United Europe erörterte am 9. Dezember 2024 im Würth Haus Berlin Europas Rolle bei der Förderung von Sicherheit, Resilienz und wirtschaftlicher Stabilität. Die europäische Union muss ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern und die Sicherheit ihrer Mitgliedstaaten inmitten der eskalierenden geopolitischen Bedrohungen gewährleisten. Wie kann die neue EU-Kommission ihre Verteidigungsstrategien stärken? Welche entscheidenden Reformen sind notwendig, um die EU zukunftsfähig und wettbewerbsfähig zu machen? Unter der Leitung von Frau Cathryn Clüver Ashbrook, Vizepräsidentin bei United Europe, diskutierten folgende Podiumsteilnehmer diese und andere Fragen.
- Ihre Exzellenz Marika Linntam, Botschafterin der Republik Estland in der Bundesrepublik Deutschland
- Seine Exzellenz Giedrius Puodžiūnas, Botschafter der Republik Litauen in der Bundesrepublik Deutschland
- Frau Kerstin Petretto, Senior Managerin Sicherheitspolitik und Verteidigung, BDI e.V.
- Frau Dr. Laura Hirvi, Public Policy Manager, META
Marika Linntam, Botschafterin der Republik Estland, hebt drei zentrale Herausforderungen für Europa hervor: Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und die Verteidigung unserer westlichen Werte. Die russische Aggression in der Ukraine gefährdet die europäische Sicherheitsordnung, was ein entschiedenes Handeln erfordert. Gleichzeitig muss Europa seine wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit stärken, insbesondere durch Innovation und Digitalisierung, wobei Deutschland eine Schlüsselrolle spielt. Zudem gilt es, eine regel- und wertebasierte Weltordnung in Zeiten geopolitischer Spannungen zu bewahren.
Frau Linntam fordert ein umfassendes Engagement aller Akteure – aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – und betont die Bedeutung gemeinsamer Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine, zur Stärkung der Verteidigung und zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit. Hier muss insbesondere die Investitionslücke zu den USA und China geschlossen werden. Dabei sieht sie großes Potenzial in der neuen EU-Kommission, unterstreicht jedoch die Notwendigkeit von Einheit und Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschlands.
Investitionen in Schlüsselbereiche sind essenziell, wie das Beispiel Estlands zeigt, das zur Finanzierung der Verteidigung schwierige, aber notwendige Entscheidungen wie Steuererhöhungen getroffen hat. Künstliche Intelligenz bietet enorme Chancen: Optimierungen könnten das BIP signifikant steigern, wie eine estnische Studie belegt. Europa hätte großes Potenzial für Wachstum und Innovation, sollte es entschlossen handeln und die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.
Giedrius Puodžiūnas, Botschafter der Republik Litauen, beschreibt die wachsenden Sicherheitsherausforderungen für Europa und betont, dass Russlands Angriffskrieg die auf Transparenz basierende europäische Sicherheitsordnung zerstört habe. Er fordert schnelles Handeln, eine gestärkte Resilienz und erhebliche Investitionen in die Verteidigung, um den Bedrohungen effektiv zu begegnen:
- Strategische Klarheit: Europa muss seine Beschwichtigungspolitik gegenüber Russland überwinden, wie die Fehlschläge von Minsk I und II zeigen
- Unterstützung für die Ukraine: Die Ukraine ist mit ihrem Sicherheitsplan ein entscheidender Partner, um Bedrohungen nahe den europäischen Grenzen zu begegnen
- Verbesserung der Verteidigungsindustrie: Europas Verteidigung ist fragmentiert, leidet unter Munitionsengpässen und langsamer Produktion. Einheitliche Standards und langfristige Verträge sind dringend erforderlich
- Bewältigung hybrider Bedrohungen: Europa hat nur 5–10 Jahre, um sich auf zunehmende hybride Angriffe vorzubereiten.
Giedrius Puodžiūnas fordert ein klares Signal der Bereitschaft zur Abschreckung und weist auf die Notwendigkeit hin, Europas Verteidigungsbudget zu verdoppeln. Eine Orientierung bietet die NATO: Würden alle Mitglieder 2 % ihres BIP für Verteidigung aufwenden, könnten 60 Milliarden US-Dollar zusätzlich mobilisiert werden. Ein Budget dieser Größenordnung könnte potenzielle Gegner wie Russland abschrecken, da ein Krieg wirtschaftlich sinnlos würde. Dies erfordert politischen Willen, langfristige Finanzstrategien und innovative Kreditsysteme, um die Verteidigungsindustrie zu stärken.
Frau Kerstin Petretto hebt die Herausforderungen hervor, mit denen Deutschland konfrontiert ist, und betont die enge Verbindung zwischen wirtschaftlichem Wohlstand und nationaler Sicherheit. Während die Industrieproduktion um 3 % zurückzugehen droht, wächst die Sorge um wirtschaftliche Stabilität und die Auswirkungen auf die Demokratie. Gleichzeitig wird Sicherheit von einer Gesellschaft, die an die „Friedensdividende“ gewöhnt ist, oft unterschätzt. Frau Petretto benennt vier zentrale Herausforderungen.
- Geopolitische Risiken: Hybride Bedrohungen wie Cyberangriffe und Desinformation aus Russland und China.
- Zögerliche Reaktionen: Ein Mangel an strategischer Klarheit und Verzögerungen bei der Unterstützung der Ukraine schwächen Deutschlands Position.
- Industrielle Unsicherheit: Fragile Lieferketten und die volatile Weltpolitik erfordern entschlossenes Handeln.
- Öffentliches Bewusstsein: Es ist entscheidend, die Bevölkerung stärker für politische Strategien zu sensibilisieren, um Resilienz und Innovation zu fördern.
Frau Petretto fordert Deutschland und Europa auf, Innovation nicht nur in der Technologie, sondern auch im Denken zu fördern. Sie plädiert für schnellere, anpassungsfähigere Ansätze in Bürokratie und Verteidigung, und denkt dabei an die disruptiven Strategien eines Elon Musk. Es erfordert Mut, Einigkeit und kollektive Verteidigungsanstrengungen, um industrielle Kapazitäten auszubauen, die politische Fragmentierung zu überwinden und die Verteidigungsindustrie nachhaltig zu stärken.
Zudem mahnt sie an, dass Deutschlands Verteidigungspolitik, geprägt durch historische und strukturelle Hemmnisse, eine Reform braucht. Die starke Regulierung und Stigmatisierung der Verteidigungsindustrie behindern eine Skalierung der Produktion, während die Abhängigkeit von NATO-Partnern wie den USA angesichts nationalistischer Tendenzen und sinkendem Vertrauen in die transatlantische Zusammenarbeit ein Risiko darstellt. Deutschland und Europa müssen ihre Verteidigungsfähigkeiten gemeinsam stärken, um Einheit und Sicherheit langfristig zu sichern.
Dr. Laura Hirvi betont Metas langjähriges Engagement in der KI-Forschung und die Rolle des Unternehmens als Unterstützer des europäischen Innovationsökosystems. Während Europa in der Forschung durch Talente und Universitäten stark ist, behindern regulatorische und finanzielle Hürden die Skalierung von Start-ups, wodurch viele Innovatoren in die USA abwandern.
Frau Hirvi kritisiert Europas Überfokus auf Regulierung und mangelnde Dringlichkeit in der Förderung von Innovation und Digitalisierung. Sie fordert einen kulturellen Wandel hin zu einer stärkeren Wertschätzung von Innovation und einer pragmatischen Deregulierung, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Dabei hebt sie die Ukraine als Vorbild für schnelles und entschlossenes Handeln hervor und plädiert für eine neue Erzählweise, die Experten stärkt und Veränderung beschleunigt.
Wir danken unseren Podiumsteilnehmern für die engagierte Diskussion und dem Würth Haus für seine freundliche Gastfreundschaft.