle Arbeitsteilung gefördert. Auch hat die wachsende gegenseitige Abhängigkeit dieser Teile des Kontinents die Europäer weniger nationalistisch werden lassen (außer in Zeiten der Krise) und ihr Bewusstsein für ihr gemeinsames Erbe geschärft. Schengen half beim Aufbau enger Beziehungen zwischen den europäischen Zivilgesellschaften, es schuf ein Gefühl des europäischen „Miteinander“. Oder wie Montesquieu argumentiert haben könnte: Die wirtschaftliche und menschliche Integration, die durch Schengens „doux commerce“ ermöglicht wurde, stärkte den europäischen Frieden.
Doch seit etwa einem Jahr steht diese bedeutsame Errungenschaft unter großem Druck. Ein Grund dafür ist die Zuwanderungskrise. Der andauernde Konflikt in Syrien und die Migrationswellen aus dem Nahen Osten und Afrika, die durch den Menschenhandel verstärkt werden (eine Branche, die im Jahr 2015 schätzungsweise 5 bis 6 Milliarden Euro umsetzte), bugsierten im vergangenen Jahr eine Rekordzahl von Asylbewerbern in die EU. Während Deutschland sie zunächst willkommen hieß, begannen viele Länder entlang der Route, diese Karawane durch ihre Gebiete kritisch zu beäugen und sie zu blockieren. Überflutet mit mehr als einer Million Flüchtlingen, hatte Deutschland schließlich keine andere Wahl, als ebenfalls temporäre Grenzkontrollen zu verhängen. Trotz des Verlustes von Leben und des unermesslichen Leids von Migranten, versetzte ihre schiere Anzahl viele Europäer in Angst. Ohne eine klare Lösung in Sicht – weder für die Europäer, noch für die Flüchtlinge –, setzte auf dem Kontinent Verzweiflung und Frustration ein.
Wetterwechsel
Kein Wunder, dass sich solche Spannungen jetzt in Anti-Einwanderungs- Maßnahmen übersetzten, die traditionell von rechten Parteien befürwortet werden, wie dem Front National in Frankreich, der Jobbik in Ungarn oder der Alternative für Deutschland. Hässliche Vorfälle, für die Migranten verantwortlich gemacht wurden, wie eine Reihe von sexuellen Übergriffen zu Silvester in Köln, ließen die Gefühle noch weiter hochkochen. Die politischen Entscheidungsträger mussten den Stimmungen in ihren Wahlkreisen Tribut zollen. Da die viel gerühmte „europäische Solidarität“ ausblieb und die meisten Länder einfach versuchten, die Flüchtlinge zu ihren Nachbarn abzuschieben, entstand ein Gefühl der Ungerechtigkeit, und
Konflikte zwischen den EU-Mitgliedern entbrannten. Die Beschränkung des Zustroms von Migranten wurde für die meisten Politiker zwingend notwendig, wie hoch damit auch das Risiko für den Schengen-Raum wurde.
Die Terroranschläge in Paris im November 2015 und in Brüssel im März 2016 liefer- ten noch mehr Gründe, um Schengen auszusetzen. Offene Grenzen machen es für Terroristen einfacher, sich zu bewegen, und einer der Pariser Terroristen war tatsächlich als syrischer Flüchtling in die EU gekommen. Ein anderes, weniger aktuelles Argument für die Eindämmung der Reisefreiheit ist die Chance für organisierte Einbrecher-Banden, schnell den nationalen Polizeibehörden zu entkommen. All diese Faktoren haben Zweifel über die Fähigkeit der Regierungen aufgeworfen, die grundlegende Sicherheit im Rahmen der Schengen-Regeln zu gewährleisten.
Ein Europa ohne Schengen
Der Verlust des Schengen-Raums würde wahrscheinlich das Gefühl der „Europäität“ schwächen und das gegenseitige Vertrauen zerstören, das sich über eine Generation entwickelt hat. Ein Anstieg des Nationalismus könnte folgen. Natürlich gäbe es da auch die wirtschaftlichen Kosten, von sinkenden Einnahmen aus dem Fremdenverkehr, über weniger Geschäftsabschlüsse – was weniger ausländische Direktinvestitionen (FDI) bedeutet – bis hin zu Import- und Export-lähmenden Lastwagen-Staus an überlasteten Grenzübergängen. Die Europäer würden den Wert des Schengen-Raum-Systems, das sie heute für selbstverständlich halten, nachträglich zu schätzen wissen. Hinzu kommen die Kosten für die Neuerrichtung der Grenzen mit Zäunen, Mautstraßen usw., sowie die Ausgaben für Zollpersonal und die vergrößerte Verwaltung.
Verschiedene Schätzungen für diese Kosten sind heute im Angebot. Im Februar 2016 taxierte „France Strategie“, ein regierungsnaher Think Tank, die Kosten für den Ausstieg aus Schengen auf 110 Milliarden Euro über zehn Jahre (davon entfielen allein 10 Milliarden Euro auf Frankreich). Diese Schätzung enthielt nicht die Kosten für die Neuaufstellung der Grenzkontrollsysteme, die Auswirkungen auf die FDI oder die reduzierte Mobilität der Arbeitskräfte. Das Ende von Schengen würde „einer 3-prozentigen Handelssteuer entsprechen“, was „zu einem strukturellen Rückgang beim Handel von 10 bis 20 Prozent“ führte, so die Autoren des Berichts. Die erschöpfendere aktuelle Studie des Europäischen Parlaments beziffert die Verluste auf 100 bis 230 Milliarden Euro binnen 10 Jahren im Falle eines dauerhaften Rückzugs vom Schengen-System. Die Bertelsmann-Stiftung in Deutschland ist noch pessimistischer, sie schätzt den gesamten wirtschaftlichen Verlust auf 500 Milliarden bis 1,4 Billionen Euro im Zeitraum zwischen 2016 und 2025 – wobei Deutschland allein 77 Milliarden bis 235 Milliarden Euro einbüßen würde.
Ein weniger wohlhabendes Europa hätte auch wirtschaftliche Folgen für seine Partner, insbesondere China und die Vereinigten Staaten. Dies wiederum brächte noch mehr schlechte Nachrichten für Europa mit sich, nicht unähnlich denen, die man während des Trudelns der Abwärtsspirale in die Depression der 1930er Jahre erhielt. Ein Rückzug aus Schengen dürfte wohl auch ein Ende der gemeinsamen Währung bedeuten, da der europäische Binnenmarkt zerbrechen würde. Doch auch die möglichen Rettungsszenarien für Schengen sind nicht frei von Problemen.
Bye-bye Griechenland?
Bis April 2016 war Griechenland der wichtigste Zugangspunkt für Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika, hier fand mehr als 80 Prozent des Übergangs statt. Das Land zeigte die Tendenz, die Schengen-Regeln recht lax durchzusetzen und in vielen Fällen ließ man die Neuankömmlinge einfach gen Norden durch. Dies wurde mit scharfer Kritik aus den betroffenen Ländern beantwortet; es gab sogar Forderungen, Griechenland aus dem Schengen-Raum auszuschließen. Aber genau wie im Falle der öffentlichen Finanzen Griechenlands war sich Brüssel seit Jahren der unerlaubten Praktiken des Landes bewusst. Es war ein bisschen heuchlerisch von der EU, sich plötzlich darüber zu echauffieren, wie schlecht die Griechen die Schengen-Grenze bewachten. Darüber hinaus befinden sich die Griechen seit 2010 in der Zwangsjacke einer schweren Schulden- und Politik-Krise, daher haben sie nur wenige Ressourcen übrig, um sich der Unterstützung der Einwanderer zu widmen. In diesem Zusammenhang behauptete Athen, 2 Milliarden Euro für dieses Problem ausgegeben zu haben, was seine Forderung nach der Solidarität der EU vereinfachte.
Die Spannungen innerhalb Griechenlands sowie zwischen Griechenland und der EU häufen sich, da sich die Schuldzuweisungen fortsetzen. Mit Blick auf das große geopolitische Schachbrett war sich Brüssel wohl bewusst, dass Wladimir Putins Russland nach einem Eröffnungszug suchte, um die EU noch mehr zu stören. Griechenland auszuschließen würde das Land in ein riesiges Zuwandererlager verwandeln und die regionale Stabilität weiter untergraben. Im März 2016 wurde Griechenland materielle Unterstützung versprochen, unter dem Vorbehalt, dass die Regeln angewendet werden müssen – vor allem jene zur Kennzeichnung und Registrierung aller Ankömmlinge. Frontex, die mit der Koordination der Grenzkontrollen und dem Stoppen der illegalen Einwanderung beauftragte EU-Agentur, entsandte im April zusätzliches Personal zu den griechischen Gewässern.
Es war klar, dass der nächste notwendige Schritt darin bestand, die Abfahrten der Flüchtlinge aus der Türkei zu blockieren.
Türkische Dämmerung?
Die Türkei sitzt direkt an der natürlichen Route für die syrischen Migranten auf dem Weg nach Griechenland. Mit mehr als 2,7 Millionen Syrern, die sich bereits auf ihrem Staatsgebiet befinden, muss die Türkei an jeder denkbaren Lösung der Krise mitbeteiligt sein. Brüssel erreichte im März einen Deal mit Ankara. Die Türkei sagte zu, die Migranten aufzuhalten und zu verhindern, dass sie auf dem Weg nach Griechenland die Route Türkei-Ägäis nehmen – auf diese Weise sollte die Anzahl der tragischen Todesfälle auf See reduziert und, aus politischer Sicht, dem Schengen-System geholfen werden. Der Deal umfasste eine Provision für die Wiederaufnahme jener Flüchtlinge in die Türkei, die kein Asyl beantragt hatten oder deren Antrag von den griechischen Behörden abgelehnt worden war. Zudem würde die EU für jeden Flüchtling, der von Griechenland in die Türkei zurückgeschickt werden könnte, einen syrischen Flüchtling aus der Türkei akzeptieren.
Im Gegenzug erhielt Ankara 3 Milliarden Euro an Hilfen aus der EU sowie die Fortführung seiner Beitrittsverhandlungen. Im Mai verkündete der Leiter von Frontex, dass „die Türkei geliefert habe“: Die Zahl der Migranten, die im April die Ägäis überquert hatten, fiel um 90 Prozent auf rund 2.700 Personen. Zur gleichen Zeit erreichten 8.370 Flüchtlinge Italien.
Aber wird der Deal halten? Er wurde durch ein Versprechen über visafreies Reisen für türkische Bürger versüßt. Dies allerdings ist an die Bedingung geknüpft, dass die Türkei ihre Menschenrechtsbilanz verbessert – in einer Zeit, in der die Regie- rung von Recep Tayyip Erdogan für die türkischen Anti-Terror-Gesetze und die Inhaftierung von Journalisten und Kritikern ins Visier gekommen ist. Viele in Europa sehen Elemente einer Erpressung in diesem Deal. Tatsächlich verpasste die Türkei eine im Juni abgelaufene Frist, um die von der EU festgelegten Bedingungen für das visafreie Einreisen ihrer Bürger in den Schengen-Raum zu erfüllen. Ankaras mangelnde Bereitschaft, seine Anti-Terror-Maßnahmen aufzuweichen, erwies sich als besonders große Hürde.
Ein zweites Problem ist, dass der Mann, der im Grunde genommen für die Umsetzung des Zuwanderungs-Deals verantwortlich war, nämlich der ehemalige Premierminister Ahmet Davutoglu, Anfang Mai von Erdogan gefeuert wurde. Heute scheint der Deal zerbrechlich zu sein.
Er ist sogar noch zerbrechlicher, bedenkt man, dass er eine Reisefreiheit für 80 Millionen Türken nach Europa vorsieht, die meisten von ihnen sind Muslime. Viele europäische Bürger und Politiker mit nicht wirklich pro-muslimischen Positionen werden feststellen, dass es ihnen unter den gegebenen Umständen schwerfällt, dies zu akzeptieren. Tatsächlich bedeutete der Pakt, Schengen zu schützen, indem er einfach selbst zu einer Gefahr für Schengen wurde.
Die Türkei sagte zu, die Migranten aufzuhalten und zu verhindern, dass sie auf dem Weg nach Griechenland die Route Türkei-Ägäis nehmen – auf diese Weise sollte dem Schengen-System geholfen werden
Im Bewusstsein der Probleme wird sich die EU wahrscheinlich jetzt Zeit erkaufen, indem sie bei den Gesprächen über die Details des Pakts in eine scheinbare Erbsenzählerei verfällt – in der Hoffnung, dass der Zustrom von Migranten irgend- wie nicht wieder anschwellen wird. Dies könnte sich jedoch als kurzsichtig erweisen – Spielchen zu spielen mit einem „Pförtner“ wie der Türkei, der so viel Einfluss besitzt.
Ausländische Partnerschaften
Nicht nur die Türkei stellt in diesen Tagen ein kniffliges Problem für die EU-Chefs dar. Anfang Juni kündigte die Europäische Kommission ein „New Migration Partnership Framework“ an, ein Programm, das den Ländern, aus denen die meis- ten Migranten stammen – wie Afghanistan, der Irak, Syrien oder die afrikanischen Länder wie Mali und Nigeria – oder die sich an deren Transitrouten befinden (wie Libyen), rund 8 Milliarden Euro an Hilfen anbietet. Die Idee hinter dem Programm ist, zumindest einige EU-Steuergelder in Versuche zu investieren, die Migration durch ein Wirtschaftswachstum in den ärmsten Gebieten einzudämmen und um die Transitländer mit den technischen Aspekten der Prävention gegen eine illegale Zuwanderung zu unterstützen – etwa, indem man deren Kapazitäten für das Grenzmanagement verbessert.
Der Ansatz scheint vernünftig, die Ideen sehen auf dem Papier gut aus. Bei genauerem Hinsehen aber bergen sie mindestens drei politische Risiken. Einige wer- den sagen, dass die Kommission einen Weg gefunden hat, ihre Hilfs-Industrie zu erweitern. Jede Erhöhung der „Zwangs-Solidarität“ mit Steuergeldern und einer ausgeweiteten Bürokratie sehen die Euroskeptiker mit Verärgerung. Es besteht zudem das Risiko, dass diese erweiterte Bürokratie eigentlich nicht effizient genug sein wird, um Fortschritte zu erzielen, die die Probleme lösen können. Schlimmer noch, diese Maßnahmen könnten ihrem erklärten Ziel zuwider laufen. Die Erfahrung aus vielen Jahrzehnten der Auslands-Hilfen an Entwicklungsländer hat deutlich gezeigt, dass oftmals Geld, das man korrupten Regimen übergab, der Entwicklung meist mehr schadeten als halfen, was den unglücklichen Menschen noch mehr neue Anreize gab, auszuwandern. Natürlich sind die „skrupellosen Schmuggler“, auf die Brüssel oft hinweist, ein Problem; doch die dortigen skrupellosen Staats- chefs könnten eine noch größere Herausforderung für die Beihilferegelungen des Westens darstellen.
Zurück zum Wesentlichen
Ob die EU-Chefs in der Lage sein werden, Schengen zu retten, hängt jetzt weitgehend von ihrer Fähigkeit ab, eine pragmatische Politik umzusetzen – wie es ihnen, bis zu einem gewissen Grad, auch im März und April dieses Jahres gelungen war. Die Verwirrung und die Konflikte entstehen überwiegend aus den unterschiedlichen Ansichten darüber, was europäische „Solidarität“ eigentlich bedeuten soll; allzu oft wird der Begriff verwendet, um ein unverantwortliches Verhalten oder einen Vorwand zu entschuldigen, um das Wachstum der sogenannten „heilsamen“ Bürokratie zu fördern, wie es während der letzten Finanzkrise geschehen war.
Wird die EU zurück zu ihren Wurzeln finden? Wenn die Schengen-Vorschriften nicht mit Gewalt aufrechtzuhalten sind, wenn Zuständigkeiten in Frage gestellt werden und der Begriff der „Solidarität“ von Doppelzüngigkeit eingetrübt wird, dann fällt es schwer, ein positives Szenario zu sehen (so wurden zum Beispiel von den 160.000 Migranten, die angeblich aus Griechenland und Italien verlegt werden sollten, nur etwa 2.000 in andere Länder hereingelassen). Diese Schengen-Krise ist ein Test der demokratischen Reife für die EU und ihre Mitglieder. Im vorliegenden Zusammenhang werden sichere Grenzen zum wichtigsten Gemeingut in der EU. Wenn die EU nicht in der Lage ist, ein wirklich effektives System der Bewachung seiner Land- und Seegrenzen einzurichten, wie sie es im Dezember versprochen hatte, wenn ein Informationsaustausch und die Zusammenarbeit nicht zustande kommen, wenn es keine Interoperabilität der Informationssysteme gibt, wie es im April diskutiert wurde, dann wird die Schlacht zur Verteidigung Schengens und damit der „Festung Europa“ verloren sein.
Zur gleichen Zeit lauert da noch eine tiefergehende Frage über diese Festung. Es ist wahr, dass riesige Wellen von Migranten nicht leicht zu handhaben sind. Aber die offensichtliche Unfähigkeit des reichen Europas, Migranten aufzunehmen, ist so alarmierend, weil sie strukturell bedingt ist. Die Menschen sind keine Belastung; sie stellen eine Chance dar, Werte zu schaffen. Dass die Europäer darauf bestehen, diese Chancen als Bedrohungen wahrzunehmen, erzählt eine beunruhigende Geschichte über das heutige Europa. Diese Zivilisation kann sich wegen ihrer überregulierten Arbeits- und Wohnungsmärkte nicht weiter öffnen und wegen ihrer überteuerten, ausgrenzenden Sozialsysteme. In einem solchen Kontext schafft eine Zuwanderung nur Konflikte, keine Werte.
Trotz ihrer gemeinsamen Freihandelszone sind die europäischen Gesellschaften zunehmend erstarrt und unflexibel.
Dieser Report wurde von Dr. Emmanuel Martin verfasst und unseren Mitgliedern freundlicherweise vom © Geopolitical Information Service AG, Vaduz zur Verfügung gestellt:
www.geopolitical-info.com