Die Europäische Zentralbank scheint sich darauf zu konzentrieren die Geschäftsbanken mit neuem Geld zu überhäufen. Aber die ‘Quantitative Lockerung’ wird im Laufe der nächsten 18 Monate nicht alle Probleme beheben können. Diese haben ihren Ursprung in einem Mangel an Strukturreformen und fehlendem Wachstum. Die Preise in der Eurozone sind in den letzten 12 Monaten um 0,6 Prozent gefallen, und es gibt Anzeichen dafür, dass sie stabil bleiben werden.
Die meisten Kommentatoren haben im Laufe der letzten paar Wochen zwei bedeutende Ereignisse verfolgt – die Wahlen in Griechenland und die Vorstellung des Programms der ‘Quantitativen Lockerung’ durch die Europäische Zentralbank. Die Deflation hat derweil weniger Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Nur wenige haben sich auf den Rückgang der Verbraucherpreise konzentriert, die im Zeitraum von Januar 2014 bis Januar 2015 um 0,6 Prozent gefallen sind.
Zeigt dies auf, dass hier gerade ein neues Szenario im Begriff ist zu entstehen oder dass die Deflation von Dauer ist und nicht mehr länger als Problem angesehen wird? Oder unterschätzen die meisten Wirtschaftskommentatoren schlichtweg eine Bedrohung, die in nicht allzu ferner Zukunft ernsthafte Probleme verursachen könnte? Und was sind die Auswirkungen für die Haushalte und Unternehmen?
Es gibt in diesem Zusammenhang einige offensichtliche Tatsachen.
Die Kaufkraft
Erstens, wenn sich die Preise verändern und die Händler keine Maßnahmen unternommen haben, um sich gegen diese Möglichkeit abzusichern, passt sich die Kaufkraft der Verbraucher an. Um ein Beispiel zu geben: Wenn der Ölpreis um die Hälfte sinkt, so wie er es im Laufe der vergangenen sechs Monate getan hat, wird die Kaufkraft von den Ölproduzenten auf die Ölverbraucher übertragen. Entsprechend gilt, dass wenn der Preis für Kaffee steigt – so wie im letzten Jahr, als der Preis um 20 Prozent zulegte – die Kaffeehersteller glücklich sind, da die Kaffeeverbraucher nun mehr bezahlen müssen.
Ein genereller Anstieg oder Rückgang beim Preisniveau – respektive Inflation und Deflation – kann auch mit einer Umverteilung des Reichtums verbunden sein. Die Inflation begünstigt insbesondere die Schuldner, da sie den realen Wert ihrer Schulden reduziert. Im Gegensatz dazu sind die Gläubiger glücklich, wenn die Preise fallen, da dies sicherstellt, dass die Kaufkraft dessen, was sie von ihren Schuldnern zurückbekommen, ansteigt.
Angst vor der Zukunft
Zweitens, muss man festhalten, dass Preisänderungen nichts besonders Schlimmes oder Sonderbares sind. Historisch gesehen haben die Menschen gewöhnlich Angst vor einer Inflation, da sie das Vorhandensein künstlicher Engpässe oder Naturkatastrophen signalisierte, wie zum Beispiel neue Zolltarife oder schlechte Ernten. Im Gegensatz dazu wurde die Deflation gern gesehen, da dies oftmals ein Zeichen für schnellen technischen Fortschritt, eine gesunde Konkurrenz und Produktivitätssteigerungen war.
Drittens, kann das Vorhandensein von Inflation oder Deflation aber auch eine Veränderung der Erwartungen anzeigen. So könnte sich zum Beispiel die Inflation aus einer optimistischen Sichtweise in Bezug auf die Zukunft ergeben. Wenn dem so ist, dann neigen Unternehmen und Individuen dazu, mehr zu konsumieren und zu investieren, als sie erzeugen. Dies führt zu einem Nachfrageüberschuss und demzufolge zu einem Inflationsdruck.
Jedoch tendieren die Individuen im umgekehrten Fall, das heißt wenn sie Angst vor der Zukunft haben, dazu ihren Verbrauch einzuschränken. Die Unternehmen zögern bei einer derartigen Marktlage zu investieren. In solch einer Situation fällt die Gesamtnachfrage und die Preise tendieren innerhalb des Zeitraums, den es braucht um das Angebot anzupassen, zu fallen. Es herrscht Deflation.
Fehlendes Wachstum
Es gibt durchaus Gründe, weshalb man sich über eine Deflation freuen kann, aber auch zwei Gründe, die man mit Sorge betrachten muss.
Der erste Grund zur Besorgnis ist mit der Situation verbunden, in der die Deflation eine unerwünschte Umverteilung der Einkommen und /oder des Vermögens verursacht. Der zweite ist, wenn die Deflation eine pessimistische Zukunftseinschätzung ankündigt.
Dies sind die Gründe, die die Machthaber und die öffentliche Meinung im Laufe der letzten paar Jahre vor ihrem geistigen Auge hatten. Jedoch, auch wenn sie sich zu Recht wegen der Deflation Sorgen machten, war es dennoch falsch von den politischen Entscheidungsträgern sie zu bekämpfen.
Zu versuchen, am Thermometer herumzubasteln, ist nicht der beste Weg, um die Grippe loszuwerden. Die Grippe entspricht in unserem Fall dem Vorhandensein vieler zahlungsunfähiger Schuldner – einschließlich der Regierungen – und dem Mangel an einem bedeutenden Wachstum in mehreren Volkswirtschaften der Europäischen Union.
Die wahren Probleme
Die Tatsache, dass die Deflation nicht mehr im Mittelpunkt steht, ist eine gute Nachricht, solange dies bedeutet, dass die Europäische Kommission in Brüssel und die EZB in Frankfurt begriffen haben, dass die wahren Probleme die Staatsschulden und die weit verbreitete Ineffizienz sind, und dass Wachstum der beste Weg ist, um den Pessimismus und die Deflation zu heilen.
Die schlechte Nachricht ist, dass die mangelnde Hervorhebung der Deflationsproblematik auch lediglich ein Beleg für das Gefühl der Erleichterung im Anschluss an die Genehmigung der „Quantitativen Lockerung“ sein könnte – ein Programm, das das Staatsschuldenproblem voraussichtlich bis Mitte 2016 oder länger einfrieren wird, das aber wohl kaum die Bedingungen für ein zukünftiges, gesundes Wachstum schaffen wird.
Das Wachstum wird in hohem Maße von den Niedrigstpreisen beim Öl und einem schwachen Euro abhängen, wenn nicht doch noch einige wichtige Mitgliedsstaaten wesentliche Reformen durchführen. Das billige Öl und ein schwacher Euro könnten das Wachstum fördern. Aber man kann nicht sicher sein, dass diese Aspekte lange genug andauern werden, um die Stimmung der Menschen zu verändern und die Stagnation zu beenden.
Vorteile des Ölpreises
Insgesamt glauben wir, dass Besonnenheit vorherrschen wird, dass der Anstieg beim Verbrauch und bei den Investitionen in der Eurozone positiv, aber begrenzt sein wird, und dass die Preise stagnieren oder nur sehr langsam ansteigen werden.
Dies ist nicht gerade ein sehr ermutigendes Szenario, aber es gibt keine Alternativen. Die Unternehmen und Haushalte sollten für den Preisrückgang beim Öl und die Wechselkursberichtigung dankbar sein. Sie sollten sich aber auch auf die fortdauernde Untätigkeit und das langsame Wachstum in der Eurozone gefasst machen, unabhängig von der aggressiven Geldpolitik der EZB.
Die Inflation ist kein realistisches Szenario für die unmittelbare Zukunft. Die Haushalte können sich freuen. Ein beträchtlicher Anteil ihres finanziellen Vermögens besteht aus festverzinslichen Anleihen, die von Regierungen und privaten Unternehmen ausgegeben wurden. Die Inflation würde den Wert dieser Anleihen schnell wegfressen und die Haushalte würden leiden.
Die Preisstabilität
Erschwerend kommt hinzu, dass der Preisanstieg womöglich nicht das Ergebnis echter wirtschaftlicher Verbesserungen ist, sondern dass es sich dabei nur um die Folgeerscheinung der bedeutenden Geldmengen handelt, die von der Europäischen Zentralbank im Laufe der letzten paar Jahre geschaffen wurden. Wenn dem so ist, würde sich die Produktion wahrscheinlich nicht verändern und dasselbe gilt für die Gehälter. Das wiederum würde bedeuten, dass die Realeinkommen sinken würden.
Anders gesagt, eine Inflationsrunde könnte die Haushalte doppelt treffen – ihr Finanzvermögen würde abnehmen und ihr tatsächliches Einkommen – die Gehälter – würde nur schwerlich Schritt halten können.
Preisstabilität ist ein besseres System für diejenigen, die nur über eine beschränkte Verhandlungsmöglichkeit auf dem Arbeitsmarkt verfügen und/oder nicht in der Lage sind, ihre Wertpapierbestände zu restrukturieren und sich schnell, und in die richtige Richtung, auf den Aktienmärkten zu bewegen. Große Unternehmen würden die Dinge anders sehen. Sie haben im Laufe der letzten paar Jahre große Mengen an Anleihen ausgegeben, und eine Inflation wäre ein einfacher Weg, den realen Wert ihrer Schulden zu reduzieren. Dasselbe gilt für Regierungen, allerdings in weitaus größerem Umfang.
Viele Unternehmen sind in Schwierigkeiten
Dennoch glauben wir, dass trotz der großzügigen Geldpolitik der EZB das neue Geld wahrscheinlich gehortet und nicht ausgegeben wird.
Besonnenheit wird vorherrschen, und die Ausgaben werden solange verhalten bleiben, wie es einigen wichtigen Ländern wie Frankreich und Italien nicht gelingt ernsthafte Reformen durchzuführen und überzeugende Ergebnisse vorzuweisen.
Die Preisstabilität könnte sich jedoch für diejenigen Produzenten als problematisch erweisen, die sich schwer verschuldet haben in der Hoffnung, dass die Inflation sie retten würde.
Wir befürchten, dass eine bedeutende Anzahl von Unternehmen innerhalb der Eurozone in der jüngeren Vergangenheit tatsächlich diesem Weg gefolgt ist und dies könnte in der Tat erklären, warum die EZB sich so eifrig darum bemüht den Banken so viel Liquidität zu überlassen.
Wenn wir richtig liegen, dann wird diese frische Liquidität im Laufe der nächsten paar Monate nicht zur Finanzierung neuer unternehmerischer Aktivitäten herangezogen, sondern sie wird die Unternehmen retten, die sich in Schwierigkeiten befinden, weil sie glaubten, dass eine Verschuldung ihnen erlauben würde, dem Wettbewerbsdruck zu widerstehen, und dass die Inflation ihnen helfen würde, die offenen Rechnungen bei ihren Gläubigern zu bezahlen.
Ein gesundes Unternehmen
Wir glauben, dass das maßgebliche kurzfristige Szenario Preisstabilität sein wird, so wie wir sie bereits in den letzten vier Jahren hatten, als eine ernstzunehmende Deflation nie ein wirkliches Thema gewesen ist.
Das ist eine gute Nachricht für Gläubiger, wie zum Beispiel die Haushalte, und für all diejenigen, denen es schwer fällt sich anzupassen. Und es sollte auch eine gute Nachrichte für die EZB sein. Ihre Mission ist die ‘Preisstabilität’ und nicht eine ‘moderate Inflation’.
Unternehmen, denen es nicht gelungen ist ihre Leistung während der letzten paar Jahre zu verbessern, und die gehofft haben, Geld dank monetärer Tricks zu machen, werden nun gebeutelt.
Unter diesem Blickwinkel ist es eine gefährliche Illusion sich zugunsten der Inflation auszusprechen. Strukturreformen und neue gesunde Unternehmen bleiben der Schlüssel für den Aufschwung. Kommt dies zustande, so werden wir Grund für Optimismus haben, und die Diskussion über die Deflation wird ad acta gelegt. Sollte es zu keinen positiven Reformen kommen, werden wir mit einer großen Anzahl angeschlagener Unternehmen leben müssen.
Dieser Bericht wurde von Professor Enrico Colombatto verfaßt und wird unseren Mitgliedern mit freundlicher Genehmigung von © Geopolitical Information Service AG, Vaduz zur Verfügung gestellt:
http://www.geopolitical-info.com/de/
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