Der Ausgang der Unterhaus-Wahlen macht den Brexit zur beschlossenen Sache – das bedauere ich zutiefst. Es war ein Erdrutschsieg für Boris Johnson, zumindest was die Anzahl der Abgeordneten betrifft. Wenn man allerdings die Stimmen der proeuropäischen oder zumindest der Unentschiedenen (Labour!) Parteien addiert, hätten sie eine knappe Mehrheit von 52 %.
Aber das britische Wahlsystem bevorzugt die großen Parteien, und so war von vornherein klar, dass Tories und Labour die Wahl untereinander ausmachen – bei allem Achtungserfolgen von SNP, Lib Dems, etc.
Einen gewissen Ärger über die Kurzsichtigkeit der Menschen kann ich nicht verhehlen. Andererseits bin ich froh, dass es nun zumindest Klarheit gibt und die politischen Possen der letzten dreieinhalb Jahre endlich ein Ende haben.
Von einem seit vielen Jahren befreundeten, wohlbekannten britischen Fernseh-„Anchorman“ habe ich die folgenden Kommentare erhalten: Den alten und neuen Premierminister nannte er einen „proven bull-shitter and a chancer“, Corbyn hingegen sei bitter, humorlos und erinnere ihn an seinen alten Chemielehrer. Dieser Fernsehmann fuhr fort und sagte, es sei einfach eine schreckliche Wahl – sozusagen zwischen Pest und Cholera – gewesen. Seine Brieftasche atme nunmehr auf, während sein Gewissen sich schäme.
Er fügte hinzu – da er vor Jahrzehnten eine „britisch-europäische“ Mischehe eingegangen sei – hätten seine Kinder mittlerweile die europäische Staatsbürgerschaft beantragt, sozusagen als Schwimmweste.
Offenbar verstehen wir die Briten ebenso wenig wie wir diejenigen verstehen, die AfD wählen. Nach all dem Tumult und lauten Rufen nach einem 2. Referendum auf der Insel schien für uns klar, dass das Voting für den Brexit nur ein zeitpunktbezogener Irrtum gewesen sei. Und, dass einfach nur zu wenig von den „Richtigen” zur Wahl gegangen sind, aus welchen Gründen auch immer.
Doch jetzt gab es lange Schlangen vor den Wahllokalen, niemand hat diese Wahl verschlafen. Das Ergebnis zeigt, dass jetzt sogar noch ein paar mehr Briten den Brexit wollen, trotz aller prognostizierten Nachteile und wirtschaftliche Unsicherheit. Und es zeigt, wie tief gespalten Großbritannien ist.
Man kann nur hoffen, dass der Brexit wenigstens dazu führt, dass die verbleibenden Mitgliedstaaten in Zukunft besser miteinander umgehen. Die britische Kritik an der Brüsseler Regelungswut ist in Teilen berechtigt. EU-Recht muss von allen als solches anerkannt werden und nicht nur als Vorschlag. Insbesondere in Südeuropa muss das zur Selbstverständlichkeit werden.
Aber: Auch wenn Großbritannien nun mit wehenden Fahnen die ungeliebte EU verlässt, wird es weiterhin innerhalb der Nato und des Weltsicherheitsrats eine wichtige Rolle spielen. Auch der Finanzplatz London wird erhalten bleiben und aus dem Brexit vielleicht sogar Kapital schlagen. Dass Großbritannien geographisch zu Europa gehört, steht unverrückbar fest.
So ist die Schweiz auch nicht Mitglied der EU, aber die Union hat im Laufe der Jahre eine sehr praktikable und enge Zusammenarbeit entwickelt. Wir können nur hoffen, dass hier das Gleiche auch mit Großbritannien geschehen wird – im wohlverstandenen beiderseitigen Interesse. Revanche-Fouls müssen wir vermeiden.
Ein positiver Effekt ist, dass Europa mit vielen Projekten fortfahren kann, die Großbritannien nicht besonders unterstützt, teilweise sogar offen behindert hat.
Also schauen wir nach vorn und passen uns den Gegebenheiten an. Eine andere Wahl haben wir nicht. Aber: halten wir engen Kontakt zu allen Briten – nicht nur zu den pro-europäischen.