Die Länder der Europäischen Union benutzen ihr Veto-Recht, um ihre nationalen Interessen zu schützen und die Beitrittsversuche ihrer Nachbarn zu blockieren. Dies könnte zu einem gefährlichen Vakuum für die Sicherheit Europas führen. Die Türkei, Mazedonien, Albanien und Kosovo scheitern alle an dem europäischen Veto-Recht und Griechenland benutzt es bei Streitigkeiten mit drei seiner vier Nachbarn.
Zusammenfassung:
Griechenland steht vor großen wirtschaftlichen Problemen, doch es ist auch das Land der Europäischen Union und der Nato, das die größten politischen Probleme mit seinen Nachbarn hat. Es hat bilaterale Streitigkeiten mit drei seiner vier Nachbarländer – der Türkei, Mazedonien und Albanien. Doch anstatt diese Probleme beizulegen, benutzt Griechenland seine Vetomacht in der Nato und in der EU, um einen Beitritt seiner Nachbarn zu diesen Organisationen zu blockieren. Die Türkei begann im Jahr 2005 mit ihren Beitrittsverhandlungen zur EU und dieser Prozess kam nahezu zum Erliegen. Seit neun Jahren wartet Mazedonien noch immer auf den Beginn seiner Beitrittsgespräche. Albanien wurde von Griechenland gewarnt, dass die EU-Beitrittsverhandlungen nicht beginnen werden, bis ein maritimer Grenzstreit im Ionischen Meer beigelegt ist.
Report:
Mitgliedsländer der Europäischen Union werden immer mehr zu Super-Staaten mit einem „goldenen Stimmrecht“, das ihre nationalen Interessen beschützen kann – dem Veto-Recht. EU-Länder verlieren einen Teil ihrer Souveränität, bevor sie EU-Mitglieder werden, indem sie ihre internen Richtlinien und nationalen Rechtsvorschriften mit der EU harmonisieren. Doch ein umgekehrter Prozess wird nach der Erlangung der Mitgliedschaft in Gang gesetzt, denn die Länder erhalten ein goldenes Stimmrecht in Form des Veto-Rechts. Die Länder begründen ihr Veto als eine Möglichkeit zum Schutz ihrer nationalen Interessen. Allerdings versetzen sie so mit Hilfe des Vetos ihre nationale Agenda auf EU-Ebene, denn „nationale Interessen“ ist doch ein ziemlich schwammiger Begriff.
Für einige Länder könnten National-Interessen der Schutz der Sprache, der Kultur oder ihrer Identität sein. Für andere ist es vielleicht der Schutz ihrer territorialen Unversehrtheit oder ihrer Energieressourcen. Griechenland hat bilaterale regionale Probleme mit drei seiner vier Nachbarn – der Türkei, Mazedonien und Albanien – mehr als jedes andere EU- oder NATO-Mitglied. Und es erkennt nicht die Republik Kosovo an. Griechenland wird eher sein Veto-Recht in der Nato und der EU dazu benutzen, einen Beitritt seiner Nachbarn zu blockieren, anstatt seine bilateralen Probleme zu lösen. Mit drei von ihnen unterhält es nicht einmal normale diplomatische Beziehungen.
Streit um den Namen des Landes
Es gibt keine Beziehungen auf Botschaftsebene mit dem Kosovo, die Beziehungen zu Mazedonien werden durch ein Verbindungsbüro verwaltet und Griechenland befindet sich noch immer im Kriegszustand mit dem Nato-Mitglied Albanien – das entsprechende Gesetz über das Kriegsrecht ist seit dem Zweiten Weltkrieg unvermindert in Kraft. Dies ist ein einzigartiger Fall eines Kriegszustands zwischen zwei Nato-Mitgliedern. Im Jahr 2015 wird sich die Türkei seit nunmehr einem Jahrzehnt in Beitrittsverhandlungen zur EU befinden. Die Türkei und Kroatien begannen die Beitrittsverhandlungen mit der EU vor neun Jahren und die Türkei unterhält Assoziationsbeziehungen mit der EU seit 1963. Im Jahr 1995 gründete sie eine Zollunion mit der EU.
Die Beitrittsverhandlungen begannen im Oktober 2005, doch sie sind noch immer im Gange und viele Fragen blieben bisher unangetastet oder wurden ausgesetzt, vor allem wegen des Vetos Zyperns, das dabei Rückendeckung von Griechenland erhält. Auf dem EU-Rat im Dezember 2003 hatten sich die EU-Mitgliedstaaten gegen den Beitritt Zyperns ausgesprochen, doch Griechenland drohte damit, sein Veto gegen alle anderen neun neuen Mitgliedstaaten anzuwenden – und setzte so die Mitgliedschaft Zyperns durch. Die Türkei hat noch immer territoriale Streitigkeiten mit Griechenland über Gewässer in der Ägäis und über Offshore-Öl- und Gasreserven, die man in der Nähe Zyperns entdeckt hatte. Diese Probleme könnten die bilateralen Beziehungen für eine Weile eingefroren lassen, so dass es kurzfristig kaum Aussichten auf einen Beitritt der Türkei zur EU gibt.
Aus ähnlichen Gründen hat Mazedonien noch keine EU-Beitrittsverhandlungen begonnen, obwohl es seit neun Jahren den EU-Kandidatenstatus hat. Der Streit mit Griechenland dreht sich um den Namen des Landes. Griechenland glaubt, dass es ein Monopol auf den Namen Mazedonien hat. Sein Hauptargument lautet, dass Mazedonien ein alter Name für Nordgriechenland ist. Mazedonien argumentiert, dass dies der verfassungsmäßige Name des Landes seit dem Zweiten Weltkrieg sei. Fast ein halbes Jahrhundert lang beschwerte sich Griechenland nicht darüber – bis Mazedonien seine Unabhängigkeit vom ehemaligen Jugoslawien erklärte und um die UN-Mitgliedschaft bat. Dies löste den Widerstand Griechenlands gegen den Namen aus und seit 20 Jahren laufen die Verhandlungen deswegen zwischen den beiden Nachbarn unter der Vermittlung der Uno.
Die Uno hat Mazedonien unter dem vorläufigen Namen „Die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien“ anerkannt. Mazedonien gewann seinen Fall vor dem Internationalen Gerichtshof im Jahr 2011, der entschied, dass Griechenland gegen Artikel 11 eines UN-Abkommens über die Lösung dieser Namensfrage verstoßen hatte. Dieser besagte, „keine der Verhandlungsseiten darf die Mitgliedschaft der anderen Partei in internationalen Organisationen blockieren“.
Albanien hat die Rückkehr der vertriebenen Albaner gefordert
Doch genau das hatte Griechenland getan, indem es die Mitgliedschaft Mazedoniens auf dem Nato-Gipfel in Bukarest im Jahr 2008 blockierte und indem es jedes Jahr seit 2009 auf dem Europäischen Rat sein Veto gegen die fünf positiven Fortschrittsberichte der Europäischen Kommission für die Beitrittsverhandlungen einlegte. Der UN-Vermittler Matthew Nimetz und die 13 Verhandlungsrunden mit den Ministerpräsidenten von Griechenland und Mazedonien schafften es nicht, den Verhandlungsprozess voran zu bringen. Nach 20 Jahren der gescheiterten Namensverhandlungen wird Mazedonien langsam die „neue Türkei“, wenn es um die EU geht. Die Türkei weist den längsten Kandidatenstatus mit der EU auf, ohne Beitrittsverhandlungen zu erreichen.
Die griechischen Beziehungen zu Albanien stellen eine weitere Problematik zwischen Nachbarländern dar, die beide Nato-Mitglieder sind. Auf der Grundlage eines griechischen Gesetzes von 1945 befinden sich die beiden seit 70 Jahren noch immer offiziell im Kriegszustand. Im Juni 1944 kam es zu einer ethnischen Säuberung durch die griechische Armee unter der albanischen Cam-Bevölkerung in der Region Cameria an der Nordwestküste des heutigen Griechenlands. Seitdem wurde das Gesetz über den Kriegszustand mit Albanien nicht außer Kraft gesetzt. Das „Cam-Thema“ ist seitdem eine heiße Kartoffel in den diplomatischen Gesprächen zwischen Athen und Tirana geblieben, doch eine Lösung über die albanische Cam-Bevölkerung, die deportiert wurde, konnte nicht erreicht werden.
Albanien hat die Rückkehr der vertriebenen Albaner gefordert, während Griechenland dies als juristisches Eigentums-Problem der ehemaligen Bewohner der Cameria ansieht. Griechenland hat Albanien erklärt, dass dessen EU-Beitrittsverhandlungen nicht beginnen werden – obwohl es den EU-Kandidatenstatus besitzt –, bevor nicht das Grenzabkommen über das Ionische Meer von 2009 auch nördlich der Cameria durchgesetzt werde. Albaniens 225 Quadratkilometer (140 Quadrat-Meilen) an territorialen Gewässern südlich des wichtigsten albanischen Touristenzentrums Saranda und nördlich der griechischen Insel Korfu stehen im Mittelpunkt dieses albanischen-griechischen Gebietsstreits.
Die EU besteht auf guten nachbarschaftlichen Beziehungen
Griechenland hat Albaniens Hoheitsgewässer in insgesamt 20 griechische Energiezonen kartografisch eingeteilt. Vier Milliarden Barrel Öl und 1,5 Milliarden Kubikmeter Gas sind in diesem Teil der albanischen Hoheitsgewässer entdeckt worden. Zwanzig internationale Unternehmen haben ihr Interesse an den Öl- und Gasreserven im Ionischen Meer gezeigt, die in den kommenden zwei Jahrzehnten Einnahmen in Höhe von 20 Milliarden Euro generieren könnten. Ein maritimes Grenzabkommen zwischen Albanien und Griechenland wurde im April 2009 unterzeichnet, doch Albaniens Verfassungsgericht wies es im Januar 2010 als eine „Verletzung der territorialen Integrität Albaniens“ zurück.
Albaniens Generalstaatsanwalt eröffnete im Juni 2014 eine Untersuchung über den Unterzeichnungs-Prozess des bilateralen Vertrags. Albaniens parlamentarische Kommission für auswärtige Angelegenheiten hat festgestellt, dass der See-Vertrag die Souveränität und die territoriale Integrität von Albanien verletzt. Griechenland reagierte mit der Feststellung, dass Albanien nicht in der Lage sei, die Beitrittsverhandlungen zu beginnen, ohne dass das See-Abkommen ratifiziert wird. Viele sehen dies als eine Erpressung durch Griechenland an, das Albanien um seine Hoheitsgewässer bringen will.
Auf dem Europäischen Rat im Juni 2014 wurde Albanien der Kandidatenstatus eingeräumt, doch der griechische Außenminister Evangelos Venizelos sagte: „Der Kandidatenstatus und die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen sind nicht das Gleiche. Der Verhandlungsprozess kann erst starten, nachdem das Abkommen über die Seegrenzen im Ionischen Meer durchgesetzt wird“. Die EU besteht auf guten nachbarschaftlichen Beziehungen als Voraussetzung für den Beitritt der westlichen Balkanstaaten. Die Frage ist, wie diese Kriterien erfüllt werden können, wenn die Interpretation der guten nachbarschaftlichen Beziehungen das ausschließliche Recht einer der Parteien ist, die bereits Mitglied der Europäischen Union ist.
Szenarien
- Das griechische Veto gegen die Integration seiner Nachbarn in die Europäische Union und die Nato könnte bilaterale Spannungen hervorrufen und die regionale Sicherheit bedrohen – insbesondere nach den turbulenten und unvorhersehbaren Entwicklungen in der Ukraine und südöstlich des Balkans im Irak.
- Die Verzögerung der Nato-Mitgliedschaft Mazedoniens seit fast einem Jahrzehnt könnte ein strategisches Sicherheitsvakuum im Süden der Nordatlantischen Allianz schaffen, vor allem, nachdem der Beitritt Montenegros bis Ende 2014 verschoben wurde.
- Die anhaltende Errichtung von Hindernissen für Albanien, Mazedonien und den Kosovo, wenn es um den EU-Beitritt dieser Länder geht, wird diese Staaten von einem demokratischen und wohlhabenden Areal und von der westeuropäischen Sphäre ausschließen. Diese geopolitische Lücke könnte durch andere Akteure gefüllt werden, die nicht dem europäisch-atlantischen Umfeld angehören.
Dieser Bericht wurde von Prof. Dr. Blerim Reka verfaßt und wird unseren Mitgliedern mit freundlicher Genehmigung von © Geopolitical Information Service AG, Vaduz zur Verfügung gestellt: www.geopolitical-info.com
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