Wofür steht Europa? Über diese Frage müssen wir nachdenken. Europa ist entstanden aus der Friedens- und Freiheitsmission. Das hat fast 70 Jahre lang funktioniert. Aber für die nächste Generation wird die Frage im Vordergrund stehen, ob und wie Europa noch eine Rolle in der Welt spielen kann – wirtschaftlich, technisch, kulturell, sozial, politisch, militärisch – und mit seinen Werten.
Was wir ebenfalls betrachten müssen, ist die Frage, wie Europa regiert wird. Seit Beginn der Eurokrise sind die Entscheidungsprozesse sehr stark renationalisiert worden. Zwar ist das Europäische Parlament durch den Lissabon-Vertrag in den meisten Gesetzgebungsverfahren ein gleichberechtigter Partner von Ministerrat und Kommission geworden. Allerdings wurden die meisten wichtigen Entscheidungen zur Eurorettung außerhalb der bestehenden EU-Verträge in den Europäischen Räten getroffen, sodass das Parlament an diesen für Europe so weitreichenden Entscheidungen kaum beteiligt war, und höchstens nach seiner Meinung gefragt wurde. So wird man Europa nicht auf Dauer in legitimer Weise regieren können.
Dann ist da die Frage, wie wir die Spätschäden der Eurokrise auffangen können. Wie bekämpfen wir die Verarmung in den Krisenstaaten? Und was lässt sich gegen die existenzbedrohende Arbeitslosigkeit dort tun? Mit Sicherheit werden wir europäische Hilfe brauchen. Die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa wird nicht allein schon deswegen verschwinden, weil sich der Euro allmählich stabilisiert.
Nicht nur die Entscheidungsverfahren in Europa, auch die Einstellungen der Bürger Europas haben sich renationalisiert. Das zeigt sich ja schon daran, wie groß die Wut mancher Südeuropäer auf Kanzlerin Merkel ist. Bei spanischen Jugendlichen, bei denen die Arbeitslosenrate fast 60 Prozent beträgt, lässt sich nur schwer Europa-Begeisterung wecken. Deswegen ist die wichtigste Frage, die sich heute stellt: Was können wir tun, um die Spaltung, die in Europa stattgefunden hat, zu heilen?