
Im Zuge der zweiten Auflage des Mentoren-Programms von United Europe betreuten neun Mentoren neun Mentees, die sich in Form von Webinaren, Stellungnahmen und Artikeln an der Arbeit von United Europe beteiligten. Nach der Brexit-Analyse von Katharina Hug setzen wir die Reihe mit dem Artikel „Fünf Lektionen für eine EU-Karriere in der EU” von Rafael Stein, Project Officer bei der Europäischen Kommission fort. Rafael wurde von Steven Price, einem pensionierten Referatsleiter der Europäischen Kommission, gecoacht.
Fünf Lektionen für eine Karriereplanung bei der EU
Wie könnte die Karriereplanung bei der Europäischen Union aussehen? Ein Praktikum bei der Europäischen Kommission, eine Prüfung zum EU-Vertragsagenten oder soll es doch eine Karriere als Beamter auf Lebenszeit sein? Das Vorstellungsgespräch ist gut gelaufen und die Stelle bei der Europäischen Kommission, der größten der EU-Institutionen, ergattert. Was nun? Wie kann die Karriere vorangetrieben und herausgefunden werden, ob es der richtige Platz ist und welches Stellenprofil am besten geeignet ist?
Viele Menschen kommen zur Kommission, um das europäische Projekt zu fördern, die Rolle der EU als globaler Akteur auszubauen und dazu beizutragen, die EU zu einem attraktiven und sicheren Ort zum Leben, Studieren und Arbeiten zu machen. Doch eine große bürokratische Organisation kann nach anfänglicher Begeisterung entmutigend, wenn nicht sogar einschüchternd wirken. Idealismus und Enthusiasmus treffen schnell auf die alltägliche Arbeits-Realität. Diese Dosis Realismus kann aber eine großartige Quelle zum täglichen Lernen sein und ein Kompass, der zu dem wirklich Wichtigem führt.
Die folgenden fünf Lektionen basieren auf meinen eigenen Erfahrungen und dem Austausch mit Kollegen, die die Kommission seit Jahrzehnten kennen. Ich hoffe, dass sie eine Perspektive und Orientierung bieten, um eine Laufbahn bei der EU zu planen.
1. Freundlichkeit ist eine unterschätzte Eigenschaft
Die Kommission ist ein wettbewerbsorientiertes, temporeiches Umfeld mit vielen engagierten und brillanten Kollegen, von denen viele um Sichtbarkeit konkurrieren. Einen Kollegen zu finden, der freundlich ist und in schwierigen Situationen Hilfe anbietet, kann den entscheidenden Unterschied ausmachen. Die effektivsten Kollegen bauen produktive Beziehungen zwischen Referaten und Generaldirektionen auf, die der Institution als Ganzes helfen, Lösungen für Probleme europäischen Ausmaßes zu finden. Beziehungen können einen Unterschied für die Menschen machen, die von einer EU-Finanzierung profitieren, an einer Konsultation teilnehmen oder infolge eines Legislativvorschlags der Kommission mehr Rechte genießen.
2. Das Netzwerk garantiert Bewegung
Ein Kaffee mit Kollegen, eine Konferenz in der Mittagspause oder der Besuch einer Fortbildungsveranstaltung, um die Kommission aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und Kontakte für potenzielle künftige Arbeitsplätze zu knüpfen. Die Kommission ist eine große Institution, aber jede General Direktion und manchmal sogar jedes Referat hat seine eigene Kultur. Diese Vielfalt ist nicht immer einfach zu handhaben und es ist eine große Herausforderung, hier den richtigen Platz zu finden. Wenn man sich mit den Besonderheiten der jeweiligen Tätigkeit vertraut macht, bekommt man aber rasch ein Gefühl dafür, ob es sich um die richtige Position handelt. Der Aufbau eines Netzwerks über verschiedene Referate und Generaldirektionen hinweg kann dabei helfen, herauszufinden, welches Stellenprofil am besten passt, sind doch die Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung vielfältig und auch ohne Wechsel des Arbeitgebers zugänglich. Jeder sollte sich als Rechts-, Politik- oder Programmbeauftragter in verschiedenen Bereichen ausprobieren. Dies hilft nicht nur, einen besseren Einblick in die EU-Politik zu bekommen, sondern auch, die richtige Laufbahn zu finden.
3. Mobilität hilft, um voranzukommen
Das Großartige an der Kommission ist, dass sie quasi unbegrenzte berufliche Mobilität bietet. An einem Punkt der Laufbahn verhandelt man vielleicht Handelsabkommen für die EU, an einem anderen verwaltet man die Immobilien der Kommission und an einem weiteren arbeitet man an einem Kommissionsvorschlag zur Verbesserung der Maßnahmen zur Förderung der Verbraucherrechte. Dies allein fördert lebenslanges Lernen und ermutigt dazu, in neue Bereiche einzutauchen. Die Erkundung neuer Bereiche wird auch durch zahlreiche Kurse unterstützt, die die Kommission ihren Mitarbeitern zu allen Bereichen der EU-Politikgestaltung anbietet. Obwohl die Mobilität zwischen den Generaldirektionen und Referaten für die Personalverantwortlichen von Vorteil ist und die Karriere voranbringt, kann es schwierig sein, den richtigen Zeitpunkt und die richtige Position für einen Wechsel zu finden. Als Faustregel gilt, dass man in der Regel zwei bis drei Jahre in einer Position bleibt. Führungskräfte bleiben in der Regel länger in ihrer Position. In einigen Fällen kann ein Wechsel die einzige Möglichkeit sein, weiterzukommen, da Führungspositionen rar und heiß begehrt sind. Ein Generalist zu sein, erhöht daher die Mobilität innerhalb der Institution. Man sollte nicht hoffen, dass im aktuellen Arbeitsbereich eine Führungsposition frei wird, sondern in Bewegung bleiben.
4. Finden Sie einen Mentor und werden Sie selber einer
Einen Mentor zu finden, der dabei hilft, darüber nachzudenken, bei welchen Möglichkeiten und Verantwortlichkeiten man zugreifen sollte und wann besser nicht, kann von unschätzbarem Wert sein. Der Wettbewerb um die besten Mitarbeiter unter den Personalchefs ist groß, und ein Mentor kann helfen, die Argumente für und gegen einen Wechsel abzuwägen. Es kann schwierig sein, Mentoren zu finden, da die Gelegenheiten rar sind, in einem zunehmend virtuellen Arbeitsumfeld sinnvolle Beziehungen aufzubauen. Der Aufbau sinnvoller Beziehungen ist jedoch der beste Weg, um einen erfahrenen Kollegen zu finden, der einen unter die Fittiche nimmt. Hier gilt es, authentisch zu sein, und auch mal zugeben zu können, dass man nicht alles weiß. Zukünftige Mentoren werden mit großer Wahrscheinlichkeit Potenzial erkennen und bereit sein, eine engere Beziehung aufzubauen. Wer selbst eine Mentorschaft anbietet, hilft nicht nur dem Mentee, sondern belohnt sich auch selbst. Erfahrungen werden weitergegeben, die guten und die schlechten, aus Fehlern kann gelernt werden und andere dazu befähigen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Mit anderen Worten: Man lernt, eine gute Führungskraft zu werden.
5. Sicherstellung der Gleichbehandlung
Nein zu sagen kann in jedem Beruf schwierig sein, aber wenn es um die Arbeit in der Kommission geht, kann dies bedeuten, dass man aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes dazu verpflichtet ist, Menschen abzulehnen, mit denen man eigentlich ympathisiert und die dringend Hilfe benötigen. Die Sicherstellung der Gleichbehandlung ist unerlässlich, insbesondere wenn es um den Umgang mit den Mitgliedstaaten geht, einschließlich des eigenen Landes. So bietet beispielsweise die rotierende Ratspräsidentschaft dem amtierenden Ratsvorsitz verschiedene Möglichkeiten, um seine Prioritäten voranzutreiben. Hier müssen diplomatische Wege gefunden werden und Türen auch mal halb offen gelassen werden. Auch sollte man, falls nötig, Anfragen einflussreicher Gruppen ablehnen und darauf achten, innerhalb der Grenzen des jeweiligen Zuständigkeitsbereichs zu bleiben.
Ein Artikel von Rafael Stein, Project Officer bei der Europäischen Kommission.