Die europäische Geschichte kennt Michelangelo und Montesquieu. Aber auch die Guillotine und die Gaskammern gehören dazu. Die schönen und die finsteren Seiten – beide prägen unsere Gemeinschaft. Bei Europa geht es nicht nur um Märkte und Geld. Es ist wichtig, dass den Menschen die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der Teilung unseres Kontinents zwischen Ost und West während des Kalten Kriegs vertraut ist. Denn diese Ereignisse sind es, die europäische Mentalität geprägt haben.
Was wir ebenfalls brauchen, ist Unternehmergeist und eine Wertschätzung von Innovationen und Nachhaltigkeit. Wir müssen in Forschung und Entwicklung investieren, wir brauchen flexiblere Arbeitsmärkte, wir müssen die Herausforderungen von Einwanderung und Demografie angehen. Vor allem aber müssen wir überzeugt sein, dass wir gewinnen können. Wenn Europa die Zukunft bestehen will, brauchen wir viel mehr Dynamik. Dies ist ein Zeitalter fundamentaler Veränderungen, und wir müssen an die Spitze wollen. Wir müssen den Willen haben, zu kämpfen.
Positiv ist, dass wir heute viel besser dastehen als 2012. Damals glaubte man, es sei nur eine Frage der Zeit, bis Griechenland zum Ausstieg aus dem Euro gezwungen wäre. Die gesamte Eurozone hätte zusammenbrechen können. Der Grund war, dass wir uns zwar sehr gute Regeln für die gemeinsame Währung gegeben hatten, diese Regeln aber nicht einhielten. Und wissen Sie, wer als erstes beschloss, das Regelwerk zu streng zu finden? Der deutsche Bundeskanzler Schröder und der französische Präsident Chirac.
Ähnlich war es mit der bemerkenswerten Lissabon-Strategie. Im Jahr 2000 hatten wir uns in Lissabon das Ziel gesetzt, Europa zum dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Ist das geschehen? Nein. Die Lissabon-Strategie wurde nicht umgesetzt, jedenfalls nicht während der ersten fünf Jahre.
Inzwischen haben wir begriffen, dass wir ein regel-basiertes System mit Sanktionsmechanismen brauchen. Europa ist kein Wachstumsmarkt – Asien und Afrika sind die Wachstumsmärkte. Wir müssen über die Rolle unserer Regierungen neu nachdenken, weil wir eine solide Finanzpolitik brauchen. Wir brauchen ein neues Bündnis zwischen Unternehmen, Regierungen und Nicht-Regierungsorganisationen, um eine nachhaltige Zukunft zu schaffen. Hier ist unsere Kreativität gefordert.
Wenn wir allerdings immer nur von Problemen sprechen, wenn wir über Europa nur reden, um über die Bürokratie zu jammern, werden wir niemals vorankommen. Wir müssen aus dieser anti-europäischen Atmosphäre herauskommen. Hier in Amsterdam sollte uns das Beispiel der Niederlande Mut machen, einer Nation großer Seefahrer, die bereit waren, enorme Risiken einzugehen und dafür reich belohnt wurden. Schließlich leben wir auf einem großartigen Kontinent.
Dieser Beitrag stammt aus einer Rede, die Jan Peter Balkenende beim ersten Young Professionals Seminar von United Europe in Amsterdam gehalten hat.