Die griechische Finanzkrise ist für die euroskeptischen Parteien eine verpasste Gelegenheit gewesen, um neue Ideen für die Europäische Union voranzubringen. Sie haben seit ihrem durchschlagenden Erfolg bei den Wahlen im Jahr 2014 nichts erreicht. Die griechische Krise könnte aber noch von der EU dazu genutzt werden, um einen neuen Weg zu formulieren, wie man mit Ländern, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden, umgehen soll.
Die euroskeptischen Parteien, die im Mai 2014 ins Europäische Parlament gewählt wurden, haben versprochen auf eine Veränderung der politischen Entscheidungsfindung über die gesamte Europäische Union hinweg hinzuarbeiten. Ihre Bilanz im Laufe des letzten Jahres ist allerdings enttäuschend gewesen. Griechenlands finanzielle Schwierigkeiten boten ihnen eine ganze Fülle an Gelegenheiten, um ihre Ansichten klar zur Sprache zu bringen und Lösungen zu unterbreiten, aber diese Chancen haben sie verpasst. Die Euroskeptiker haben ihre Energien auf andere Themen wie die Einwanderungspolitik und die Staatsausgabenziele verwendet, aber sie sollten sich auf das letzte Kapitel des griechischen Staatsbankrotts konzentrieren. Aufgrund der Größe Griechenlands dürfte das Ergebnis nicht von großer Bedeutung für den Rest Europas sein, es könnte allerdings eine Blaupause für andere größere Länder sein, die in Zukunft aufgefordert werden könnten, diesem Vorgehen zu folgen.
DER ERFOLG der Euroskeptiker bei den europäischen Parlamentswahlen im Mai 2014 hat mehrere lautstarke Abgeordnete nach Brüssel entsandt, die sich der Aufgabe widmeten die Art und Weise, in der die Europäische Union arbeitet sowie deren Mission zu ändern – vielleicht sogar die Eurozone zu beenden.
Aber die fehlende Übereinstimmung innerhalb der Reihen der Splittergruppen der Euroskeptiker führte dazu, dass im letzten Jahr sehr wenig geschehen ist. So haben zum Beispiel Italiens Fünf-Sterne-Bewegung und die britische Unabhängigkeitspartei (UKIP), die derselben europäischen parlamentarischen Gruppe angehören, gemäß Votewatch, die jährliche sowie spezielle Reports zu den Abstimmungen und Aktivitäten des Europäischen Parlaments und des EU-Rates veröffentlichen, nur in 27 Prozent der Fälle gleich abgestimmt. Ein weiterer Grund ist der, dass diese Parteien es vorziehen, ihre Energien auf ihr Heimatland zu konzentrieren. Ihre Stärke beruht in den meisten Fällen auf der weit verbreiteten Verdrossenheit über die grandiosen Ankündigungen und Vorhersagen, die durch die EU und Eurobehörden gemacht werden, statt auf einer gemeinsamen Reihe von Vorschlägen für radikale Reformen in Brüssel, Straßburg und Frankfurt.
Wirtschaftliche Vision
Es ist politisch einfacher und lohnender, die EU- Einrichtungen von Paris, Rom oder London aus anzugreifen, als zu versuchen, Änderungen von innerhalb der EU herbeizuführen.
Und doch scheint es so, als ob die Euroskeptiker sogar als externe Beobachter versagen. Griechenland wäre für die Führer der Euroskeptiker die ideale Gelegenheit gewesen, ihre wirtschaftliche Vision über die Zukunft ausführlich darzulegen und zu einem Zeitpunkt an Glaubwürdigkeit zu gewinnen, wo weder die griechischen Führer noch die EU- und Euro- Behörden eine klare Strategie zu haben scheinen.
Bedauerlicherweise ist der größte Teil der Anti-Euro und Anti-EU-Parteien überraschend still gewesen. Ihr Glück ist, dass ihre traditionellen politischen Konkurrenten auch ziemlich verwirrt sind, so dass der Mangel an Initiative – wo auch immer er herkommt – keine große Auswirkung auf die öffentliche Meinung hat. Aber diese Entschuldigung ist kaum annehmbar, insbesondere wenn man bedenkt, was in Griechenland geschieht.
Wahlversprechen
Jeder nimmt zur Kenntnis, dass die griechische Saga fast zu Ende ist. Die griechischen Behörden, der Internationale Währungsfonds, die Europäische Zentralbank und die EU haben ihr Möglichstes getan, die Regeln so hinzubiegen, um sicherstellen, dass das griechische Finanzministerium noch zwei weitere Monate überleben konnte, nachdem ihm Ende März 2015 die Mittel ausgegangen waren. Heute ist die Zeit der kreativen Buchhaltung und Finanzierung fast vorüber. Griechenland ist bankrott, unabhängig davon was die griechische Regierung und ihre Gläubiger tun, so wie wir es bereits in vorherigen Reports geschrieben haben. Griechenland wird nicht in der Lage sein, seine Schulden zurückzuzahlen, selbst wenn es sein Wahlversprechen, das Wachstum durch erneute öffentliche Ausgaben auf Touren zu bringen, nicht einhält. Die einzigen Fragen die derzeit auf dem Tisch liegen, betreffen die Detailfragen des Staatsbankrotts und den sogenannten Grexit oder Ausstieg Griechenlands. Hinsichtlich des Staatsbankrotts konzentrieren sich die wichtigen Akteure darauf, ob man die Verluste über mehrerer Jahre verteilt oder sie auf einen einzigen Zeitpunkt konzentriert.
Auslandsschulden
Die erste Option würde sich in einer Art Umschuldungsprogramm materialisieren, möglicherweise mit einem Schuldendienst von Null, wo die Zinszahlungen eingefroren oder gestrichen würden. Die zweite Option würde aus einem substantiellen Schuldenschnitt bestehen, der allen Gläubigern auferlegt wird.
Es besteht der Eindruck, dass die Finanzwelt über diese Wahl nicht besonders besorgt ist: Griechenland ist relativ klein, und ein großer Teil seiner Auslandsschulden wird in der Tat von internationalen Organisationen anstatt von privaten Anlegern gehalten.
Die Beziehung zwischen Griechenland und dem Euro ist bedeutend wichtiger, vor allem für die Griechen. Aus dem Blickwinkel von Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras, ist das Verlassen des Euro – der Grexit – verführerisch. Dies würde seiner Regierung erlauben, alle die Drachmen zu drucken, die erforderlich sind um die laufenden Ausgaben zu finanzieren, einschließlich der Pensionen und der Gehälter im öffentlichen Sektor. So könnte er die größten Spannungen kurzfristig entschärfen.
Ein dilettantischer Bluff
Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass die griechische Regierung, indem sie den Euro verlässt, wahrscheinlich die Tür für unbeschränkte Forderungen nach noch größeren Beträgen an öffentlichen Ausgaben aufstoßen würde. Die Wirtschaft würde sich schon bald in einem heillosen Chaos befinden, und die politische Zukunft von Herrn Tsipras wäre dem Untergang geweiht.
In Anbetracht der Umstände kommt der Vorschlag des griechischen Ministerpräsidenten, ein Referendum über den Euro abzuhalten, zu spät, und ist eher ein Zeichen von Schwäche denn von Demokratie.
Die Euroskeptiker mochten zunächst die furchtlose Art mit der Ministerpräsident Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis auf die überhebliche EU-Spitze zugingen. Diese Bewunderer zogen sich allerdings schnell zurück und schlossen sich ihren konventionellen Kollegen an, als offenbar wurde, dass die Griechen keine echte Strategie hatten und dass ihre aufsässige Haltung eher nach einem dilettantischen Bluff roch, als nach einem professionellen Spiel. Viele euroskeptische Kommentatoren auf dem Kontinent realisierten, dass die griechische Episode ein Versuchsfeld für bedeutendere Ereignisse sein könnte, wie beispielweise für eine wichtige EU-Blaupause zur Schuldenumstrukturierung in Ländern, wo die öffentlichen Finanzen nicht mehr tragfähig sind und wo es gefährlich sein würde, dies laut auszusprechen.
Verpasste Gelegenheit
Sobald zum Beispiel der auf die griechischen Schulden angewandte Schuldenschnitt bekannt gegeben und durchgesetzt wird, könnte eine neue Version des viel diskutierten und häufig ignorierten Vertrags von Maastricht automatische Schuldenschnitte in Betracht ziehen.
Dies könnte allen Staatsanleihen, die von EU-Länder ausgegebenen werden, deren Staatsschulden größer als 150 Prozent des BIP sind, auferlegt werden, unabhängig davon, ob der Schuldner dem Euroklub angehört oder nicht. Das ist kein Szenario, das heutige Nationalpolitiker gern öffentlich verteidigen würden.
Der Wahlsieg der Anti-Euro-Parteien im Mai 2014 Wahlsieg hätte eine Gelegenheit sein können, über die Geldpolitik von EZB Präsident Mario Draghi nochmals nachzudenken. Bedauerlicherweise haben weder die Anti-Euro noch die Pro-Euro-Parteien diese Chance genutzt.
Neue Unsicherheiten
Statt dessen ist die EU-Antwort auf die wachsenden Sorgen über die wirtschaftliche Zukunft der Europäischen Union nicht ein ernsthaftes Engagement für tiefgreifende Reformen gewesen, in der Absicht das Wachstum zu fördern, sondern eher eine Zweipunktestrategie, bei der die Behörden bestrebt waren, Spannungen in den Bereichen des Bankwesens und der öffentlichen Finanzwirtschaft zu zerstreuen und bei der sie auch die Drohung willkürlicher Bail-in Praktiken einführten. Die „Quantitative Lockerung“ dient als Beispiel für das erste Maßnahmenbündel, während die wiederholten, aber vage formulierten Warnungen, dass Kontoinhaber verpflichtet sein könnten, Geschäftsbanken zu retten, ein Beispiel für die neuen Unsicherheiten ist, mit denen sich die Öffentlichkeit konfrontiert sieht. Am Ende hat die griechische Episode offenbart, dass die meisten euroskeptischen politischen Entscheidungsträger wenig zu sagen haben. Sie finden es leichter, Zustimmung zu sammeln, indem sie für Anti-Einwanderungsbarrieren und bessere öffentliche Ausgaben eintreten, anstatt dass sie neue Visionen für die Zukunft formulieren. Weder die EU-Behörden noch die nationalen Regierungen sind im Stande gewesen, konsistente und glaubwürdige Pläne für die Strukturreform und Haushaltsdisziplin auszuarbeiten, um die ungewissen Situationen in einer ganzen Reihe von Wirtschaften, die sich in Schwierigkeiten befinden, zu überwinden.
Drastische Entscheidungen
Das ist der Grund, weshalb wir glauben, dass wir in Zukunft viel Improvisation sehen werden, da die verschiedenen Akteure erkunden werden, wie die Märkte und die öffentliche Meinung auf eine Reihe von Möglichkeiten reagieren werden, wenn man ihnen schwierige Situationen präsentiert, die drastische Entscheidungen erfordern würden. Niemand hat zurzeit den politischen Mut, diese Entscheidungen zu treffen. Statt dessen ist jeder mehr als gewillt, den griechischen Staatsbankrott unter den Teppich zu kehren, indem er sich damit einverstanden erklärt, die Schulden Athens umzuschulden. Die Gläubiger haben schließlich nichts zu verlieren.
Bleibt aber die große Frage, ob eben jene Gläubiger bereit sind, Griechenland im Austausch für vage, gesichtswahrende Reformversprechen mit den Geldmitteln zu versorgen, die das Land benötigt, um im Euro zu bleiben, oder ob kein zusätzliches Geld ausgezahlt wird und der Grexit damit seinen Lauf nehmen wird.
Rege Antworten
In der Zwischenzeit sieht der Rest Europas zu. Die Politiker in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal müssen nervös sein. Wenn der Grexit vermieden wird, und Athen weiteres frisches Bargeld erhält, können wir mit unmittelbaren regen Antworten vonseiten der Finanzmärkte rechnen, da die Anleger ihre Bedenken über die Situation der öffentlichen Finanzen in der Eurozone beiseite schieben werden. Wenn, andererseits, Griechenland auf dem Trockenen sitzen gelassen wird und infolgedessen gezwungen wird, den Euro zu verlassen, werden andere Länder in Kürze folgen. Die Euroskeptiker sollten besser jetzt ihre Hausaufgaben machen, wenn sie aus der Verwirrung und dem Chaos, das folgen wird, einen Nutzen ziehen wollen.
Dieser Bericht wurde von Professor Enrico Colombatto verfaßt und wird unseren Mitgliedern mit freundlicher Genehmigung von © Geopolitical Information Service AG, Vaduz zur Verfügung gestellt:
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