Am 3. November fand United Europe’s “Energy Summit” in Partnerschaft mit der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich und dem Senat der Wirtschaft Österreich im Haus der Europäischen Union statt. Historisch gesehen war Wien schon immer ein Zentrum für Energie, und United Europe freute sich sehr, zu Gast bei Prof. Dr. Martin Selmayr, dem Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, gewesen zu sein.
Martin Selmayr unterstrich in seiner Eröffnungsrede drei Punkte: Die Zentralisierung und die Auffüllung der Gas-Speicher für die nächsten Winter sollte durch gemeinsamen Einkauf und die Schaffung eines europäischen Einkaufskonsortiums gewährleistet werden. Auch empfahl er die Fortsetzung der Energieeinsparungen und forderte als dritten Punkt die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten ein. Selmayr mahnte, dass Europa nie wieder zulassen dürfe, dass Grenzen mit Gewalt verschoben werden: „Sollte dies erneut geschehen, versinkt unser Kontinent im Blut“, sagte er. „Nie wieder darf das Recht des Stärkeren die Stärke des Rechtsstaates ersetzen. Nie wieder darf Europa untätig bleiben und Aggressionen nicht entgegentreten.”
Günther H. Oettinger, Präsident von United Europe, betonte in seiner Begrüßungsrede, dass die Energiekrise, die durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine provoziert wurde, eine „Europäisierung” der Energiepolitik und eine Überwindung nationaler Egoismen erfordere: „Die Energiepolitik muss europäisiert werden. Alle Hände an Deck, 27 Mitglieder, der westliche Balkan und die Nachbarn, alle müssen ein Energieteam werden.” Dies bedeutet eine gemeinsam finanzierte Infrastruktur, Stromtransport über Stromnetze in ganz Europa und eine gemeinsame europäische Forschung, vor allem in den Bereichen Effizienz und Speichertechnologien.
Auf dem ersten Panel des Energy Summit wurde erörtert, wie Europa so abhängig von russischem Gas werden konnte und was Europa jetzt tun sollte. Das Panel mit Mechthild Wörsdörfer, der stellvertretenden Generaldirektorin für Energie bei der Europäischen Kommission, Annika Brack, Leiterin der EU-Repräsentanz bei Uniper, Monika Köppl-Turyna, Direktorin bei ECO Austria und Angela Köppl, Senior Economist beim WIFO, kam zu folgenden Ergebnissen:
Mechthild Wörsdörfer von der Europäischen Kommission verdeutlichte, dass Europa vor einer noch nie dagewesenen Krise steht. „Hier aber haben wir in Europa das Tempo geändert, um mit kurz-, aber auch langfristigen Maßnahmen die Krise zu meistern.“ In den vergangenen 20 Jahren hat die Europäische Kommission an einem Energiebinnenmarkt gearbeitet. Die Infrastruktur ist vorhanden, aber einige Mitgliedstaaten sind in einer besseren Position als andere. Der Europäische Green Deal hat dazu beigetragen, die Entwicklung alternativer Energiequellen zu beschleunigen. Wörsdörfer räumte aber auch ein, dass noch mehr getan werden müsse: „Die Lieferung von LNG-Gas erfordert langfristige Verträge. Hier dürfen wir aber unsere langfristigen Ziele nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen die Emissionen reduzieren und fossile Brennstoffe durch erneuerbare Energien ersetzen, zum Beispiel durch grünen Wasserstoff. Wir müssen eine Brücke in die Zukunft schlagen. Derzeit liegt das Augenmerk auf kurzfristigen Maßnahmen, aber die Europäische Kommission verhandelt mit dem Parlament über langfristige Vorschläge für erneuerbare Energien und Energieeffizienzmaßnahmen im Einklang mit fitfor55: „Wir arbeiten mit Hochdruck an strukturellen Veränderungen.”
Annika Brack räumte ein, dass Uniper, ein wichtiger Kunde von Gazprom, durch die Krise große Verluste erlitten hat: „Wir haben über Jahre hinweg eine verlässliche Partnerschaft erlebt. Diese Krise ist uns nicht einfach in die Wiege gelegt worden.“ Brack lobte die Bemühungen der Europäischen Kommission, die europäischen Energiemärkte umzugestalten, um aus dieser Krise herauszukommen: „Ich hoffe, dass wir dieses hohe Tempo beibehalten werden, indem wir kontinuierlich regulatorische Hindernisse beseitigen. Die Industrie hat viele Lösungen parat, um aus der Krise herauszukommen.” so Brack abschließend.
Für Monika Köppl-Turyna war diese Krise ein „Ich hab’s ja gesagt”-Moment: „Die Europäische Union muss aufwachen und aufpassen, dass sie nicht eine Abhängigkeit durch eine andere ersetzt. Wir müssen mehr strategische Souveränität durch gemeinsame Beschaffung auch außerhalb des europäischen Marktes aufbauen.“ Der LNG-Markt ist globaler Markt, daher empfiehlt Köppl-Turyna, Partnerschaften mit dem Rest der Welt aufzubauen. Europa muss die technologische Schlüsselhoheit in europäischen Händen behalten, um Fehler zu vermeiden, die in der Vergangenheit zum Beispiel bei Solarpanelen gemacht wurden: „Mit dem IPCEI-Programm (Important Project of Common European Interest) verfügt Europa ein großartiges Instrument. Europa muss strategische Partnerschaften über den Atlantik hinweg mit unseren liberalen Partnern aufbauen. Wir brauchen Netze und Infrastruktur auf europäischer Ebene. Es wäre ein immenser wirtschaftlicher Vorteil, die Energie zu europäisieren”, schloss Köppl-Turyna.
Auf dem zweiten Panel äußerten sich Tim Joris Kaiser, Berater in der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, Stephan Sharma, Vorstandsvorsitzender von Burgenland Energie, Christine Materazzi-Wagner, Direktorin der Strom-E-Control, Valerie Faudon, Generaldirektorin der European Nuclear Society und Andriy Kobolyev, ehemaliger CEO von Naftogaz, zu den Zukunftsaussichten Europas im Energiebereich.
Tim Joris Kaiser unterstrich, dass die Diversifizierung eine der wichtigsten kurzfristigen Aufgaben sei, während Energieeinsparungen zu den langfristigen Strategien Europas gehören müssen. Energieeffizienz und erneuerbare Energien sind die beiden Zukunftsthemen – hier muss die Wirtschaft durch Innovationen zu einer erfolgreichen Transformation beitragen. Kaiser wies darauf hin, dass die Nachfrage nach Seltenen Erden über die fossilen Brennstoffe hinaus um das Fünffache steigen wird und die Europäische Kommission bereits Maßnahmen ergreift, um die nächste Abhängigkeit zu vermeiden. Die Europäische Union baut den Handel mit Indien aus und bemüht sich intensiv um das so genannte „Friendshoring“ (Partnerschaften mit gleichgesinnten Ländern). Auch treibt die Kommission Initiativen wie die „Battery Alliance“ und den „Chips Act“ sowie den „Critical Raw Materials Act“ voran. Zudem ist eine neue europäische Initiative zur Gestaltung der Industriepolitik in Sicht. Die Pläne für Konjunkturbelebung und Widerstandsfähigkeit werden nun durch RePower EU erweitert, um die Elektromobilität voranzutreiben und die Wirtschaft zu unterstützen. Bei RePower EU geht es nicht nur um Energie, sondern auch um globale Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität: „Geopolitische Krisen werden uns erhalten bleiben. Das ist nicht angenehm für die Politik, aber damit müssen wir in der heutigen Realität umgehen”, so Kaiser abschließend.
Stephan Sharma, Vorstandsvorsitzender von Burgenland Energie, betonte, dass Regionen, die billige und nachhaltige Energie bereitstellen, die Gewinner sein werden.” Sharma warnte vor der Klimakrise in Europa: Allein in diesem Jahr brannten 600 Hektar Wald, und Seen auf dem ganzen Kontinent sind dabei, auszutrocknen. Derzeit hängt das Wirtschaftssystem in Europa von der Verfügbarkeit billiger fossiler Brennstoffe ab. Sharma verglich diese Abhängigkeit mit einer Drogensucht: „Was macht der Drogenhändler, wenn er sieht, dass der Käufer abhängig ist? Er erhöht den Preis und spielt mit der Ungewissheit.” Sharma sieht hier einen klaren Ausweg: 100 % erneuerbare Energien und Null-Emissionen: „Kann Europa das schaffen? Ja! Wir haben Wasserkraft, wir haben Wind und wir haben Sonne. Wir haben auch die nötigen Technologien.” Sharma mahnte jedoch, dass Europa sich vor der Abhängigkeit von China in Acht nehmen sollte: „Wir sind derzeit zu 80 % von China abhängig, wenn es um Solarzellen geht. Noch vor zehn Jahren wurden 90 % aller Solarmodule in Deutschland hergestellt. Wir müssen die Solar-Energie zurück nach Europa bringen. Wir brauchen einen Wandel in unserer Wirtschaft und müssen das System neu aufbauen.”
Christine Materazzi-Wagner, Leiterin des Bereichs Strom bei der E-Control, konzentrierte sich in ihren Ausführungen auf die Strommärkte und -systeme, die auf unterschiedlichen Energiequellen und verschiedenen Regionen in Europa basieren: „In der Europäischen Union können Sie alle Stromerzeugungsnetze miteinander verbinden. Wir brauchen die Stromerzeugung, aber wir brauchen auch hocheffiziente Netze und Netzausbau. Wir müssen jetzt am Marktdesign arbeiten, um für unsere Programme 2030, 2040 und 2050 fit zu sein. Was immer wir jetzt entwerfen, braucht Zeit für die Umsetzung.
Die erneuerbaren Energien unterscheiden sich erheblich von den herkömmlichen Energiequellen, d. h. die Photovoltaik ist klein, wenn sie auf Dächern installiert wird, und riesig, wenn sie auf der grünen Wiese installiert wird; es gibt Solar-, Wärme- und Spiegelsysteme, Windkraftanlagen in verschiedenen Größen, Wasserkraft, Biomasse, Meerestechnologien usw. Es gibt Unterschiede auf verschiedenen Ebenen, zwischen, aber auch innerhalb der Kategorien, und alle müssen in das Stromsystem integriert werden: „Schwierig wird es bei der Vorhersage von Wind- und Solarenergie. Die Genehmigungsverfahren müssen beschleunigt und die Netzanbindung verbessert werden. Europa braucht die Technologien, den Markt sowie den institutionellen und rechtlichen Rahmen. Bei der Energiewende ist alles miteinander verwoben”, so Materazzi-Wagner abschließend.
Valerie Faudon, Generaldirektorin der Europäischen Gesellschaft für Kernenergie, mahnte, das Netto-Null-Ziel bis 2050 nicht aus den Augen zu verlieren, ein langfristiges Ziel, das mit den kurzfristigen Maßnahmen in Einklang gebracht werden müsse. Faudon betonte, dass die Energieunabhängigkeit eine Priorität sei. Frankreich ist zu 60 % von fossilen Brennstoffen abhängig: „Es ist eine große Herausforderung, diese Menge an Energie allein durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Um die Klimaziele zu erreichen, brauchen wir kohlenstoffarmen Strom”. Der nationale Plan in Frankreich sieht vor, den Energieverbrauch durch Elektrifizierung um 40 % zu senken: „Bis heute haben nur zwei Länder in Europa den Stromverbrauch dekarbonisiert: Schweden und Frankreich. Dies war durch einen Mix aus Kernkraft und erneuerbaren Energien möglich. Eine 100%ige Versorgung mit erneuerbaren Energien ist sehr riskant. Es ist eine Herausforderung, diese Menge an erneuerbaren Energien einzusetzen, um unseren Strombedarf in Europa zu decken. Faudon gab ebenfalls zu bedenken, dass es noch unklar ist, ob die Windenergie die erforderliche Speicherkapazität bieten kann: „Wenn wir die Wette hier verlieren, ist die einzige Lösung zur Deckung unseres Energiebedarfs die Rückkehr zu fossilen Brennstoffen. Wir schaffen neue Abhängigkeiten von Rohstoffen und von Importen von erneuerbarem Wasserstoff aus Ländern, die keinen Strom für ihre eigene Bevölkerung haben.”
Andriy Kobolyev, ehemaliger CEO von Naftogaz, findet, dass es der Energiediskussion in Europa an Pragmatismus mangelt: „Wir sprechen über Souveränität, Wettbewerb und Wettbewerbsvorteil.” Pragmatismus kann er zu seiner eigenen Überraschung hier nicht sehen. Koboljew erinnerte die Zuhörer daran, dass Gazprom bereits vor Kriegsbeginn aufgrund der Gaspreiserhöhung im Jahr 2021 kein zuverlässiger Lieferant gewesen sei: „Einige Leute haben einfach eine bequeme Position gewählt und ein Auge zugedrückt.” Da russisches Gas in Europa so nicht mehr verfügbar ist, schafft die aktuelle Krise ein einzigartiges Momentum für den europäischen Green Deal: „Wir sehen aber immer noch keinen Pragmatismus: Wenn man die Zahlen anschaut, wird deutlich, dass die Null-Emissions-Ziele nicht durch erneuerbare Energien erreicht werden können. Die Kernenergie zu vergessen, ist ein großer Fehler”, so Koboljew. „Der Krieg in der Ukraine hat bewiesen, wie widerstandsfähig die Kernenergie ist. Die Kraftwerke waren ständigen Angriffen ausgesetzt und sind immer noch sicher in Betrieb. Nord Stream 2 befindet sich dagegen in einer ganz anderen Situation. Dies ist eine pragmatische Schlussfolgerung, die in Europas strategischem Denken weiterverfolgt werden sollte”, schloss Kobolyev.
Wir bedanken uns bei Prof. Dr. Selmayr, Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Wien, dem Team der Vertretung der Europäischen Kommission in Wien und dem Senat der Wirtschaft Österreich, den Teilnehmern, den Gästen vor Ort und online und insbesondere bei unseren Mitgliedern, die diese Veranstaltung ermöglicht haben. Über 100 Gäste waren aus ganz Europe vor Ort und online dabei. Alan Riley moderierte beide Panel-Diskussion.