Die Arbeitslosigkeit in Frankreich befindet sich auf einem Allzeithoch. Obwohl fast eine halbe Million subventionierter Arbeitsplätze geschaffen wurden, sind die Reihen der Arbeitslosen in den vergangenen drei Jahren seit der Wahl Präsident François Hollandes um circa 1,2 Millionen auf 6,4 Millionen angeschwollen. Bereits seit geraumer Zeit wird der französischen Öffentlichkeit mitgeteilt, dass der Trend im Begriff ist, sich umzukehren. Monat für Monat jedoch sind die Hoffnungen der Menschen zunichte gemacht worden.
SEITDEM Präsident Hollande versprochen hat, sich nicht zur Wiederwahl zu stellen, wenn es ihm nicht gelingt die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, kann er sich nicht mehr vor dem Problem drücken. Auf einer Pressekonferenz im September hat der Präsident das Thema direkt angesprochen. Er beharrte darauf, dass die übermässige Komplexität des französischen Arbeitsgesetzbuches teilweise Schuld hat und er verlangte dessen Reform, um die Leistungskraft der Unternehmen zu verbessern, während gleichzeitig der Schutz der Arbeiter garantiert wird.
Die Methode, die er hierzu wählt, ist die Verlagerung der Aufsicht vom zentralisierten System der staatlichen Regulierung hin zu Regelungen, die zwischen den Arbeitgebern und den Gewerkschaften auf lokaler Ebene ausgehandelt werden. Die Inspiration hierfür kommt ganz eindeutig vom deutschen und nordischen System. Es wird angenommen, dass dieses Modell zu den niedrigen Niveaus an Arbeitslosen führen wird, die diese Länder geniessen.
Wird dieser Vorschlag Hollandes es Frankreich ermöglichen, seine äusserst komplizierten Arbeitsmarktregulierungen abzuschütteln und Kräfte für die Schaffung von Arbeitsplätzen und für Wirtschaftswachstum freimachen? Theoretisch ist es eine gute Idee. Die Frage, die im Hintergrund schwebt ist, ob man ein Modell, das woanders funktioniert hat, einfach kopieren und übertragen kann. Und selbst wenn es funktioniert, dürften die Arbeitsmarktreformen allein nicht ausreichen, um das Endziel, die Arbeitslosenzahlen zu senken, zu erreichen.
Gute Ideen
Die Komplexität der Rechtsvorschriften erzeugt Kosten für die Unternehmen und bremst so die Beschäftigung. Mit fast 4’000 Seiten bietet das französische Arbeitsgesetzbuch ein umfangreiches Potential für Komplexität. Während sich grössere Unternehmen Rechtsexperten leisten können, haben kleinere Unternehmen solch eine Möglichkeit nicht. Demzufolge unterlassen es kleinere Firmen, Personal einzustellen, aus Furcht am Ende einen potentiellen Problemangestellten am Hals zu haben. Derart verdrehte Motivationen begrenzen das Wachstum der Unternehmen und die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Sowohl ein Bericht, der dem französischen Premierminister Manuel Valls vorgelegt wurde und der dazu genutzt wird die Reform vorzubereiten, als auch mehrere Studien von Intellektuellen und Think Tanks, die dem derzeitigen System kritisch gegenüberstehen, stimmen alle überein, dass die Notwendigkeit besteht, das Arbeitsgesetzbuch zu vereinfachen. Sie betonen auch die Notwendigkeit, die Regulierung den Arbeitgebergruppen und den Gewerkschaften (bekannt als Sozialpartner) auf lokaler Ebene anzuvertrauen. Die Idee ist, dass diese Organisationen eine bessere Kenntnis der Umstände vor Ort haben und mehr Ansporn, die Regelungen verantwortungsvoll zu verhandeln.
Experten vom linken Flügel bestehen darauf, dass der richtige Platz für Kollektivverhandlungen auf der Ebene ganzer Branchen (wie in Deutschland) angesiedelt ist und sie bringen Gründe für eine Reduzierung der Anzahl der offiziell klassifizierten Unternehmenssektoren vor. Ihr Pendant von Rechts sagt, dass die Einzelunternehmen der passende Verhandlungsort sind. Beide Seiten stimmen überein, dass wenn die dezentralisierte Festlegung von Regeln funktionieren soll, ein gemeinsamer Satz zentraler Grundsätze benötigt wird.
Die Quelle der französischen Arbeitsmarktregulierungen ist hauptsächlich das Arbeitsgesetzbuch und die Jurisprudenz des Landes (obwohl es auch Sekundärquellen wie kollektive Vereinbarungen oder branchenübliche Praktiken gibt). Seit 30 Jahren sind Massnahmen zur Einbeziehung von Arbeitnehmergruppen und Gewerkschaften in den Regulierungsprozess mittels Kollektivverhandlungen in Kraft. Die Ergebnisse dieser Gespräche, die unter der Schirmherrschaft der Regierung abgehalten werden, können nun in ein Gesetz umgewandelt werden. Solche Verhandlungen werden gewöhnlich auf einer landesweiten, multisektoralen Basis geführt, auch wenn Vereinbarungen auf der Ebene spezieller Branchen oder Unternehmen ebenfalls existieren.
Die jüngsten Vorschläge von Präsident Hollande scheinen noch einen Schritt weiter zu gehen, hin zu konsensbasierten Regulierungen und weg von Regelungen durch das Gesetzbuch. Ob sie sich als erfolgreich erweisen werden, hängt von den Bedingungen ab und insbesondere davon, ob Frankreich institutionell gesehen für die erforderlichen Veränderungen bereit ist.
Gewerkschaftskultur
Das deutsche Modell hat gut funktioniert, da es in einen bestimmten institutionellen Rahmen eingebettet ist. Die Kultur der deutschen Gewerkschaften ist um die Ideen von Konsens und Dialog herum aufgebaut worden. Im Gegensatz dazu ist die französische Gewerkschaftskultur lange durch die Ideologie des Konflikts geprägt worden. Sie hat stark marxistische Wurzeln, was sie dazu veranlasst zu behaupten, dass Unternehmertum und Gewinn zwangsläufig die Enteignung der Arbeiter zur Folge hat. Selbst die weniger radikalen Gewerkschaftsbewegungen wie die christliche Variante, teilen eine typisch französisch technokratische Mentalität und betrachten die Unternehmen als ein quasi-bürokratisches Zentrum der Produktion.
Der Gedanke, das Geschäfte zu machen ein riskantes, unsicheres, unternehmerisches Unterfangen ist, bei dem man für Gewinne kämpfen muss, ist sowohl den Gewerkschaften als auch den Technokraten ziemlich fremd. Das macht den Dialog mit den Unternehmern ganz offensichtlich komplizierter.
In Deutschland hat die traditionelle Stärkung der Gewerkschaften durch Kollektivverhandlungen zu einer Kultur des Vertrauens beigetragen. In Frankreich hat die lange Geschichte der Regierung, soziale Angelegenheiten (und so viele andere Aspekte der Zivilgesellschaft) zu regeln einen direkten, verantwortungsvollen Dialog zwischen den Arbeitern und den Vorgesetzten verhindert und stattdessen ein Gefühl des Misstrauens zwischen ihnen geschaffen.
Natürlich könnten sinnvolle Verhandlungen dabei helfen, dass zum einen die Gewerkschaften die Unternehmen verstehen und zum anderen die Arbeitgeber besser zuhören. So könnte wieder Vertrauen in den Prozess hineingebracht werden. Durchdachte Anreize können manchmal kulturelle Eigenheiten verändern.
Unechte Dezentralisierung
An dieser Stelle könnte die Regierung paradoxerweise selbst ihr schlimmster Feind sein. Das neue Modell der Arbeitsmarktregulierung könnte ein hybrides Monster werden, das Kollektivverhandlungen mit der Aufsicht und Finanzierung der Regierung paart. Dies würde auf eine unechte Dezentralisierung und eine Fortsetzung des gegenwärtigen Systems hinauslaufen und das Projekt der Bevollmächtigung untergraben.
Wie sich herausstellt, hat Herr Hollande bereits ‘rote Linien’ zum Mindestlohn und den Arbeitsstunden festgelegt, was den Spielraum für Verhandlungen begrenzt. Indessen fordert der Bericht, der Herrn Valls vorgelegt wurde, eine drastische Reduzierung der Anzahl der Branchen, welche zu Kollektivverhandlungen berechtigt sind – was quasi einen spontanen von unten nach oben ausgerichteten Verhandlungsprozess ausschliesst.
Ein Ansatz, der auf dem echten Vertrauen der Menschen am unteren Ende der Kette basiert, würde damit beginnen, sich auf die individuellen Arbeitsverträge und auf Kollektivvereinbarungen auf Unternehmensebene zu konzentrieren, und würde dann Kollektivverhandlungen auf einer höheren Ebene spontan entstehen lassen. Dies ist allerdings nicht die Denkweise des Regierungsberichts, der bereits das ‘richtige’ Mass für Gespräche festgelegt hat.
Das ‘Monopol’-System
Da Frankreich über eine lange Zeit ein staatlich kontrolliertes Modell der Arbeitsverhältnisse angewendet hat, während es gleichzeitig ein ‘Monopol’-System aufrechterhalten hat, das Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften verhinderte, ist die Mitgliedsrate in den französischen Gewerkschaften lächerlich gering. Rund 7 Prozent der staatlichen Arbeiterschaft sind gewerkschaftlich organisiert und diese Zahl fällt auf weniger als 4 Prozent im privaten Sektor.
Organisierte Arbeiterhochburgen finden sich also im öffentlichen Sektor, wo die Gewerkschaften kräftig ihre Privilegien verteidigt haben. Im privaten Sektor mit seinen niedrigen Mitgliedsraten, sind die Gewerkschaften schlicht und ergreifend nicht die Repräsentanten der Arbeiterschaft. Dies verkompliziert ganz offensichtlich das Modell der Kollektivverhandlungen. Die Gewerkschaften erhalten den grössten Teil ihrer finanziellen Mittel aus Abgaben der Unternehmen und der Steuerzahler anstatt aus Mitgliedsbeiträgen. Dies liefert nicht gerade viele Anreize für eine verantwortungsvolle Partnerschaft.
All dies bedeutet, dass jegliche Arbeitsreform, die auf einer stärkeren Einbeziehung der Gewerkschaften basiert, zum Scheitern verurteilt ist, sofern die Gewerkschaften nicht ebenfalls reformiert werden. Die Praxis einiger nordischer Länder nachzuahmen, wo die Gewerkschaften ihren Mitgliedern Dienstleistungen zur Verfügung stellen, wäre ein konstruktiver Weg. Dies würde die Gewerkschaften mehr in die Unternehmen einbeziehen und ihre finanzielle Autonomie stärken, während es gleichzeitig zu einer weniger feindseligen und politisierten Herangehensweise an Themen der Arbeit ermutigen würde.
Der vorgeschlagene institutionelle Wandel könnte zu einem Durcheinander am Arbeitsplatz führen, wenn das alte System nicht vollkommen aufgelöst wird. Somit beinhaltet er das inhärente Risiko eines rechtlichen Dualismus sowie regulatorischer Unsicherheit – das exakte Gegenteil also vom vorrangigen Ziel der Reform. Dies bedeutet, dass die Übergangsstrategie der Regierung sehr sorgfältig durchdacht werden muss.
Der Preis der Absicherung
Es gibt viele andere Gründe, weshalb es riskant wäre alle Hoffnungen auf eine Reduzierung der Arbeitslosigkeit auf dieses Reformprojekt zu setzen. Die Komplexität der Arbeitsgesetze ist nicht der einzige Grund für die Arbeitslosigkeit. Daher wird ein neues Regulierungsmodell kein ausreichendes Heilmittel sein. Weitere ernsthafte Reformen werden benötigt.
Viele Experten sagen, dass das Problem mit dem französischen Arbeitsgesetz nicht nur in dessen Komplexität liegt, sondern in der Tendenz, bestimmte Arbeitsverträge übermässig zu schützen. Die Folge davon ist, dass andere, riskantere Formen der Arbeit einen unzureichenden Schutz geniessen. In einer Art Teufelskreis hat die drohende Arbeitslosigkeit den Gesetzgeber dazu gebracht, noch schützendere Massnahmen zu verordnen, was wiederum eine höhere Arbeitslosigkeit verursacht hat.
Bislang ist die öffentliche Diskussion zu diesem Thema ruhig geblieben. Da in weniger als zwei Jahren die nächsten Wahlen ins Haus stehen, will kein Regierungsbeamter über die Notwendigkeit der Arbeitsmarktflexibilisierung sprechen. Das Motto ist ‚weniger Komplexität aber nicht weniger Schutz’. Damit wird das unausweichliche Thema der Flexibilität künftigen Verhandlungen überlassen. Wenn die Gewerkschaften allerdings von einer konfliktorien- tierten Kultur dominiert werden, dann ist es schwer zu erkennen, wie solche Gespräche erfolgreich sein können, vor allem, wenn sie vor dem Wettbewerb mit neuen Arbeitnehmerorganisationen, die einem Dialog gegenüber offener sein könnten, geschützt werden.
Ein weiterer Nachteil ist, dass die komplexen Unternehmensvorschriften administrative Kosten verursachen. Die Abgaben auf der Lohnabrechnung, die auf Sozialleistungen entfallen, sind bereits fast ebenso hoch wie der Nettodurchschnittslohn. Dies bläht die Arbeits- kosten auf und vermindert den Anreiz Arbeitskräfte anzustellen. Steuergutschriften, Hollande vorgeschlagen wurden, könnten diese Last für grosse Unternehmen reduzieren, sie sind allerdings zu kompliziert, als dass sie von Klein- und Kleinstunternehmen genutzt werden könnten. Was benötigt wird sind tiefgehende und breit angelegte Steuerkürzungen, die entsprechende Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben erforderlich machen würden.
Szenarien
Das vorrangige Risiko ist, dass wie viele andere ‘Reformen’ in Frankreich auch, diese letzten Vorschläge mehr Aufregung als echte Substanz enthalten.
Man kann nur wider alle Hoffnung hoffen, dass die Revision der Regelungen gelingt, vor allem wenn dies mit ergänzenden Massnahmen implementiert wird. In Anbetracht der Struktur des französischen Wohlfahrtsstaates und der eigennützigen Interessen, die er über die Jahre hinweg geschaffen hat, ist die Wahrscheinlichkeit eines solch radikalen Szenarios allerdings sehr gering.
Selbst wenn ein grosser Schock, wie beispielsweise eine massive Herabstufung Frankreichs im Länder-Rating und eine Spitze bei den Staatsanleiherenditen drastischere Massnahmen auslöst, wird die Schwerfälligkeit der französischen Institutionen ausreichen, um diese zu bremsen und letztendlich zu stoppen.
Da in weniger als zwei Jahren die nächsten Wahlen ins Haus stehen, will kein Regierungsbeamter über die Notwendigkeit der Arbeitsmarktflexibilisierung sprechen. Das Motto ist ‚weniger Komplexität aber nicht weniger Schutz’. Damit wird das unausweichliche Thema der Flexibilität künftigen Verhandlungen überlassen.
Eine weitere Möglichkeit ist die, dass das neue Modell der Arbeitsbeziehungen eine echte Verbesserung bringt, dass man sich allerdings nicht mit den tiefer gehenden Themen des Schutzes, der Flexibilität und der finanziellen Lasten befasst. Dies dürfte eine geringe Auswirkung auf den Arbeitsmarkt haben, es würde allerdings zu keiner signifikanten Reduzierung der Arbeitslosenrate führen.
Gemäss einem dritten Szenario wäre der Haupteffekt der regulatorischen Veränderungen, dass ein Mehr an Unsicherheit bei den Unternehmen geschaffen wird. Da der Fortschritt bei den anderen komplementären Reformen langsam vorangehen würde, wird sich die Arbeitslosen- kurve nicht umkehren.
Am wahrscheinlichsten ist eine Entwicklung irgendwo zwischen Szenario 2 und 3, da einige glückliche Branchen Wege finden werden, um das neue Kollektivverhandlungssystem zu ihrem Vorteil zu implementieren, während dies anderen nicht gelingt.
Am Ende wäre der grösste Gewinner Präsident Hollande, der den Sprung auf die ‚Pro-Unternehmensschiene’ richtig erwischt hat und ganz offensichtlich darum pokert, die ‚Liberalen’ im Zentrum anzulocken, während er sich für die Präsidentschaftswahl im Jahr 2017 rüstet.
Dieser Bericht wurde von Dr. Emmanuel Martin verfaßt und wird unseren Mitgliedern mit freundlicher Genehmigung von © Geopolitical Information Service AG, Vaduz zur Verfügung gestellt:
http://www.geopolitical-info.com/de/
Verwandte Artikel:
- Areva und der Grössenwahn des Staatskapitalismus
- Positive Wachstumsdaten könnten für Frankreich am Ende schlechte Nachrichten sein
- Francois Hollandes Reformen bringen Frankreichs Wirtschaft nicht den nötigen Schub
- Die schlechten Nachrichten für Frankreich reißen nicht ab
- Die Euroschwäche als Vorteil für europäische Unternehmen
www.geopolitical-info.com