Die Turbulenzen in der italienischen Politik halten an und sie dürften sich noch vor dem Jahresende 2014 zuspitzen. Sechs Monate, nachdem er einen wahren Katalog an Reformen versprach, hat der neue Ministerpräsident Matteo Renzi kaum etwas umgesetzt und die Wirtschaft hat sich verschlechtert. Nun muss er auch noch 20 Milliarden Euro auftreiben, um den Verpflichtungen nachzukommen, die er Brüssel zugesagt hatte.
Der smarte italienische Ministerpräsident Matteo Renzi hatte versprochen, entscheidende Reformen einzuführen, die der Wirtschaft Starthilfe geben würden und die die großen Probleme des Landes lösen sollten. Das war vor sechs Monaten.
Bei seinem Amtsantritt im Februar 2014 versprach er den Italienern, dass er Steuern senken würde, ohne die europäischen Haushaltsregeln zu verletzen, die Einführung einer Arbeitsmarktliberalisierung, eine größere Effizienz in der Justiz, eine bessere Leistung und die Beseitigung von Überflüssigem im öffentlichen Sektor. Sein Schlachtruf lautete „eine Reform pro Monat“.
Bisher haben die Italiener nicht eine einzige Reform gesehen. Stattdessen erhöhte sich der Steuerdruck weiter: Im Jahr 2013 beliefen sich die Steuereinnahmen auf über 44 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und auf über 53 Prozent, wenn man die Schattenwirtschaft ausschließt. Das BIP-Wachstum wurde auf fast Null revidiert, das Haushaltsdefizit wird immer größer und die Arbeitslosigkeit bleibt relativ stabil bei 13 Prozent.
Auch die politische Situation ist verwirrend. Es ist unklar, ob Renzi plant, das Wahlrecht zu reformieren und ob es im Frühjahr 2015 Neuwahlen geben wird – trotz seiner früheren Versprechen, bis 2018 im Amt zu bleiben –, oder ob er sich zumindest auf die Umsetzung einiger seiner großartigen Projekte konzentrieren will.
Italien ist nicht die schlechteste Wirtschaft der EU
Kurzfristig bereitet die Verschlechterung der Wirtschaft die meisten Sorgen. Renzi erzählte den Italienern am 24. Juli 2014, dass es keinen Unterschied mache, ob das BIP um 0,8 Prozent oder um 0,2 Prozent wächst. Er mag dies glauben, doch er wird schon bald herausfinden, dass das BIP-Wachstum einen Unterschied für den Durchschnitts-Italiener und für dessen Erwartungen an die Zukunft ausmacht. Mehr als das – es wirkt sich auch auf das Verhältnis zwischen dem öffentlichen Defizit und dem BIP aus. Das bedeutet, dass, falls das BIP-Wachstum tatsächlich geringer ausfällt als erwartet und die öffentlichen Ausgaben stärker wachsen als erwartet, müssen die Steuern steigen, um diese Lücke zu überbrücken.
Für Italien wird diese Lücke derzeit auf zwischen 20 und 30 Milliarden Euro geschätzt. Renzi leugnet natürlich, dass es weitere Steuererhöhungen geben wird, doch diese Dementis dürften angesichts der harten Realitäten nicht viel bedeuten. In ein paar Wochen werden für Italien harte Zeiten anbrechen.
Renzi wird wahrscheinlich versuchen, die europäischen Behörden davon zu überzeugen, eine Ausnahme zu machen, damit sie ihm wieder erlauben, ein größeres Haushaltsdefizit zu führen. Die Europäische Union dürfte diesen Vorschlag vermutlich ablehnen, wie sie es vorher getan hat, mit dem Argument, dass es keinen Grund gebe, warum Italien eine Spezialbehandlung erhalten sollte.
Sollte dies geschehen, werden die weiteren Optionen begrenzt sein. Renzi könnte das Parlament bitten, ein oder zwei Entwürfe für Strukturreformen zu genehmigen, die möglicherweise auf EU-Vorschlägen basieren. Stimmt das Parlament dem zu, kann Renzi ein drittes Mal nach Brüssel gehen, er könnte zeigen, dass er seine Hausaufgaben gemacht hat und vielleicht erlaubt man ihm, den Fiskalpakt straflos zu brechen.
Wenn das Parlament die Vorschläge ablehnt, wird Renzi zurücktreten und Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano wird Neuwahlen ausrufen. Eine „technische Regierung“ dürfte ernannt werden, um die Steuern unabhängig von deren Auswirkungen auf die Wirtschaft zu erhöhen.
Italien ist nicht die schlechteste Wirtschaft der EU. Dieser Preis geht an Kroatien. Doch Italien ist dazu verdammt, ein Testlabor für die angeschlagenen Volkswirtschaften zu sein, die es nicht schaffen, sich wieder aufzurappeln, denen es schwerfällt, Steuern zu erheben, und die nicht in der Lage sind, ihre Ausgaben zu kürzen. Also, welche europäischen Länder außer Italien dürfen sich diesen Perspektiven stellen?
Auch Frankreich verdient Aufmerksamkeit
Die spanische Wirtschaft wurde als eines der größten Probleme der Europäischen Union angesehen. Doch die Zahlen der vergangenen sechs Monate zeigen, dass das Wachstum an Fahrt gewinnt, verstärkt durch einen deutlichen Anstieg bei der Binnennachfrage. Dies deutet in der Regel auf einen optimistischen Blick in die Zukunft hin. Die Verbraucherpreise sanken um 0,3 Prozent (von Juli 2013 bis Juli 2014), was beweist, dass, wenn die Grundlagen solide sind und ein Strukturwandel stattgefunden hat – so waren zum Beispiel die 2012 umgesetzten Arbeitsmarkt-Reformen von entscheidender Bedeutung –, der Wettbewerbsdruck funktioniert und die Deflation kein Problem darstellt. Dies bedeutet nicht, dass die Probleme in Spanien vorbei sind. Das Verhältnis der öffentlichen Ausgaben zum BIP liegt bei sechs Prozent und das ist beängstigend. Die Arbeitslosigkeit liegt bei satten 25 Prozent, doch sie fällt, und der Bankensektor ist noch immer fragil. Aber die unmittelbare Zukunft sieht sicherlich besser aus als im Jahr 2012.
Auch Portugal zeigt gewisse Anzeichen einer strukturellen Verbesserung, trotz der Fragilität des Bankensektors und obwohl das Gesamtklima pessimistisch bleibt. Laut einer aktuellen Umfrage der Europäischen Kommission glauben 96 Prozent der Portugiesen, dass ihre Wirtschaft einen schlechten Weg eingeschlagen hat und 85 Prozent der Bevölkerung haben kein Vertrauen in die Regierung. Portugal bleibt anfällig, da es eine Wachstumsrate von etwa einem Prozent hat – niedriger als zu Beginn des Jahres 2014 vorhergesagt – und weil es ein Defizit/BIP-Verhältnis von sechs Prozent aufweist.
Griechenland verharrt in einer ähnlichen Lage. Die Griechenland-Krise reichte nicht aus, um die lokalen Entscheidungsträger davon zu überzeugen, wesentliche Reformen zu verabschieden. Stattdessen verließen sie sich auf die traditionellen finanziellen Heilmittel wie Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen. Das Ergebnis ist ähnlich dem italienischen Szenario – ein minimales Wachstum und schlechte öffentliche Finanzen, mit einem Haushaltsdefizit in der Nähe von 13 Prozent des BIP.
Auch Frankreich verdient Aufmerksamkeit. Präsident Francois Hollande kämpft mit einer stagnierenden Wirtschaft, obwohl ein positives Wachstum vorausgesagt worden war, mit einem Haushaltsdefizit von etwa vier Prozent im Vergleich zum BIP (dabei wollte man etwa 3,5 Prozent erreichen) und mit generell eher düsteren Erwartungen.
Brüssel wird keinen Aufschub gewähren
Genau wie Italien, Griechenland und Portugal hat auch Frankreich keine Strukturreformen zustande gebracht. Die Zeit wird knapp, zumal die spanische Erfahrung zeigt, dass es etwa zwei Jahre dauert, bevor sich Strukturreformen in wirtschaftliche Verbesserungen übersetzen und eine Aufheiterung des Wirtschaftsklimas einsetzt.
Italien bleibt aber ein besonderer Fall. Es weist alle negativen Eigenschaften zusammen auf: Es wächst nicht, hat eine sehr hohe Besteuerung und es hat versäumt, Strukturreformen jeglicher Art umzusetzen. Die Wirtschaft und die Privathaushalte teilen den weit verbreiteten Pessimismus für die Zukunft und es muss aufgrund der Drei-Prozent-Haushaltshürde bis zum Ende 2014 eine wichtige Richtlinie einhalten.
Frankreich ist wie Italien, außer dass es sich zum Jahresende 2014 nicht mit den europäischen Behörden einigen muss. Seine Frist für die Erfüllung des Drei-Prozent-Ziels endet erst im Dezember 2015. Spanien jedoch könnte eine Art Erfolgsgeschichte werden. Obwohl seine Wirtschaft noch immer von ganz erheblichen Problemen belastet wird, hat es besser auf die Marktanreize reagiert, seine Grundlagen verbessern sich langsam und es muss keine spezifischen Fristen einhalten. Ebenso wichtig ist der Eindruck, dass das wirtschaftliche Klima in Spanien deutlich besser ist als in der Vergangenheit. Dies bedeutet, dass, falls es zu einem Schock kommt, die Europäische Union – und die Europäische Zentralbank (EZB) im Besonderen – zur Rettung eilen werden.
Griechenland und Portugal befinden sich in der Schwebe. Ihre Situation bleibt kritisch, auch wenn die Rezession technisch gesehen vorbei ist. Die Chancen, dass sie ernsthafte Reformen in Angriff nehmen, sind gering und eine EZB-Unterstützung ist alles andere als sicher.
Das wahrscheinlichste Szenario für die nächsten sechs Monate könnte als „beunruhigend ruhig“ definiert werden. „Ruhig“, weil – abgesehen von dem italienischen Chaos – keine kritische Situation entstehen dürfte. „Beunruhigend“, weil mehrere Volkswirtschaften fragil und im Notfall eindeutig von einer Unterstützung durch die EZB abhängig bleiben.
Italien wird nicht zusammenbrechen, aber es bewegt sich auf eine Art von Krise zu – eine wirtschaftliche, eine politische oder gar beides. Die Reaktion Brüssels auf diese Krise könnte einen Präzedenzfall schaffen, vor allem, falls es Renzis Ersuchen nachgibt und durch einen Aufschub der Haushalts-Deadline bis 2015 oder später reagiert.
Wir glauben, dass es keinen Aufschub geben wird. Stattdessen werden wichtige europäische Akteure Renzi dazu ermutigen, zurückzutreten, um Platz für eine vorübergehende technische Regierung zu machen, die den italienischen Steuerzahler noch ein wenig mehr ausquetschen kann. Dann wird es an Renzi sein, die Wahlen mit einer so komfortablen Mehrheit zu gewinnen, dass er die von Brüssel angeregten Reformen umzusetzen vermag. Falls dieser Mechanismus funktioniert, könnte er in den kommenden Jahren zu einer Zwangs-Vorlage für die schwächsten Länder werden. Frankreich, Griechenland und Portugal könnten die nächsten sein.
Dieser Bericht wurde von Professor Enrico Colombatto verfaßt und wird unseren Mitgliedern mit freundlicher Genehmigung von © Geopolitical Information Service AG, Vaduz zur Verfügung gestellt: www.geopolitical-info.com
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