
„Wir dürfen nicht wehrlos zwischen den Machtblöcken bleiben, die sich im Cyber und Militärkomplex ein Wettrüsten leisten“, schreibt René Obermann, Partner bei Warburg Pincus sowie Geschäftsführer der Warburg Pincus Deutschland GmbH in seinem Essay zu unserer Artikelserie „Europa kann es besser. Wie unser Kontinent zu neuer Stärke findet. Ein Weckruf der Wirtschaft“, die vom Handelsblatt und United Europe initiiert wurde: „Nur glaubwürdige Abschreckung schreckt wirklich ab. Der Zustand unserer Streitkräfte tut es jedenfalls nicht.“
Es könnte uns Europäern viel schlechter gehen. Demokratie und Rechtsstaat, eine zunehmend integrierte Gemeinschaft, gesunkene Arbeitslosigkeit, offene Grenzen, selbst unsere gemeinsame Währung, alles hielt den Zerreißproben der letzten Jahre stand. Wir sind an Gewaltenteilung gewohnt, an kritische, angstfreie Medien, an Social-Media-Shitstorms, endlose Debatten und subsidiäres “Entschleunigen” wichtiger Initiativen.
Zur DNA unserer westeuropäischen Wohlstands-Gesellschaft gehört die Sorge, mindestens aber die Skepsis vor Technologie, beispielsweise vor Antennenstrahlung und vor Daten in der Cloud, vor Künstlicher Intelligenz oder Gentechnologie. Wir leisten uns ausgiebige Diskurse zu ziemlich allem, bevor wir unter globalem Wettbewerbsdruck dann doch in die Gänge kommen, sei es auch nur halbherzig. Eigentlich richtig, nicht alles Neue sofort durchzuwinken, sondern zunächst die Folgen zu wägen, aber bitte nicht ewig. Es wird für Europa schwerste Konsequenzen haben, wenn wir wichtige Technologiefragen nicht schneller entscheiden und umsetzen.
„Der Spiegel“ bringt es auf den Punkt: „Was sich in autokratisch oder streng präsidial geführten Ländern wie China und den USA regeln lässt, wird im kakofonen Europa zur Herkulesaufgabe.“ Jeder fordert das lückenlose 5G Netz, allerdings möglichst ohne Elektrosmog und Antennen. Oder Stromtrassen für die Netzstabilität, aber nicht durch unsere Natur gebaut.
Am deutlichsten wird unsere politische Paralyse beim folgenlosen Bejammern der Digitalisierungsdefizite. Zerfaserte Zuständigkeiten, allseits tätige Beratergremien und Innovationsrunden, Digitalpakt, Länder-Blockaden – indes, zigtausend Schulen sind immer noch nicht vernünftig digital ausgestattet.
Das Gegenmodell zu uns ist das autokratische China. Nicht nur wegen der staatlichen Machtüberformung der Wirtschaft, sondern auch wegen seiner Haltung zu Technologie. Ein Beispiel:
90% der Macher in der Wirtschaft in China glauben laut einer Accenture-Studie an die positiven Effekte von KI. In den USA ist es ähnlich, bei uns seien es nur ca. die Hälfte.
Und an was die Menschen glauben, danach leben und handeln sie meistens auch.
Miriam Meckel schreibt zum globalen Technologie Wettlauf u.a.: „Hier geht es um mehr als ein paar technische Anpassungen. Es geht um die Frage, wer die Blaupause für die digitale Wirtschaftsordnung der Zukunft liefert. Die USA mit dem Marktmodell eines digitalen Libertärkapitalismus, made in Silicon Valley? Oder China mit einem rigiden staatskapitalistischen Modell, in dem manches allein deshalb viel schneller geht, weil man den Einspruch skeptischer Bürger nicht fürchten muss.”
Wir dürfen als Europäer jedenfalls nicht in ewigen Diskussionen steckenbleiben. Ich stimme Meckel zu, die sagt:
„… wenn wir unsere EU verteidigen wollen, müssen wir möglichst schnell aus dem Lager der Zauderer in das der Zukunftsoptimisten wechseln – und mehr ausprobieren.”
Müssen wir wirklich erstmal vor allem Angst haben? Zum Beispiel vor der digitalen Vernetzung im Gesundheitswesen, vor der Gentechnologie? Oder vor Mustererkennung, Künstlicher Intelligenz und Robotik? Ich frage das nicht, weil ich gegen hohe ethische Standards bin, ich will nur, dass unsere europäische Wirtschaft nicht von US oder chinesischen Tech-Giganten überrollt wird, die viele unserer gesellschaftlichen und regulatorischen Restriktionen nicht haben. Denn ohne eine starke EU-Wirtschaft gibt es auch keine erfolgreiche, sozial ausgewogene Politik.
China liegt bei Investitionen in Künstliche Intelligenz mittlerweile vor den USA. Und sie setzen diese Technologie überall, auch im militärischen Bereich ein. Alle zivilen Unternehmen müssten, so berichtete vor einiger Zeit die Financial Times, ihre Technologie dem Militär verfügbar machen.
Der Einsatz chinesischer Komponenten in europäischen und amerikanischen Telekommunikationsnetzen ist hoch umstritten, weil der Westen Sorge vor Cyber-Sicherheitslücken und damit vor Spionage oder sogenannter Cyber-Warfare, frei übersetzt kriegerischen Angriffen über das Internet, hat.
Chinas digitale Bürgerüberwachung, die Turbo-Entwicklung der Gentechnologie und der Cyber-Aufrüstung (die wohl wirkmächtigste Waffe der Zukunft) sind nur drei Aspekte, wie China versucht, die mächtigste Nation der Erde zu werden.
Digitale Technologien entscheiden über den Wettbewerb der Wirtschaftsregionen, leider auch im militärischen Komplex. Bei allen Waffengattungen und nun auch im Weltraum sind Künstliche Intelligenz, Robotik, Drohnen und vernetztes Agieren schon jetzt Realität. Dreistellige Milliardenbeträge fließen in die Weiterentwicklung dieser Systeme in den USA, China und Russland.
Und wo steht Europa?
Leider hat der gute Hegemon als unser langjähriger Schutzpatron seine Unbedingtheit in Frage gestellt. Er spielt derzeit „divide et impera”. „DIE ZEIT” schrieb: „Donald Trump wird weiter die Verachtung für Freunde und den Flirt mit den Autoritären auskosten… Er weiß, dass EU nicht ohne Amerikas Markt und Schutzschirm auskommt. Das ist das Elend von uns Europäern …”
Wir dürfen nicht wehrlos zwischen den Machtblöcken bleiben, die sich im Cyber und Militärkomplex ein Wettrüsten leisten. Nur glaubwürdige Abschreckung schreckt wirklich ab. Der Zustand unserer Streitkräfte tut es jedenfalls nicht.
Ähnlich wie in der Verteidigung sollten wir auch bei Zukunftstechnologien nicht in der Sandwich-Position bleiben. US-Unternehmen beherrschen die digitale westliche (!) Wirtschaftswelt. China hat seine eigenen digitalen Giganten wie Alibaba und Tencent. Wir lernen bekanntlich aus den Daten, die buchstäblich überall entstehen, ob in Social Media, beim Sport, Schlafen, Essen oder Autofahren, im Betrieb von Industrieanlagen, Turbinen, in der Landwirtschaft oder der Medizin. Genauer gesagt, nicht wir allein, sondern diejenigen lernen, die unsere Daten analysieren. Im Bereich solcher “Analytics” nutzen selbst große europäische Konzerne amerikanische Plattformen wie von Microsoft, Google oder Palantir. Es gibt eben derzeit keine starken Alternativen aus Europa. Was das auf Dauer bedeutet, ist klar. Große Teile der Wertschöpfung wandern dorthin, wo die Erkenntnisse aus diesen Daten genutzt werden können.
USA und China dominieren die Künstliche Intelligenz. Und sie dürften leider auch bei 5G schneller vorankommen als wir, die aktuelle Klagewelle gegen das Frequenz- Vergabeverfahren ist ein Indiz dafür.
Genauso wird es im Quantencomputing oder bei Cloudtechnologien bzw. -Infrastrukturen laufen. Versuchen Sie in Europa mal, einen guten Standort für ein sogenanntes “Hyperscale”-Rechenzentrum mit günstigen Energiekosten zu bekommen. Dabei liegt es doch auf der Hand, dass wir solche Standorte dringend brauchen.
Eine Revolution im Denken: Mehr Technologieausbildung
Und was wir bei all diesen großen Aufgaben am allerwenigsten vergessen dürfen, sind unsere Kinder, also die technologischen, kreativen und ethischen Kompetenzen künftiger Generationen. Über Bildung wird ständig geredet. Jeder fordert mehr Geld, vielleicht zu Recht. Aber was genau muss wo unterrichtet werden, was müssen die Lehrer konkret beherrschen, wie müssen Schulen, Betriebe, Berufsschulen und Familien ausgestattet, unterstützt werden? Hier versagt der Bildungsföderalismus! Aber auch private Initiativen werden noch nicht ausreichend gefördert.
Verena Pausder zum Beispiel macht mit ihren „Digitalwerkstätten” Eltern und Kindern ein sinnvolles Lern-Angebot……fand aber nur bei Facebook und Airbus prominente Unterstützung sowie in der Landesregierung von NRW.
Es gibt bis heute keine verpflichtenden Digital-Seminare für die Lehrer, geschweige denn flächendeckend gute IT-Ausstattungen und Fachleute an den Schulen. Oft fehlen sogar schnelle Netzanschlüsse.
Das darf nicht so bleiben, in einem Land, das hier eine technologische Transformation sondergleichen vor sich hat und dem schon deshalb nichts wichtiger sein müsste, als eine gut ausgebildete Jugend. Und das überall! Denn eine urbane Digital-Elite in einigen Großstädten mit hohem Einkommen und top Jobs ist nicht ausreichend.
Und was für Deutschland gilt, gilt für ganz Europa! Vielleicht könnte die gemeinsame Arbeit daran ein wichtiger Baustein für den Zusammenhalt unseres Kontinentes werden: Jungen Menschen aus allen sozialen Schichten ein echtes digitales Bildungsangebot zu machen. So bekämpft man Ängste und gestaltet Zukunft! Dafür müssen Unternehmen und Politik einen neuen Pakt schließen, zur Finanzierung und zur Methodik. Einen Pakt, der für künftige Regierungen verbindlich ist, denn er wird über viele Jahre umzusetzen sein.
Ich bin überzeugt, dass wir Millionen engagierter Fürsprecher für die europäische Sache brauchen. Und wenn Wirtschaftsführer politisch Flagge zeigen, so wie es einige in der letzten Zeit schon getan haben, dann ist das immerhin ein guter Anfang.
Die Artikelreihe „Europa kann es besser“ erscheint bis zur Europawahl im Handelsblatt auf Deutsch und in Deutsch und Englisch auf Handelsblatt Online und der Website von United Europe. Die Texte sind auch in einem Buch zusammengefasst, das am 15. April 2019 im Herder-Verlag erschienen ist. Weitere Informationen über das Buch finden Sie hier.
Über René Obermann
René Obermann ist seit Februar 2015 Partner bei Warburg Pincus, einem führenden US-basierten Private Equity Unternehmen, sowie Geschäftsführer der Warburg Pincus Deutschland GmbH in Berlin. Er ist Aufsichtsratsvorsitzender der 1&1 Internet Holding SE sowie Aufsichtsratmitglied der Inexio KGaA. Desweiteren ist René Obermann Aufsichtsratmitglied der Airbus SE, Allianz Deutschland AG und Telenor ASA sowie Mitglied des Herausgeberrates „DIE ZEIT“.
Seine berufliche Laufbahn begann René Obermann mit einer kaufmännischen Ausbildung bei der BMW AG in München. Danach gründete er 1986 parallel zum Studium ein eigenes Unternehmen in Münster: ABC Telekom. Nach der mehrheitlichen Uebernahme von ABC Telekom durch Hutchison Whampoa in 1991, wurde er geschäftsführender Gesellschafter der daraus resultierenden Firma Hutchison Mobilfunk GmbH. Von 1993 bis 1998 war er dort Vorsitzender der Geschäftsführung.
Von 1998 bis 2013 war René Obermann bei der Deutschen Telekom tätig. Zunächst für das deutsche und dann auch internationale Mobilfunkgeschaeft (T-Mobile International AG) verantwortlich, wurde er im November 2006 zum CEO der Deutschen Telekom AG ernannt. Diese Position hatte er bis Dezember 2013 inne. Ab Januar 2014 arbeitete René Obermann als CEO von Ziggo BV in den Niederlanden bis zur Fusion mit Liberty Global’s UPC im November.
Von 2007-2013 war René Obermann auch Vizepräsident des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM).