Immer wenn ein neues digitales Tool veröffentlicht wird, blicken viele auf die Zeit, die es braucht, um eine Million Nutzer zu erreichen. Als Twitter 2006 an den Start ging, dauerte dies zwei Jahre. Dropbox brauchte sieben Monate, während Instagram bereits nach zweieinhalb Monaten die Marke knackte. ChatGPT erreichte diesen Meilenstein in nur fünf Tagen.
Der Aufstieg digitaler Werkzeuge – wie etwa Chat-gestützter Sprachmodelle (LLMs) – die sich nicht nur im privaten, sondern auch im beruflichen Kontext weltweit verbreiten, wirft eine zentrale Frage auf:
Wie kann man mit technologischen Entwicklungen Schritt halten, wenn sich der Fortschritt immer schneller vollzieht?
Gerade in der europäischen Industrie, wo steigende Ressourcenkosten (einschließlich Energie) sowohl etablierte Unternehmen als auch Start-ups unter Druck setzen, müssen Firmen datengetriebener werden, um global wettbewerbsfähig zu bleiben. Dieser Trend beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Industrie. Auch politische Entscheidungsträger und die breite Öffentlichkeit können davon profitieren, sich mit Daten und Algorithmen vertraut zu machen.
Künstliche Intelligenz basiert auf Daten, und in jeder Machine-Learning-Pipeline entfällt der Großteil der Zeit auf die Datenaufbereitung. Die Grundlage für das Verständnis und den erfolgreichen Einsatz von KI-Systemen liegt daher in der Entwicklung von Datenkompetenz.
Doch wie können die genannten Zielgruppen datengetriebener werden, wenn es an Fachkräften mangelt und die Bereitschaft zur Anpassung an neue Technologien gering ist?
Auf strategischer Ebene liegt die Antwort im Aufbau einer Datenkultur innerhalb von Organisationen. Wie der Begriff vermuten lässt, handelt es sich um einen kulturellen Wandel, der mit gezieltem Change Management einhergehen muss. Gleichzeitig müssen Menschen technologische Fähigkeiten in dem Maße erwerben, wie es ihre derzeitige oder zukünftige Rolle erfordert.
Datenkultur ist somit ein Mittel zur Erlangung von Datenkompetenz.
Zur Unterstützung dieses kulturellen Wandels kann das aus dem Marketing stammende AIDA-Modell ein hilfreicher Rahmen sein. Ursprünglich entwickelt, um die Phasen zu beschreiben, die ein Kunde vor einer Kaufentscheidung durchläuft, lässt sich AIDA (Attention, Interest, Desire, Action – Aufmerksamkeit, Interesse, Wunsch, Handlung) auch auf die Akzeptanz von Weiterbildungsinitiativen übertragen.
Zunächst muss das Bewusstsein für die Dringlichkeit und den Nutzen von Datenkompetenz geschärft werden. Dies gelingt durch die Kommunikation erfolgreicher und nachvollziehbarer Beispiele datengetriebener Anwendungen. Solche Beispiele können Interesse für Datenthemen wecken, wenn Menschen deren Relevanz und mögliche Wirkung erkennen.
Dieses Interesse kann sich dann in den Wunsch verwandeln, selbst zu lernen, um am Puls der Zeit zu bleiben – besonders wenn die Motivation besteht, selbst zu ähnlich erfolgreichen Anwendungsfällen beizutragen.
Schließlich steigt mit gezielten Anreizen in der Organisation – etwa Weiterbildungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz – die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen aktiv werden und an Schulungsprogrammen zur Datenkompetenz teilnehmen.
Beim Erwerb konkreter Datenkompetenzen lassen sich zwei Pfade unterscheiden – abhängig von Branche und bestehendem Skillset der Organisation:
Upskilling meint die Erweiterung bestehender Rollen, um Effizienz und/oder Effektivität zu steigern – und so die Produktivität zu erhöhen. Dies gelingt durch modulare, kurze Lernformate, die sich flexibel an die Bedürfnisse und Fortschritte der Lernenden anpassen.
Verändern sich klassische Berufsbilder grundlegend oder entfallen sie sogar, reicht Upskilling allein nicht aus. In solchen Fällen ist eine frühe Einbindung in neue Projekte sowie ein individueller Lernpfad für den Übergang in neue Rollen entscheidend.
Je größer der Wandel von Aufgaben und Verantwortung, desto früher und intensiver muss dieser Reskilling-Prozess begleitet werden.
Außerhalb von Organisationen erfordert die Förderung lebenslangen Lernens in informellen Kontexten eine koordinierte Anstrengung von Regierungen und Bildungsanbietern – über das traditionelle Schul- und Universitätssystem hinaus. Menschen müssen dort abgeholt werden, wo sie stehen – in einem Format, das zu ihren individuellen Lebensentwürfen passt.
Die Verantwortung für den Aufbau einer Datenkultur liegt nicht nur bei der Industrie, NGOs oder vergleichbaren Organisationen, sondern auch bei den nationalen Regierungen und EU-Institutionen.
Sie sollten Maßnahmen ergreifen, um diesen Wandel zu fördern – etwa durch den Dialog zwischen Organisationen mit Weiterbildungsbedarf und Bildungsanbietern. Dies kann über spezialisierte Plattformen und öffentlich-private Partnerschaften geschehen, die niedrigschwellige Formate für den Wissensaustausch und die Reflexion schaffen – integriert in die Orte, an denen Menschen arbeiten und leben.
Zusätzlich können finanzielle Anreize für Unternehmen – etwa Weiterbildungsbudgets oder bezahlte Freistellungen für Schulungen – diesen Wandel beschleunigen.
Datenkultur in jedem europäischen Bürger zu verankern – ob er am Arbeitsmarkt teilnimmt oder nicht – ist entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit Europas in einer sich rasant wandelnden Welt.
Neben dem technologischen Anschluss und der Lernbereitschaft stärkt die Datenkompetenz auch die Fähigkeit von Organisationen, den Anforderungen der EU-KI-Verordnung gerecht zu werden (vgl. Art. 4 zur KI-Kompetenz). Sie beschleunigt die Einführung neuer Tools in Unternehmen, erhöht deren Anpassungsfähigkeit – und trägt zur Resilienz europäischer Gesellschaften bei.