Vor der Kulisse des Brandenburger Tors in Berlin brachte diese hochrangige Veranstaltung führende Stimmen zusammen, um über die Zukunft der transatlantischen Beziehungen, die europäische Sicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit in einer sich rasant verändernden geopolitischen Landschaft zu diskutieren.
Der Abend wurde geprägt von zwei Keynotes des Präsidenten von United Europe, Günther H. Oettinger, sowie der stellvertretenden Leiterin der Vertretung der Europäischen Kommission, Frau Gosia Binczyk, die den strategischen Rahmen für eine vertiefte Debatte über Europas Rolle zwischen den Vereinigten Staaten, globalen Machtverschiebungen und innerer Transformation setzten.
Die Podiumsdiskussion, moderiert von Dr. Laura Hirvi, umfasste:
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Cathryn Clüver Ashbrook, Bertelsmann Stiftung
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Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung, BDI
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Felix Herter, Managing Director, Eurazeo
Die Diskussion unterstrich die dringende Notwendigkeit einer klaren europäischen Strategie, die Sicherheit, wirtschaftliche Resilienz, Innovation und demokratischen Zusammenhalt miteinander verbindet, um vom reaktiven Handeln zu einer proaktiven Führungsrolle auf globaler Ebene zu gelangen.
1. Rückblick: Die Vereinigten Staaten als Pfeiler europäischer Sicherheit
Günther H. Oettinger betonte, dass Deutschland und Europa historisch in hohem Maße von der sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Unterstützung der USA profitiert haben – vom Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg über die Wiedervereinigung Berlins bis hin zu umfangreichen amerikanischen Investitionen. Heute sei jedoch klar: Europa müsse eigenständigere Sicherheitsfähigkeiten aufbauen. Die jüngste Nationale Sicherheitsstrategie der USA sei ein letzter Weckruf, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen und mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen.
2. Europa zwischen alten Allianzen und neuen Realitäten
Europa sollte die transatlantische Partnerschaft weiter pflegen, müsse jedoch gleichzeitig seine strategischen Beziehungen diversifizieren – etwa durch eine engere Zusammenarbeit mit Ländern wie Japan, Australien, Südkorea, den westlichen Balkanländern und dem Vereinigten Königreich. Der globale Systemkonflikt zwischen „Demokratie und Autokratie“ erfordere eine kohärente europäische Strategie.
3. „Der amerikanische Weckruf“ – Politische Verschiebungen in den USA betreffen Europa direkt
Cathryn Clüver Ashbrook, Autorin von „Der amerikanische Weckruf“, skizzierte die politischen Veränderungen in den Vereinigten Staaten:
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Die strategische Neuausrichtung sei seit Jahren erkennbar: Project 2025, die Rede von JD Vance sowie neue außenpolitische Prioritäten der USA.
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China werde als zentraler Herausforderer benannt, Russland als akute Bedrohung – Europa verliere dabei an geopolitischer Priorität.
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Steve Bannon äußere offen, die USA hätten „80 Jahre lang auf den falschen Verbündeten gesetzt“.
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Offizielle Dokumente und politische Kommunikation zeigten zunehmend einen neo-kolonialen Ton gegenüber Europa.
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Finanzielle Mittel aus den USA und aus Russland flössen verstärkt in rechtspopulistische Parteien in Europa.
Europa könne es sich nicht länger leisten, diese Signale zu ignorieren, betonte Clüver Ashbrook. Reaktion allein reiche nicht aus – Europa müsse proaktiv handeln.
4. Wirtschaft: Pessimismus, Unsicherheit – und neue Chancen
Wolfgang Niedermark (BDI) und Felix Herter (Eurazeo) beschrieben, wie geopolitische Verschiebungen und Marktvolatilität die wirtschaftliche Lage Europas prägen:
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Viele Investoren ziehen sich aus großen Eigenkapitalinvestitionen in den USA zurück, während nachhaltige europäische Anlagen für US-Investoren attraktiver werden.
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Europas Innovationspotenzial sei vorhanden, werde jedoch häufig durch das regulatorische Umfeld ausgebremst. „Die EU darf nicht zum Silicon Valley der Bürokratie werden.“
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Das Vertrauen von Industrie und Familienunternehmen in die Europäische Union nehme ab; viele orientierten sich zunehmend in Richtung Türkei, Kanada, Afrika oder China.
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Europa müsse seine Wettbewerbsfähigkeit stärken – könne dies jedoch mit den heutigen EU-Strukturen allein nicht erreichen.
5. Strategische Neuausrichtung: Innovation, Verteidigung und neue Denkweisen
Die Expertinnen und Experten waren sich einig, dass Europa:
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traditionelle Industrien modernisieren und zugleich in Zukunftstechnologien investieren müsse,
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einen Mentalitätswandel vollziehen müsse – weg von Stagnation, hin zu strategischem Gestaltungswillen,
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Talent-Ökosysteme für Biotechnologie, Frontier Tech und Deep Tech aufbauen müsse,
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wirtschaftliche und sicherheitspolitische Verwundbarkeiten – von Cybersicherheit bis nukleare Abschreckung – gezielt angehen müsse.
Europa fehle bislang eine Strategie der ökonomischen Staatskunst (Economic Statecraft) – also die Fähigkeit, wirtschaftliche Stärke gezielt einzusetzen und selbstbewusst mit den USA und anderen globalen Akteuren zu verhandeln.
6. FAZIT
Europa steht an einem historischen Wendepunkt.
Die Podiumsteilnehmer waren sich einig:
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Wir müssen schneller werden.
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Wir müssen mutiger werden.
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Wir brauchen eine europäische Strategie, die wirtschaftliche Stärke, Innovation und Sicherheit integriert.
Nur durch gemeinsame Verantwortung, neue Allianzen und ein erneuertes europäisches Selbstbewusstsein kann die Europäische Union die kommenden geopolitischen Herausforderungen erfolgreich bewältigen.

